Als ich nächsten Dienstagmittag in das «Read it» trat, war es schon deutlich wärmer als letzte Woche und das klimatisierte Innere liess mich erschaudern. Seit ich die Notiz geschrieben habe, wusste ich nicht was passieren könnte. Wahrscheinlich bemerkte man die Notiz nicht, und wenn schon, dann bestimmt nicht von diesem Ilias selbst. Ich wanderte durch die Büchermenge und suchte nach dem Lieblingsbuch von Ilias. Ich nahm mir Zeit, da mein Herz so fest schlug, dass ich mich kaum auf die Suche konzentrieren konnte. Seit der Party hatte ich auf Finn nicht mehr gesehen. Er ging mir aus dem Weg, genau wie ich ihm. Heute Nachmittag hatten wir den ersten Kurs zusammen diese Woche. Cathy, der ich alles am Samstagmorgen am Telefon erzählt habe, und Simon, machten sich schon mehrmals über mich lustig. «Du bist selbst schuld Freya. Du solltest dich einfach mal auf etwas einlassen», wiederholte Cathy immer, wenn ich anfing, mich in Selbstmittleid zu baden. Heute, bevor ich mich auf den Weg in die Buchhandlung machte und mich darüber beschwerte, Finn heute in die Augen sehen zu müssen, wiederholte sie diese Sätze abermals.
«Was würdest du denn an meiner Stelle tun?»
«Ich wäre nie in so eine Situation geraten», sie warf ihre Haare nach hinten. In Slow-motion hätte das sicher toll ausgesehen.
«Und wenn doch?», drängte ich meine beste Freundin.«Frag ihn doch um ein Date»
Murmelnd über Cathys grauenhafte Idee, packte ich meine Schultasche und verliess den Campus. Wie immer tat es gut, dieses Ritual zu haben, denn ich beruhigte mich wegen der Sache mit Finn. Wurde aber gleich wieder nervös, wegen dem Brief. Der Brief, den ich in der Abteilung der Romane zwischen Ilias Buch gefunden habe. «Oh», nicht mal Worte konnten meine Gefühle in diesem Moment zum Ausdruck bringen.
Zitternd öffnete ich den Umschlag und der Zettel mit dem Namen und dem Zitat «als würde ich selbst dabei sein». Voller Hoffnung, ich fand es selbst lächerlich, drehte ich das Stück Papier auf die Rückseite. Mein Atem stockte.
«Liebe unbekannte Person (von deiner Schrift kann ich leider nicht sagen, ob du ein Mann oder eine Frau bist) Es tut mir leid, dich enttäuscht zu haben. Doch es benötigt Bücher mit offenem Ende. Warum sollte man sonst noch darüber nachdenken? Abgeschlossene Bücher werden und bleiben vergessen. Dennoch, du hast mir meinen Tag, wenn nicht, meine restliche Woche mit Freude erfüllt. Falls du das liest, und das hoffe ich, dann bitte, ich flehe dich an, dass du nicht mich oder meinen Büchergeschmack aufgegeben hast. Dieser Roman basiert auf realen Ereignissen und als ich ihn gelesen habe, fühlte ich mich als wäre ich Teil der Geschichte. Geniess es und wenn nicht, dann freue ich mich auf eine erneute Rückmeldung. Natürlich persönlich, ich arbeite freitags und montags. Bis dann, Ilias»
Ich kniete mich hin, zog am Reisverschluss der Seitentasche meines Rucksacks und zog einen schwarzen Kugelschreiber raus. Ich drehte das Papier auf die leere Seite und lehnte mich an eines der Regale. Wäre die Buchhandlung nicht so leer, dann wäre ich bestimmt aufgefallen. Im Moment war ich froh, mich so dunkel gekleidet zu haben. Die enge schwarze Jeans und die leicht fallende, dunkelgrüne Tunika, passend dazu Sandalen. Ich drückte das Papier auf meine Knie und es zerknitterte leicht. Was sollte ich schreiben oder soll ich es ganz sein lassen und auf Simon hören? Aufhören zu träumen?
Natürlich entschied ich mich dagegen, denn dieser brief hat ein ganz neues Gefühl in mir erzeugt. Ich setzte die Mine auf das Papier und begann zu schreiben:
Lieber Ilias,Ich habe dich noch nicht aufgegeben, schätz dich also glücklich. Die eine Chance bekommst du noch, aber ich habe das Buch noch nicht gelesen und werde dir nächste Woche Bescheid geben, ob du bestanden hast. Eine Frage habe ich noch: wie kann es sein, dass unser Büchergeschmack sich so ähnelt? Seit Wochen lese ich deine Bücher, wie ich darauf gekommen bin, erzähle ich dir ein anderes Mal, aber kannst du mir diese eine Frage beantworten?
Bis nächste Woche,
Ich zögerte eine Sekunde, und wollte meinen Namen daruntersetzen, dann verwarf ich die Idee. Anonym zu bleiben verlieh mir eine ungewöhnliche Kraft. Falls etwas schieflaufen würde, könnte ich mich zurückziehen und dieser Ilias hätte keine Ahnung, wer ich bin. Um seine Bitte, montags oder freitags ins «Read it» zu kommen, setzte ich ein PS. Weil ein PS in Briefen zu lesen eines der schönsten Momente im ganzen Universum ist.
PS: Ich komme nur dienstags ins Read it, andernfalls wäre ich schon lange obdachlos.PSS: Ist ein PS in Briefen zu lesen nicht eines der schönsten Momente im ganzen Universum?
In diesem Moment entstand eine Brieffreundschaft. Ich konnte nicht mehr schlafen, bis ich am Dienstag wieder in das Read it gehen konnte und sein neues verflixtes Buch finden konnte. Und seine Briefe.
Und ich fiel immer weiter und konnte es nicht stoppen.
Zwei Monate später, zogen mich Simon und Cathy beiseite.
«Du musst aufhören, Freya», Cathy blickte mir tief in meine Augen.
«Was meinst du?», fragte ich nach, obwohl mir bewusst war, wovon sie sprach.
«Ilias», setzte sie fort, «er ist nicht real und du lässt keinem anderen mehr eine Chance»
«Da gibt es ja keine andere», verteidigte ich mich selbst und löste mich von Simons Arm.
«Was ist mit Finn?», fragte Simon und musterte mich besorgt, «Ihm hast du keine Chance gegeben.»
Ich stöhnte. Ich wusste, dass meine besten Freunde Recht hatten.
Mit Ilias war es wie mit meinen Büchern. Ich konnte der Realität entfliehen. Es war viel einfacher sich mit einem Menschen ehrlich zu unterhalten, wenn er nicht in meinem realen Leben existiert. Vielleicht musste ich wirklich etwas ändern. Oder immerhin Finn eine Chance lassen. Denn eigentlich mochte ich ihn. Bevor ich den ersten Brief an Ilias geschrieben hatte, noch vor der Party, hatte ich Finn gemocht.
«Na gut. Ich gehe mit Finn auf ein Date». Mit diesen Worten stiess ich mich von der Mauer ab und liess Simon und Cathy hinter mir. Sie sollten jetzt sehen, dass Ilias nicht mehr war als ein unbedeutender Brieffreund. Ich kannte ihn nicht und es sollte auch nie so weit kommen.
Voller Energie stürme ich in den Vorlesungssaal und begrüsste Professor Hank. "Guten Tag Mr. Hank. Wie geht es ihnen?", fragte ich beinahe zu enthusiastisch.
«Sehr gut, anscheinend aber nicht so gut wie ihnen, Mrs. Warden», lächelnd setzte er sich auf seinen Stuhl und sortierte einige Unterlagen.
«Ich muss nur etwas erledigen».
Finn sass zuhinterst mit Frederick. Sie unterhielten sich über Sport oder so, ich war mir nicht sicher. Jedenfalls drängte ich mich durch die Reihen, bis ich vor ihnen stand. Scheppernd liess ich meine Tasche fallen und blickte starr auf Finn. Ich war verrückt. Was machte ich schon wieder hier?
«Hi Freya», Frederick lehnte sich zurück und musterte mich interessiert. «Hi, Frederick.», dann drehte ich mich zu Finn und strich mir meine Haare aus dem Gesicht. «Ich habe eine Frage an dich, Finn.»
Verwundert schauten mich die strahlend blauen Augen an und etwas Nervosität schien durch, denn meine Hände zitterten leicht. Ich zupfte mein Rock zurecht und dann tat ich es. «Willst du mit mir ausgehen?», ich lächelte. Was er an der Party gesagt hatte, musste ja irgendwie schon der Wahrheit entstammen. Es könnte mir guttun. Ich könnte Ilias vergessen.
«Oh wow, ja. Ja, Freya, ich würde sehr gerne mit dir ausgehen»
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Was glaubt ihr, wie es weitergeht?
Wie findet ihr Finn?
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Dear Ilias
Romance"Lieber Ilias, ich weiss nicht wer du bist. Doch deine Favoriten der Woche sind ein Ritual für mich geworden. Doch dieses Buch war nicht, was ich erwartet habe. Wie kannst du mir das antun? Das Ende ist erst der Anfang der Geschichte und ich kann mi...