Kapitel 6

38 3 2
                                    

Als ich am nächsten Morgen zum Schulbus gehe bin ich so schlecht drauf wie schon lange nicht mehr. Ellie und ich haben bis jetzt alles versucht, sogar einen Aufruf auf Facebook gestartet, aber bis jetzt war alles erfolglos. Leider. Eigentlich habe ich alles andere als Lust auf Schule, aber laut meinem Arzt muss ich da ohnehin nur noch zwei Wochen hingehen und das halte ich schon irgendwie aus. Außerdem tut mir die Ablenkung wahrscheinlich auch ganz gut.

Missmutig stecke ich mir meine Kopfhörer in die Ohren und schließe die Augen. Das letzte Lied, das ich gehört habe, war Heart upon my Sleeve von Avicii und komischerweise passt es genau zu meiner Stimmung und zu meiner Situation.
Where are you? Where are you? I know that I need you most and a heart upon my Sleeve broken down...

Mit jedem Ton vergesseich die Welt um mich herum mehr und mehr und bemerke den herannahenden Bus erst, als er vor mir zischend die Türen öffnet.

"Willste nich einsteigen?", fragt Matti, der Busfahrer. Seit über sechs Jahren fährt er diesen Bus und kennt mich mittlerweile fast schon zu gut. Auch wenn er manchmal sehr starken Dialekt hat, ist er immer freundlich und hilfsbereit zu allen Schülern und ich bin da keine Ausnahme.

"Doch, doch", sage ich hastig, nehme meine Sachen und steige in den Bus. Eine Welle von Hitze schlägt mir entgegen und sorgt dafür, dass mir das Blut in die Wangen schießt. Zusammen mit meinem blassen, ungeschminkten Gesicht und meinen zerzausten Haaren (die ich unter einer Mütze versteckt habe) ist das sicher die schlimmste Kombination, die es gibt.

"Ist alles in Ordnung mit dir?", fragt Matti, als er meine Fahrkarte für diese Woche unterschreibt und sieht mich besorgt an. Ich versuche ein Lächeln, aber anstatt zu gelingen, biegen sich meine Mundwinkel nach unten und hinter meinen Augenlidern brennt es schon wieder verräterisch. Ich will mich umdrehen und weitergehen, bevor Matti das merkt, aber zu spät. Er hat bereits bemerkt, dass etwas nicht stimmt und legt mir kurz die Hand auf die Schulter. "Wird schon wieder", sagt er aufmunternd und lächelt mich an. Wenn er nur wüsste...

Irgendwie bringe ich ein Nicken zustande und drehe mich um, um einen Platz zu suchen. Der Bus ist schon ziemlich voll und es ist kaum noch etwas frei, aber ich finde trotzdem eine freie Zweierbank und setzte mich ans Fenster.

Es dauert nicht lange, bis der Bus auch schon losfährt und ich will gerade meine Musik wieder anmachen, da bremst Matti so heftig, dass ich an den Vordersitz geschleudert werde. Alle anderen um mich herum recken die Hälse, um besser sehen zu können, was da vor sich geht und ich nutze die Gelegenheit, ein bisschen weiter in dem Sitz zu versinken. Je weniger Aufmerksamkeit, desto besser.

"Ist hier noch frei?", höre ich plötzlich eine Stimme neben mir und ich wirble herum. Vor mir steht ein Junge, vielleicht ein, zwei Jahre älter als ich und sieht mich an. Sowohl seine Haare, als auch seine Augen haben einen dunklen Braunton, der mich irgendwie an Schokolade erinnert. Er trägt eine schwarze Lederjacke und ein weißes Shirt auf dem irgendein Spruch steht und grinst mich schief an.

"Ja klar", sage ich resigniert und sehe wieder aus dem Fenster. Und obwohl ich mich von dem Jungen weggedreht habe, spüre ich seine Blicke in meinem Rücken. Langsam drehe ich mich um - und tatsächlich: Er mustert mich immer noch mit einem undurchdringlichen Gesichtsausdruck. Unauffällig drehe ich die Lautstärke ein bisschen höher und versuche ihn zu ignorieren. Das letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist ein Gespräch mit einem Typen, den ich nicht kenne. Ich ziehe meine Mütze ein wenig zurecht und lehne mich zurück. Soll er doch schauen. An mir findet er sowieso nichts und das ist auch besser so. Ich brauche jetzt keine neuen Kontakte, ich werde sie sowieso nur verletzen und dann verlieren.

Außerdem könnte ein Typ wie er viel hübschere, beliebtere und witzigere Mädchen ansprechen als mich. Ich sehe an mir herunter. Ausgerechnet heute muss ich das älteste, verwaschenste Oberteil anhaben, das ich besitze. Wieso ausgerechnet heute?  Aber das sollte  mir ja eigentlich egal sein, schließlich kann er von mir denken, was er will. Ich werds eh nie erfahren.

Draußen fängt es an zu schneien. Viele kleine Eiskristalle werden gegen die Fensterscheibe geschleudert und bleiben teilweise daran hängen. Jede noch so kleine Flocke hat ein einzigartiges Muster und das fasziniert mich irgendwie. Ist es nicht verrückt, dass es so unglaublich viele Schneeflocken gibt und dennoch keine zweimal vorkommt? Und ist es nicht grausam, dass mir jetzt erst auffällt, wie einzigartig und wertvoll das Leben eigentlich ist? Vorsichtig drehe ich meinen Kopf Stückchen für Stückchen vom Fenster weg und schiele auf den Platz neben mir. Der Junge schaut inzwischen nicht mehr zu mir, sondern geradeaus, aber irgendwie muss er mich doch bemerkt haben, denn er fängt meinen Blick auf und lächelt ein bisschen. Hastig drehe ich mich wieder weg, aber so schnell gibt er sich nicht geschlagen.

"Wie heißt du eigentlich?", fragt er mit einer Spur Neugier in der Stimme.

"Melanie", erwidere ich kurz angebunden.

Der Junge fährt sich durch die Haare. "Ich bin Henry."

Ich überlege gerade, ob und vor allem was ich antworten soll, da legt Matti plötzlich eine Vollbremsung hin. Zum Zweiten Mal an diesem Morgen werde ich heftig in meinen Sitz geschleudert, aber jetzt fährt der Bus nicht einfach weiter, sondern röchelt kurz und bleibt dann stehen. Mitten in einem kleinen Schneesturm, auf einer völlig verlassenen Landstraße.

----------------

Eigentlich wollte ich die Originalversion von heart upon my Sleeve noch hochladen, aber irgendwie gibt's das hier nicht... :(  Ich hab mir ein paar Cover angehört und mich für das entschieden  

Hat zwar leider keinen text, aber ich hoffe, es gefällt euch trotzdem :) <3

Also ich persönlich mags irgendwie :b

Wie seht ihr das?

150 Seiten *on hold*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt