Kapitel 1

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„Ja, Mom... Ja, ich verspreche es! Jaha...", kam es nur genervt von meinem Bruder „Hier. Für dich." und klatschte mir das Handy mit diesen Worten quasi in mein Gesicht. Ich verdrehte nur die Augen und streckte ihm die Zunge entgegen. Seufzend nahm ich letztendlich das mobile Endgerät und hielt es widerwillig gegen mein Ohr: „Mom? Was ist denn?" Ihre Stimme quoll so schnell aus dem Lautsprecher, dass ich fürchtete nicht alles mitzubekommen. Eine ihrer Angewohnheiten, wenn sie extrem nervös war. Sie machte sich mal wieder Sorgen. Natürlich. Mein Bruder und ich standen alleine am LAX und sollten von dort alleine zu dem Flughafen in Ohio dem Port Columbus International Airport fliegen.
Meine Mutter, die ursprünglich aus Ohio kam hatte die spontane Eingebung zurück zu ihrer Mutter zu ziehen, da sie den engen Familienzusammenhalt vermisste. Nicht, dass ich nicht verstehen konnte, warum sie sich entschloss zurück zu ihrer Familie zu ziehen, nein. Vor allem nach der Trennung von Dad war es ihr schwer gefallen in dem Haus zu sein, das jahrelang jenes einer glücklichen Familie gewesen war. Ihr fiel es sichtlich schwer ihre Maske aufrecht zu halten, wenn wir in unser aller Lieblingsrestaurant gingen oder wir die Küste entlang schlenderten, wie wir es früher so oft getan hatten.
Nein, was ich nicht verstand war, dass sie darauf pochte mich und meinen Bruder mitzunehmen. In einem Jahr hätten wir beide die Highschool beendet, im Kreise vieler meiner Sandkastenfreunde, der Clique in der ich mittlerweile meinen Platz gefunden hatte und vertrauter Umgebung. Als wären wir nicht schon erwachsen genug eigenständige Entscheidungen zu treffen. In einem Jahr würde es eh so weit sein. Ich würde meinen Highschoolabschluss in der Hand halten und endlich wieder  zurück in meine Heimat kehren, um dort zu studieren. Dieses eine Jahr mich von meinem Lieblingsort, welchen ich Zuhause nenne, abzuschotten, würde rein gar nicht ändern, denn ich hatte nicht vor länger zu bleiben als nötig. Nach einem Jahr würde ich wieder hier sein und mit meinen Freundinnen und Freunden die Collegezeit so richtig auskosten.
Mein Plan das eine Jahr bei Dad zu überbrücken, um meinen Highschoolabschluss an meiner bisherige Schule zu machen hatten sich aber in Luft zerschlagen, als Dad sich eine zwei Zimmer Wohnung zulegte und meinte: „Tut mir Leid, Prinzessin. Deine Mutter und ich sind uns einig, dass es für euch aktuell das Beste ist in einer stabilen Umgebung aufzuwachsen." Allgemein hieß das so viel: Eure Mutter hielt es für das Beste.
Wahrscheinlich hatte es aber auch meinem Dad gut in den Kram gepasst. Schon immer war er der spontane Part der Beziehung gewesen. Spontan hieß in diesem Sinne leider auch ziemlich unzuverlässig und sprunghaft. Als Kind musste mein Vater des öfteren Mal daran erinnert werden, das Kinder tatsächlich auch von der Schule abgeholt werden müssen, da sie im Alter von 9 und jünger tatsächlich noch nicht den Weg alleine nach Hause fanden. An sich hatte es auch was Gutes, einen so spontanen Vater zu haben, viele viele lustige Geschichten hatten wir schon gemeinsam erlebt, ebenso war er um einiges lockerer als Mum, was vor allem dem Spaßfaktor in meiner bisherigen Highschoolzeit besonders zugute kam.

Meine Mutter machte eine bedeutungsvolle Pause, denn anscheinend erwartete sie eine Antwort auf ihren Monolog. Ich brummte in der Hoffnung, dass es ihr nicht aufgefallen war, dass ich mit meinen Gedanken mal wieder abgeschweift war. Genervt seufzend tönte es durch den Lautsprecher: „ Amelia! Hörst du mir überhaupt zu? Ich mache mich Sorgen um euch, weißt du-" „ Mom, schon gut!", unterbrach ich sie. „ Wir schaffen das schon. Du kannst uns nicht immer nur beschützen. Wir passen auf uns auf und schließlich sind wir nicht die ersten Menschen, die alleine fliegen. Zur Not gibt es hier so gut wie tausend Informationsschalter die wir im Notfall immernoch fragen können, falls wir uns nicht zurecht finden ... und es ist nicht so, als würden wir zum ersten Mal fliegen. Du machst Henry und mich mehr nervös als wir es sein müssten! Es wird schon alles glatt gehen."
Theatralisch stöhnend stimmte sie mir letztendlich zu und sprach mehr sich selber als mit beruhigende Worte zu. In dem Moment ertönte die Durchsage, dass die Economy Passagiere vom Flug von Santa Monica zum LAX sich bereit machen sollten zum einchecken. „Mom, es ist so weit, wir checken jetzt ein und gehen dann ins Flugzeug. Mach dir keine Sorgen. Hal und ich lieben dich, keine Sorge, wir melden uns wenn wir am LAX sind und dort umsteigen! Wir freuen uns schon auf dich! Bis nachher.", mit diesen Worten legte ich auf, bevor Mom noch etwas erwidern konnte und warf meinem Bruder sein Handy zu. Dieser funkelte mich leicht böse an, weil ich mit seinem Schätzchen dermaßen respektlos umging. Er fasste mich am Oberarm und zog mich hinter ihm her zum Check-in Schalter.

Ich biss meine Zähne so doll aufeinander, dass sie ein knirschendes Geräusch von sich gaben und kniff meine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, wenig hoffnungsvoll machte ich weitere Schritte auf den Schalter zu. Schritte zu einem neuen Lebensabschnitt, den ich nichtmal herbeigesehnt hatte.

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