6 uhr.

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Eine Decke war um mich gehüllt, als ich aufwachte, aber ich zitterte trotzdem. Es war still und dunkel und eine beklemmende Angst umhüllte mich wie ein stummer Begleiter. Ich setzte mich vorsichtig auf, hoffte, dass wenn ich nun neben mich blicken würde, dass Jules noch da war, dass er verschmitzt Lächeln würde und sagen würde, dass er für immer bei mir bleibt, doch das tat er nicht, denn die andere Seite des Bettes war leer. Verzweifelt suchte ich alles ab, spürte dabei den bitteren Schmerz in meiner Leistengegend und feuchte Tränen stiegen mir in die Augen.  Es war nichts mehr von ihm da, es lag keine Entschuldigung in Form eines Zettels oder keine Erklärung in Form eines winzigen Symbols da, da war nur ich, allein und völlig in mir selbst gefangen.

Ich wusste nicht, so überfordert schien ich, wohin ich mit mir sollte, mein Blick wanderte hoffnungslos durch mein gesamtes Zimmer, doch ich fand wirklich nichts. Ich fühlte mich betrogen, meinen Gefühlen beraubt und auf meiner würde herumgetrampelt. Eine schreckliche Erkenntnis machte sich in mir breit:

Er hat nur mit mir gespielt.

Das erste was ich spürte, war der eiskalte Schock, der sich an mich heftete und mich schwer fühlen ließ, erst dann trudelte der schmerz langsam ein. Ich hatte wohl doch mehr für ihn empfunden, als ich es zugeben wollte. Doch gerade, als ich mich selbst aufgeben wollte, hörte ich leise Schritte im Hausflur. Mit klopfendem Herzen stand ich auf und lief den Geräuschen nach. Doch ich war zu spät, die Tür schloss sich und dann suchte mein Apartment wieder stille heim. In Sekundenschnelle zog ich mir etwas über, hastete zur Tür und rannte die Treppen nach unten. Es schneite und es war kalt, doch ich konnte niemanden mehr erkennen. Es dämmerte allmählich und eine erbärmliche Träne lief mir die Wange hinunter.

Er war weg, verschwunden einfach so und hat unbewusst mein Herz mit sich genommen.

An einem Abend hatte ich alles verloren. Meine Unschuld, meine Moral und meine ach so wichtigen Prinzipien. Ich habe alles über Bord geworfen, so als hätte ich nie davon gehört, als hätte es nie existiert. Ich habe alles und alle hinter mir gelassen, -weggeschmissen und lodernd verbrannt. Alles fühlte sich taub an, und es war so still, dass ich mein pochendes Herz schlagen hören konnte. Mein Atem fühlte sich allein an, kalt und dunkel klangvoll, als wäre er eine düstere Melodie, die mich melancholisch verfolgte, als wollte sie mir beweisen, wie klein ich doch war. Ich war ein nichts, ein niemand, jemand unbekanntes, der das Leben nie kannte, oder je kennenlernen wird. Weiße, eisige Schneeflocken trafen meine bleiche Haut und ich irrte noch immer wie ein Unbekannter durch die mir so gut bekannten Straßen. Mein Kopf war fast leer, nur ein paar Gedanken schwirrten hin und wieder mal umher.

Wo war er, wo war er nur?

Ich schlenderte weiter, ich sah, wie gerade eine Bäckerei öffnete, das warme Licht erhellte ein wenig die dunklen Straßen und fasziniert blieb ich stehen. Mein leeres selbst spiegelte sich gespenstisch in der verwischten Fensterscheibe und so verloren musterte ich mich. Ein stumpfes Lächeln schlich sich aufdringlich auf meine Lippen und meine Augen weiteten sich ängstlich.

Ich? Das war ich nicht. Unentdeckt blieb ich versteckt hinter meinem zerbrochenen Spiegelbild, denn es gab kein ich mehr.

Und gerade, als ich dachte, ich würde zusammenbrechen unter all den düsteren Gefühlen, durchfuhr ein warmes Gefühl meinen Körper, als ich eine ältere Frau erkannte, in rotem Aufzug -und eine lustige Mütze versteckte ihre grauen Haare, die sich trotzdem noch kringelnd ihren Weg nach draußen bahnten. Sie lächelte verträumt und dekorierte die Theke mit einer flackernden Lichterkette. Der kühle Wind durchzog meinen schmalen Körper und ich presste nach halt suchend meine Hände gegen das Glas. Eine tiefe Stimme, ein heiseres lachen und nüchterne Worte durchzogen meinen Kopf und für einen kurzen Moment hatte ich Glück empfunden. Es schien friedlich in den Straßen, liebevoll erinnerte ich mich an alles zurück und ich fühlte mich irgendwie dennoch vollkommen.

Es fühlte sich friedlich und feierlich an, denn es war Weihnachten.
ENDE

𝟐 𝐀𝐌 || [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt