Kapitel 2

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„Wir können die Wunden der Vergangenheit nicht ändern, aber wir können entscheiden, wie wir darauf reagieren."
„Das ist schön," sagte meine Mutter und zog mich in eine feste Umarmung, als ich ihr die erfreuliche Nachricht erzählt hatte.
„Und er sagte, wenn ich mich gut einbringe, unterstützt er mich wegen des Studiums."
Ich konnte es immer noch nicht glauben und dachte, ich würde träumen. Wie viel Glück konnte man eigentlich haben? Welcher Arbeitsgeber würde direkt sagen, beim Studium zu helfen.
„Dann kannst du deinen Traum weiterverfolgen. Du musst nur hart arbeiten, dann schaffst du es definitiv auch, deine anderen Ziele zu erreichen!"
„Definitiv!" antwortete ich, immer noch voller Euphorie.
„Bleibst du eigentlich bei uns, oder gehst du wieder zu Dan?" fragte sie mich dann mit einem neugierigen Blick.
„Ich weiß es nicht. Wir hatten heute früh nicht wirklich darüber gesprochen. Ich musste mich ja beeilen," antwortete ich, während ich daran dachte, wie ich die letzten Wochen zwischen hier und Dans Wohnung gependelt hatte.
„Okay, aber dann sag Bescheid, falls du rübergehst."
"Ja, mache ich," erwiderte ich und ging hoch in mein Zimmer.
Davor legte ich jedoch noch meine Arbeitsklamotten direkt in die Waschmaschine, denn ich wusste jetzt schon, wenn ich diese trage, ohne zu wissen, wann sie das letzte Mal gewaschen wurden, würde ich mich komplett unwohl fühlen.

Mittlerweile stand die Sonne schon wieder weiter unten, ging langsam unter und färbte den Himmel rot und orange. Die Frühlingsbrisen waren verschwunden, ausgetauscht gegen einen kühlen Wind. Ich saß auf meinem Bett und zeichnete, begleitet von Musik. Ich hatte letzte Woche einen Kunstauftrag bekommen und sollte ihn bis übermorgen fertigbekommen.
Ich legte den Bleistift weg und betrachtete das Bild. Es war das Gesicht einer jungen Frau zu erkennen, das von einer Rose halb bedeckt war. Es klopfte an meiner Zimmertür und meine Mutter kam rein.
"Post für dich," meinte sie und gab mir einen dünnen Brief. Als sie das Zimmer verließ, öffnete ich etwas skeptisch den Brief, schließlich erwartete ich nichts.

Beim Aufreißen des Umschlags fiel ein kleines Kärtchen heraus. Verwundert hob ich es auf und las die handgeschriebenen Zeilen:

"Liebe Victoria, Hiermit laden wir dich herzlich zu unserem Fest ein.
Stattfinden wird dieses am Samstag, den 15. Juli, im Garten der Familia.
Wir würden uns freuen, dich zu sehen..."

Weiter las ich nicht. Ich wusste, wer der Absender war, und der Rest des Briefes interessierte mich nicht. Mit einem leisen Seufzer warf ich den Brief in den Müll.
Warum ausgerechnet jetzt? Ein halbes Jahr Ruhe gehabt, und nun melden sie sich wieder.
Ich wendete mich wieder dem Bild zu, doch es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Mein Kopf war voller Fragen, die beantwortet werden wollten. Doch ich wusste auch, dass ich dafür zum "Fest" müsste, wobei ich darauf eigentlich keine Lust hatte. Außerdem wäre sie nicht dort, meine geliebte Schwester. Halbschwester.
Es ist nun etwas mehr als ein halbes Jahr her, als sie von uns ging... unfreiwillig aus dem Leben genommen...
Ich merkte, wie mich das runterzog, versuchte die Gedanken zu verdrängen und ging runter zu meiner Mutter, um ihr zu sagen, dass ich zu Dan gehen würde.
„Mama, ich gehe zu Dan rüber," sagte ich, als ich die Küche betrat, wo sie gerade das Abendessen vorbereitete.
„Okay, Schatz..." antwortete sie, ohne aufzusehen, da sie gerade mit der Pfanne beschäftigt 
„Bleibst du noch zum Essen?" wollte meine Mutter wissen, die gerade am Kochen war. Ich nickte und holte vier Teller aus dem Schrank heraus.
„Ich geh eben die kleinen holen." sagte ich.
„Ey, ich bin größer als du." erwiderte mein Bruder, der gerade zur Tür hereinkam.
„Und trotzdem bist du mein kleiner Bruder." meinte ich neckend und ging grinsend an ihm vorbei, um Rose zu holen.
Die Tür war zu, ungewöhnlich denn ihre Tür stand normalerweise immer offen. Ich klopfte und lauschte, als ich nichts hörte, öffnete ich ein Spaltbreit die Tür.
„Süße? Das Essen ist fertig." sagte ich in den Raum rein, doch keine Reaktion war zu hören.
Ich machte mir irgendwie Sorgen...
Ich betrat nun also langsam ihr Zimmer...
Nur um sie dann seelenruhig mit Kopfhörern im Bett liegen zu sehen.
Ich konnte die Musik etwas hören und erkannte das Lied „Hold on".
Vorsicht trat ich näher und zog ihr den rechten Kopfhörer aus dem Ohr. Sie zuckte zusammen und riss ihre Augen auf.
"Boah hast du mich erschrocken"
„Entschuldigung Süße, das wollte ich nicht, aber du hast mich genauso erschrocken, mach bitte das nächste Mal deine Musik nicht ganz so laut. Aber genug jetzt, es gibt Essen"
„Danke, ich komme sofort."
Ich nickte, stand auf und wollte gerade das Zimmer verlassen, doch ich hatte ein komisches Gefühl.
„Sag mal, ist alles in Ordnung?"
„Ja natürlich." meinte Rose.
Ich schaute sie skeptisch an, ließ es aber dabei.
„Wenn du was hast, ich bin für dich da." sagte ich und verließ das Zimmer.
Unten in der Küche, setzte ich mich an den Tisch und einige Sekunden später, kam Rose auch schon.
Wir aßen und obwohl am Tisch gesprochen wurde, beteiligte ich mich kaum an dem Gespräch. Diese verdammte Einladung schwirr mir durch den Kopf.
„Gut, ich geh schon mal, sonst wird es noch spät." sagte ich als wir zusammen den Tisch abdeckten und ich meiner Mutter mit der Küche geholfen hatte.
„Grüß Dan von mir." meinte meine Mutter.
„Ja mach ich."
Es machte mich glücklich, denn wenn ich an den Anfang der Beziehung vor ein paar Jahren dachte, wo meine Mutter ihn noch nicht wirklich mochte, freute es mich so sehr, dass sich ihre Einstellung zu ihm geändert hat.
Ich schnappte mir meine Tasche und die Jacke vom Stuhl und verließ das Haus. Die Sonne war mittlerweile schon untergegangen, weshalb es etwas kühler war als den ganzen Tag über, aber dadurch das der Sommer wieder so warm ist, konnte man die jetzige Temperatur definitiv nicht als kalt bezeichnen.

Auf dem Weg zu Dan hörte ich Musik und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Die sanften Melodien in meinen Ohren halfen mir, mich zu entspannen, doch es dauerte nicht lange, bis meine Gedanken wieder zu dem Brief zurückkehrten, den ich erhalten hatte.
Warum meldete sich meine Familie jetzt wieder?
Warum diese plötzliche Einladung?
Ein halbes Jahr hatte ich nichts von ihnen gehört und gehofft, dass es so bleiben würde.
Hatte ich mich nicht klar ausgedrückt, dass ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollte?
Dass ich kein Teil ihrer Welt mehr sein wollte?
Der Schmerz und die Enttäuschung, die ich bei unserem letzten Kontakt empfunden hatte, kamen wieder hoch. Ich erinnerte mich daran, wie ich damals das Kapitel mit meiner Familie abgeschlossen hatte, in dem festen Glauben, dass es das Beste für mich war.
Doch jetzt... war alles wieder da, als wäre keine Zeit vergangen.
Ich war so tief in meinen Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkte, wie schnell die Zeit verging. Ehe ich mich versah, stand ich schon vor Dans Wohnung. Die Tür zum Treppenhaus stand offen, was mir einen erleichterten Seufzer entlockte, denn ich hatte keine Lust, jetzt noch nach meinem Schlüssel zu suchen. Ich trat ein und ging die Treppenstufen hoch, meine Schritte wurden langsamer, als ich mich der Wohnung näherte.
Während ich die letzten Stufen erklomm, holte ich den Wohnungsschlüssel aus meiner Tasche. Doch bevor ich die Tür aufschließen konnte, öffnete sich diese schon. Dan stand dort, als hätte er gespürt, dass ich kommen würde. Sein warmes Lächeln und die liebevollen Augen, die mich begrüßten, ließen die Anspannung in meinen Schultern etwas nachlassen.
„Du hättest ja kurz ne Nachricht schreiben können, dann hätte ich dich abgeholt."
„Ach die zwanzig Minuten kann ich auch laufen." erwiderte ich und küsste ihn als Begrüßung, worauf Dan mich zu sich zog.
„Na mein Engel, wie war dein Vorstellungsgespräch?" fragte er, während wir in seine Wohnung rein gingen.
„Ich habe den Job!" meinte ich wieder voller Euphorie.
„Ich wusste es, dass du es schaffst." erwiderte er und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
„Ging mir ein wenig zu schnell, aber ich will mich gar nicht beschweren."
„Wollte gerade sagen, sei doch froh, dass es ohne Probleme funktioniert hat." meinte er und stupste mir leicht in die Seite. Ich lachte leicht auf.
„Hast du schon was gegessen?" fragte er mich.
„Jap zu hause."
„Was kannst du froh sein, dass ich unter der Woche nicht koche." versuchte er beleidigt zu sein, doch sein grinsen verriet ihn.
Ich streckte ihm die Zunge entgegen, worauf er nur amüsiert grinste.
„Nicht so frech sein Kleine." sagte er und zog mich näher zu sich.
„Ach warum denn nicht?" meinte ich und drückte mich absichtlich leicht von ihm weg.
„Weil du sonst noch deine Probleme bekommst." lachte er böse und zwinkerte mir zu.
„Ach du bist doof." lachte ich.
„Ich weiß, du auch."
Damit zog er mich zu seiner Couch und deckte uns mit einer Decke zu. Er startete Netflix und setzte damit unsere Serie fort, die wir gemeinsam angefangen hatten. Ich kuschelte mich näher zu ihm und während er mir leicht über den Rücken kraulte, schauten wir schweigend die Serie.
Ab der zweiten Folge merkte ich jedoch, wie ich allmählich müde wurde und mir immer wieder die Augen zufielen.




Das Leben ist Magisch ~EntscheidungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt