Kapitel 3

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„SO EIN MIST, dachte Sascha. Da brauchte man mal einen vollen Mülleimer, und was war? Gähnende Leere. Er riss den Brotkasten auf. Ein paar trockene Scheiben, immerhin. Die Äpfel in der Obstschale sahen auch schon ein bisschen verschrumpelt aus. Weg damit. Waren die beiden Bananen nicht überreif? Rein in den Abfall. Schon hörte er nebenan die Tür erst aufgehen und dann mit einem lauten Knall zuschlagen. Er schnappte sich den Eimer und verließ die Wohnung. Unter ihm, irgendwo auf der Treppe, klatschten Flip-Flops. Und in der Luft hing noch der Duft von Pfirsichshampoo.
Ich lade sie einfach ein, dachte er, während das Herz ihm bis in den Hals pochte, ganz beiläufig, so als würde es mir gerade eben erst einfallen.
Als er in den Hof kam, kämpfte Joy gerade mit dem Deckel des Müllcontainers, der wie immer klemmte. Sie trug knallenge Leggins und ein locker sitzendes Träger-Shirt, und sie sah verdammt gut darin aus. Er nahm sich einen Moment, um sie zu betrachten.
»Warte«, rief er dann, »ich helf dir.«
Joy wandte den Kopf."

„»So ein Glück«, sagte sie.
Glück - von wegen! Durch die offenen Balkontüren hatte Sascha gehört, wie Joys Mutter ihr befahl, den Müll runterzubringen. Seit Tagen lauerte er auf so eine Gelegenheit. Tage und Nächte, in denen er viel zu viel an Joy gedacht hatte. Jener eigentlich belanglose Moment, in dem er ihr Rad gehalten hatte, kam ihm immer mehr vor wie der vergoldete Anfang von irgendwas. Er wusste nur noch nicht, von was.
»Wegen dem bisschen Müll rennst du extra runter?«, fragte sie, als sie den kümmerlichen Inhalt seines Eimers sah.
»Biomüll fängt bei der Hitze doch so schnell an zu stinken«, erklärte er rasch, »außerdem zieht er diese kleinen Fliegen an, und die hasse ich.«
Sascha stemmte den Deckel des Müllcontainers hoch. Joy warf ihre zum Platzen volle Tüte hinein, Sascha leerte seinen Eimer. Hatten ihre nackten Arme sich wirklich berührt, oder bildete er sich das nur ein?
»Muss Biomüll nicht da rein?« Sie deutete auf die braune Tonne.
Er grinste. »Zu spät.«
Gemeinsam gingen sie zurück ins Haus. Es war höchste Zeit, etwas zu sagen. Doch er hatte alle Gesprächsthemen, die er sich zurechtgelegt hatte, vergessen. Zum Glück brauchte er sie auch nicht, denn Joy sagte: „»Ist deine Mutter wirklich bei der Kripo?«
»Woher weißt du das?«
»Meine Mutter hat es irgendwo aufgeschnappt.«
Ob sie das von seinem Vater auch schon wusste? Wahrscheinlich. Er hoffte nur, dass sie es nicht ansprach. »Das ist gar nicht so aufregend, wie man denkt«, sagte er. »Was macht denn deine Mutter?«
»Total öde. Sie ist Lehrerin. In der Schule ist sie angeblich richtig cool. Als Mutter kann sie dafür ziemlich nerven. Na ja, nicht mehr lange. Ende Dezember werde ich achtzehn, dann ziehe ich aus.«
BUMM! Das saß. Achtzehn - also über ein Jahr älter als er! Wie sollte ein praktisch total unerfahrener Junge das wettmachen? Das war ungefähr so aussichtsreich, wie barfuß auf den Mount Everest zu steigen.
»Und wo willst du hinziehen?« Sascha versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen.
Sie zuckte mit den Achseln. »Weiß nicht. Möglichst weit weg. Nicht wegen meiner Mutter, so schlimm ist sie auch wieder nicht. Aber man muss doch mal was Neues kennenlernen, oder?«
»Klar.«
»Und du? Was hast du später vor?«"
„»Keine Ahnung.« Dann fiel ihm doch etwas ein. Etwas, das sie vielleicht beeindrucken würde. »Ich wäre gerne Künstler.«
Ihre schönen, großen Augen wurden noch ein bisschen größer und schöner. »Echt? Das ist ja abgefahren. Malst du, oder was machst du?«
»So was in der Art. Ich zeichne. Comics, hauptsächlich.«
»Wirklich? Ich liebe Comics! Darf ich mal was von dir sehen?«
»Klar.«
»Wenn du nichts dagegen hast, komm ich gleich zu dir rüber.«
»Kein Problem.«
Bingo! Saschas Herz schwappte fast über vor Glück. Das war ja besser gelaufen als erwartet. Joy in seinem Zimmer - nicht auszudenken!
Sie waren auf ihrem Stockwerk angekommen. Joy steckte den Schlüssel, den sie die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, ins Schloss. »Gib mir fünf Minuten«, sagte sie.
»Ich lass die Tür angelehnt. Brauchst nicht zu klingeln. Komm einfach rein.«
Künstler, dachte er nervös, als er wenig später in seinem Zimmer hektisch die schmutzigen T-Shirts, Socken und Shorts beseitigte. Eigentlich war das ganz schön übertrieben. Zeichnen war immer bloß ein Hobby gewesen. Aber es gab nun mal nicht so viele Dinge, mit denen er ein Mädchen, noch dazu ein so tolles und mehr als ein Jahr älteres, beeindrucken konnte."

"Stirb leise,mein Engel"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt