Das Buch war zu ende. Ich sass auf dem mickrigen Balkon und hielt eine Tasse Kaffee in der Hand. Es war schrecklich, denn das Ende war erst der Anfang. Die knapp 400 Seiten hatte ich in weniger als drei Tagen fertiggelesen. Solche Bücher sollten verboten werden, denn keine Sekunde später nach dem ich das «Ende» gelesen habe, zückte ich mein Telefon und gab den Titel in die Suchleiste ein. Kein zweiter Teil in Sicht.
Es war nach fünf Uhr nachmittags und meine Mutter war gerade nachhause gekommen und trat jetzt auf den Balkon, auf dem wir zu zweit keine Bewegungsmöglichkeiten hatten. «Solltest du nicht lieber lernen? Statt immer nur zu lesen?»
Ich antwortete ihr nicht, stand auf und drängelte mich an ihr vorbei. Die Beziehung zwischen meiner Mutter und mir war kompliziert.
Der Weg zur Buchhandlung war mit dem Bus und einigen Schritten getan. Der Wind bliess mir ins Gesicht und ich verschränkte die Arme. Als ich durch die Schiebetür trat, war die Buchhandlung mehr in Betrieb als am Dienstagmittag. Alte Herren, Familien, Jugendliche und Erwachsene. Ich schritt die Treppe hinauf und steuerte auf die Ausgestellten Bücher in der Fantasy-Abteilung zu. Das Favoriten Buch von Ilias war immer noch an der gleichen Stelle. Ohne zu überlegen griff ich in meine Tasche und zog einen schwarzen Kugelschreiber heraus. Der Zettel, der zwischen dem Buch lag, zog ich ohne zu zögern hinaus und kehrte ihn um. Ich zückte den Kugelschreiber und begann zu schreiben. «Lieber Ilias, Erstmals, ich weiss nicht wer du bist. Doch deine Favoriten der Woche sind ein Ritual für mich geworden. Frag nicht wieso, es ist merkwürdig. Doch dieses Buch war nicht, was ich erwartet habe. Bis jetzt habe ich mich immer auf dich verlassen, also deine Wahl an Büchern. Und jetzt, dieses Buch. Wie kannst du mir das antun? Das Ende ist erst der Anfang der Geschichte und ich kann mir nicht ausmalen, wie dir so etwas gefallen kann. Ich würde gerne noch mehr Kritik ausüben, doch der Platz geht mir aus»
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Ich schloss die Wohnungstür auf und trat über die Türschwelle. Unsere Wohnung war nicht gross. Da meine Mutter und ich seit sieben Jahren allein lebten, brauchten wir nicht viel. Ich liess meinen schweren Rucksack auf den Küchentisch fallen und setzte einen Kaffee auf. Obwohl wir eine Kaffeemaschine besitzen, weigerte sich meine Mutter Kapseln zu kaufen. «Die sind zu teuer, Freya», seufzte sie immer, wenn ich sie darum bete. Stattdessen benutzen wir eine italienische Kaffee-Maschine – was natürlich auch seine Vorteile hat.
Freitage waren oftmals lange Tage in meinem Leben. Und heute wird er noch länger werden, als normal. Meine erste Vorlesung hatte schon um acht begonnen und hatte nur eine Stunde Pause. Seit ich den Brief geschrieben habe, sind nun beinahe 24 Stunden vergangen. Seither ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus, wenn ich daran dachte. Und ich dachte immer daran. Wer war dieser Ilias? Und würde er mir zurückschreiben? Wie alt war er? Nach der Auswahl seiner Bücher könnte er auch schon 35 sein. Der Kaffee war fertig und ich schenkte ihn in eine grosse Tasse ein, die mir Cathy getöpfert hatte. Ja, getöpfert. Ihre Eltern waren sehr eigenartig, denn sie haben ehrlichgesagt, keine richtigen Hobbys. Kristian und Helen unternahmen jeden Samstag etwas anderes. Ein Töpferkurs, Krav-Magath, Reiten oder Tango. Einige Male zwangen sie Cathy mitzukommen und diese schleppte mich mit. Ich hatte beim Töpferkurs einen Topf gemacht. Ich weiss, kreativ. Doch handwerklich war ich noch nie begabt gewesen und als der Kurs zu Ende war und Simon uns mit seinem Jeep abholte, fuhren wir an den See. Es dauerte nicht lange, bis mein Topf mit Muscheln gefüllt war. Seit dem stand der rotbemalte Topf auf unserem Küchentisch.
Mit der Kaffeetasse in der Hand griff ich nach dem Buch, welches ich nach dem schrecklich enttäuschenden Buch, auserkoren hatte. Dann trat ich auf den Balkon und liess mich auf den einzigen Gartenstuhl fallen. Es dauerte nur noch eine halbe Stunde bis Cathy kommt. Ich war aufgeregt, wenn ich nämlich an Finns Party denke, rebelliert mein Magen. Finn war in der Mittagspause auf mich zugekommen, als ich mit Simon unter der Buche lag, unserem Stammplatz. Man wusste nun also, wo man mich findet. «Freya, du kommst heute, oder?», er grinste, steckte die Hände in die Hosentasche und lief weiter, ohne auf eine Antwort zu warten.
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Dear Ilias
Romance"Lieber Ilias, ich weiss nicht wer du bist. Doch deine Favoriten der Woche sind ein Ritual für mich geworden. Doch dieses Buch war nicht, was ich erwartet habe. Wie kannst du mir das antun? Das Ende ist erst der Anfang der Geschichte und ich kann mi...