Chapter 4

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Als ich meine erste Flasche Bier geleert hatte, haschte ich in die Küche und erblickte Finn. Er unterhielt sich mit einem Kumpel. Er sah ganz anders aus. Abgesehen davon, dass beide einen Lockenkopf hatten, konnte ich keine anderen gemeinsamen Merkmale erkennen. Aus­serdem sah Finns Gesellschaft älter aus, um die 25 Jahre. Seine braunen Haare waren beinahe schulterlang und er hatte einen drei Tage Bart. So schnell ich konnte, schnappte ich mir die Gin-Flasche und haute ab. Ich steckte die Flasche in meinem schwarzen Beutel. Kleine Taschen befand ich als unpraktisch und schickimicki. Anstatt zurück in den Garten zu gehen, steuerte ich auf die Eingangstür zu, riss sie auf und ohne auf den Ruf von Cathy, die es sich mit einem Typen auf der Veranda gemütlich gemacht hatte, lief ich weiter, bis der schmale Weg zum See auftauchte. Es dauerte nur zwei Minuten, bis man an einem kleinen Strand angelangt war. Der See war pechschwarz, da die Nacht schon längst eingeschlagen war. Auf der Party war es kaum aufgefallen, da überall Laternen standen.

Ich setzte mich in den Sand und schnürte meine Sandalen auf, um meine baren Füsse in den körnigen Sand zu vergraben. Auch wenn mir bewusst war, dass Simon recht hatte, wollte ich nicht daran denken. Vor allem, wenn es um die Favoriten von Ilias ging. Vor einigen Monaten hatte ich ihn entdeckt und ich wollte mich auf etwas einlassen. Und ich konnte es. Ja, es war bescheuert, da ich diesen Ilias, nicht kannte. Aber es war etwas. Etwas grosses. Für mich. Es wurde langsam kühl und ich griff nach der Gin-Flasche aus meiner Ta­sche. Ich öffnete die Kappe und nahm drei kräftige Schlucke.

Es brannte in der Kehle, doch der Alkohol tat gut. Ich hatte noch nie allein Alkohol getrunken. Aber ich fühlte mich beschissen und ich wollte mich selbst bemitleiden. Gin half da ausgezeichnet.

Ich checkte die Uhrzeit auf meinem Smartphone und liess es dann zurück in meine Tasche gleiten. Es war kurz vor 23 Uhr und ich spielte mit den Gedanken, einfach ab zu hauen. Aber nachhause gehen würde meine Laune auch nicht heben. Ich griff in den Sand und liess die feinen Körner durch meine Faust gleiten. Dann nahm ich nochmals einen Schluck Gin.

«Ich komme auch immer hier hin, um nachzudenken», eine sanfte Mädchenstimme war zu hören und ich drehte mich nach rechts, um die Stimme einem Gesicht zuzuordnen. Ich kannte sie nicht. Jedenfalls hatte ich keinen Kurs mit ihr. Weil es so dunkel war, erkannte ich nicht viel von ihr, nur die pinken Haarspitzen fielen mir auf.

«Oh», Ich wischte mir den Sand auf meinen Händen ab. «Bist du eine Freundin von Finn?», fragte ich, da sie anscheinend öfters hier war. Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf und setzte sich neben mich in den Sand. Ein rascheln war von weitem zu hören und ich wandte mich von ihr ab, um nachzusehen, ob da etwas war.

«Ich bin seine Schwester», sie legte den Kopf in den Nacken und starrte in den wolkenlosen Himmel. Ich tat es ihr gleich. «Miriam», stellte sie sich vor und gab mir die Hand, «Freya».
stille kehrte ein wir konzentrierten uns auf den Sternenhimmel. Sie war vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ihr Bruder.

«Darf ich?», sie zeigte auf die Gin-Flasche und ich nickte. Sie nahm die Flasche in die Hand und öffnete den Deckel. Dabei beobachtete ich jede Bewegung von Miriam. Ihre grätenschlanken Finger klammerten sich an den Gin, als wäre ihr Leben davon abhängig. Sie nahm einen kräftigen Schluck und reichte sie mir. «Du siehst so aus, als könntest du es gebrauchen. Was ist passiert?», ich nahm das Getränk dankend an.

«Mein bester Freund hat ein paar ziemlich fiese Sachen gesagt»

«Ouch»

«Ja», ich schluckte und der bittere Geschmack breitete sich in meiner Mundhöhle aus.

Wahrscheinlich lag es am Alkohol, doch ich konnte mich nicht mehr zusammenreissen. Meine Hemmungsgrenze sank und ich vertraute mich einem komplett fremden Mädchen an. Ich erzähle ihr, was Simon von sich gegeben hatte, lies aber die Sache mit Ilias aus. So schnell konnte ich mich einer Fremden nun doch nicht anvertrauen.

«Das ist echt scheisse»

«Das kannst du laut sagen»

«Echt scheisse», rief sie über den See und drehte ihren Kopf zu mir. «Das solltest du auch mal probieren», sie zog ein Kaugummi aus ihrer Hosentasche, «Es ist immer so ruhig hier. Das ist ganz praktisch, denn dein Schrei ist lauter als alles andere. Und es macht Spass»

Miriam richtete sich auf und schrie wie am Spiess. Als ihr Schrei endete, war es wieder still, abgesehen von den Party-Geräuschen einige hundert Meter entfernt.

Herausfordernd blickte mich dieses Mädchen an. Obwohl ich sie nicht kannte, fühlte ich mich seltsam wohl. Und dann schrie ich, mit Leib und Seele. Als ich aufhörte und nach Luft schnappte, war es wieder ruhig. Langsam wurde es kühl und ich bereute es, nur meine Le­derjacke angezogen zu haben. Ich starrte auf meinen Arm, peinlich berührt, weil ich so verletzlich war. Und es andere sehen liess.

Miriam streckte ihre Arme in die Luft und gähnte. Mein Handy zeigte beinahe Mitternacht an, was eigentlich noch gar nicht so spät war. «Wie alt bist du eigentlich?», fragte ich nun Miriam. Zum einen fühlte ich mich egoistisch, weil wir die letzte Stunde nur über mich geredet haben, und zum anderen, interessierte es mich wirklich.

«Ich bin letzte Woche achtzehn geworden», sie schmunzelte, «mein Bruder und Finn haben einen echten Beschützerinstinkt, ich durfte nie etwas tun» Meine neue Freundin lächelte, doch man sah Wut in ihren leuchtend blauen Augen. «Und ist es jetzt anders?»

In diesem Moment hörte ich Fussstapfen hinter mir und drehte meinen Kopf mit so viel Schwung, dass meine Haare in mein Gesicht vielen. Ein Typ, mittelgross, schmal, steuerte mit sicheren Schritten auf uns zu. «Miriam, was machst du da?», Obwohl es dunkel war, konnte ich ihn, als er vor uns stand, deutlich erkennen. Es war der Typ, mit dem Finn in der Küche gesprochen hat. Seine Locken fielen ihm ins Gesicht, die grünen Augen wa­ren starr auf das Mädchen neben mir gerichtet. Miriam blickte auf und stöhnte.

«Ich Freunde mich gerade mit diesem leibreizenden Mädchen an», provozierend schnappte sie sich die Gin-Flasche und nahm einen Schluck, «und wir trinken zusammen etwas Gin. Hast du ein Problem damit?», herausfordernd schaute Miriam zu ihm hoch.

Ich nahm an, dass es ihr Bruder war, mit dem sie gerade dieses Spiel spielte, oder ihrem Freund. Dann schaute ich beide nochmals an. Nein, definitiv der Bruder. Beide hatten Haselnussbraune Haare, grüne Augen und beide hatten den selben starren Blick. Ich setzte mich auf und griff nach meinen Schuhen, um sie wieder anzuziehen. Für mich war es höchste Zeit zu gehen und ich wollte nicht zwischen einen Geschwister-Streit geraten. In dem Moment als ich aufstand, packte mich grob eine Hand am Arm. «Aua!», jauchzte ich auf und blickte böse zu diesem Idioten auf. «hast du ihr etwa Alkohol gegeben? Sie ist minderjährig», schnauzte er mich an. Was glaubte er, wer er ist? Ich riss mich aus seinem Griff und wütend stampfte ich auf. «Was fällt dir eigentlich ein?», ich schnaubte, «Deine Schwester ist anscheinend genug alt, Entscheidungen selbst zu treffen. Du kennst mich nicht, hast keine Ahnung was passiert ist, also werfe mir nicht vor, etwas getan zu haben, von dem du keine Ahnung hast»

Auf eine Reaktion wollte ich nicht warten. Ich murmelte nur noch, «War schön dich kennen­zulernen, Miriam». Dann lief ich los, den Hang herauf und zu der Hütte zurück. Hinter mir hörte ich noch Miriams Lachen, welches aber bald verstummte, da ich schon zu weit von ihnen entfernt war. In der Zeit in der ich weg war, ist die Menge an jungen Leuten gesunken, doch es herrschte eine ausgelassene Stimmung.


Dear IliasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt