„Aya bitte." Mirai sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich stehe nur wenige Meter von ihr entfernt. Blut rinnt ihr Gesicht hinab und färbt ihr blondes Haar karmesinrot. Sie streckt die Hand nach mir aus. „Aya!" Als sie fällt, falle ich mit ihr. Tief hinab ins Nichts.
Die Dunkelheit legt sich, ich fühle ein reißen an meinem Arm. Ich blinzle. Shinrai hält meine Hand. Nein, er hält sich fest. Ich knie am Rand eines Abgrundes. Shinrai klammert sich an mich. Bittend. Flehend. Ich bin der einzige Halt, der ihm vor dem Absturz bewahrt. Und ich...lasse los.Ich schrecke hoch. Mein Herz schlägt viel zu schnell und viel zu laut. Ich sehe nichts, greife nach rechts und knipse meine Lampe an. Eine einzelne Träne rinnt meine Wange hinunter und ich wische mir mit den Händen über das Gesicht. Ich atme langsam ein und wieder aus, um meinen Puls zu beruhigen. In letzter Zeit häufen sich diese Träume. Ich hatte gehofft es würde besser werden, doch das tut es nicht. Im
Gegenteil. Draußen ist es tiefste Nacht. Nur gedämpft dringt das Licht einiger Laternen und vorbeifahrender Autos durch den Vorhang. Ich stehe auf und gehe lautlos aus meinem Zimmer, den Flur entlang. Vor Jihas Zimmer bleibe ich kurz stehen und lausche. Es ist kein Geräusch zu vernehmen. Ich setze meinen Weg fort. Die Fliesen der Küche sind kalt unter meinen Füßen, als ich sie betrete. Ich beeile mich eine Kanne mit Wasser auf den Herd zu stellen. Dann öffne ich den Schrank und stelle eine kleine blaue Keramiktasse heraus. Ich laufe zurück ins Wohnzimmer und schiebe langsam meine Terrassentür auf. Auf Zehenspitzen gehe ich durch meinen kleinen Garten um einige der letzten Teeblätter zu pflücken, die dieses Wetter noch zugelassen hat. Wieder zurück in der Küche gieße ich das warme Wasser auf. Ein wohliger Geruch zieht in meine Nase und beruhigt mich augenblicklich. „Mirai, das Mädchen auf den Bildern verstand es grünen Tee zuzubereiten. Ich liebte ihre Tees. Sie hatte immer eine Geschichte dazu auf der Zunge und war nie um einen Rat verlegen. Und Rat war bei meinen Künsten mehr als Angebracht." Ich drehe mich um und sehe in Jihas blasses Gesicht. Er lehnt in der Tür und hat eine Hand in den Nacken gelegt. „Kannst du auch nicht schlafen?", frage ich und nehme eine weitere Tasse aus dem Schrank. Wenige Minuten später sitzen wir auf dem Boden vor meiner Terrassentür und schauen in die Nacht. „Der Mond." sagt er nun und blickt hinauf in den Himmel. „Ich bilde mir ein, er ist Schuld. Sein Licht und seine Aura." Er macht eine Pause und nimmt einen kleinen Schluck des Tees. „Aber vermutlich sind es einfach die vielen Gedanken, die mir durch den Kopf huschen. Sie wollen einfach keine Ruhe geben." Er sieht mich an und lächelt sacht. „Aber ich bin ja nicht der Einzige." Ich nicke. „Jiha, erinnerst du dich an etwas. An dein vorheriges Ich?" Er schüttelt den Kopf. „Bisher nicht. Ich weiß, dass es sein kann, dass ich mich an Teile erinnere." „Die wenigsten Erinnern sich an das vorherige Leben. Manche jedoch an all das Wissen, welches angesammelt wurde oder zumindest an Teile dessen." „Kanntest du mich? Also ihn?" Ich seufze „Nein, nicht direkt. Natürlich kommt man mit vielen Göttern in Kontakt und ich kannte dein Gesicht ebenso wie deinen Titel. Dein Haar ist ja auch nicht wirklich unauffällig. Aber direkten Kontakt hatten wir nie. Oft vertragen sich Gnade und Gerechtigkeit nicht." „Oft entsteht doch Gnade nur aus Gerechtigkeit. Und Gnade kann der Schlüssel zur Gerechtigkeit sein. Alles ist Verbunden." Ich bin überrascht über die Tiefgründigkeit seiner Aussage. Er wirkte auf mich bisher eher ein wenig verloren. Als sei er noch nicht wirklich angekommen. Als sei sein Geist in weiter Ferne. „Ich weiß das alles ist erstmal viel, aber du gewöhnst dich daran, das verspreche ich." Ich lege ihm kurz meine Hand auf die Schulter und lächle. Ich bin selbst von mir überrascht. Er ist gar nicht so übel, vielleicht tut es mir gut eine Zeit lang nicht allein zu sein. Doch das wird sich noch heraus stellen. Jiha rutscht unbehaglich hin und her und stutzt kurz bevor er fragt: „Wer war sie. Also Mirai meine ich." Ich wusste, dass er mich danach fragen würde und ich nehme es ihm nicht übel. Ich stelle meine nun leere Tasse neben mir auf den Boden und stütze meine Hände nach hinten auf den Boden ab. Mirai und Shinrai waren meine Begleiter. So genannte Seelen." Jiha nickt, doch ich sehe ihm an, dass er nicht weiß wovon ich spreche. „Wenn man Glück hat, begegnet man ihnen in seinem Leben. Es kommt vor, dass ein Gott eine Seele an seiner Seite hat, selten jedoch, dass es mehrere sind. Sie sind Wegweiser, Helfer und wenn es darauf ankommt, würden sie mit dir in den Kampf ziehen und bis zum Ende gehen." Jiha zieht fragend seine Augenbrauch zusammen. „Aber was sind sie? Waren es einst Menschen?" Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht waren es Menschen, vielleicht sind es einstige Götter. Vielleicht ist es aber auch nur fleischgewordene Energie, welche uns der Himmel schickt. Tut es denn zur Sache was sie sind?" Er nickt nur. „Und wie findet man sie?" „Man findet sie nicht. Sie finden uns. Wenn sie sich dir anschließen, schwören sie dir bedingungslose Treue und Loyalität. Es ist kaum ein Fall bekannt, in dem eine Seele seinem Meister den Rücken zugekehrt hat, nachdem sie sich ihm einmal angeschlossen hatte." „Und Mirai und Shinrai? Ich meine, du sagtest mehr als eine Seele ist selten." Ich nicke und schaue wieder zum Mond hinauf. „Ja, ich hatte großes Glück. Sie waren mehr als nur meine Begleiter. Sie waren...meine Familie." Ich merke wie er ansetzt eine weitere Frage zu stellen und ich weiß, was das für eine Frage sein wird, also komme ich ihm zuvor. „So, nun sollten wir versuchen wieder zu schlafen. Man weiß nie was einem ein neuer Tag bringen mag." Ich nehme ihm seine Tasse ab und bringe sie in die Küche. Ich höre wie er mir bis zur Tür folgt. „Danke Ayame, ihr habt mir geholfen wenigstens ein Paar meiner wirren Gedanken zu ordnen." Damit macht er auf dem Absatz kehrt und das nächst was ich höre, ist das leise klicken, als seine Zimmertür in ihr Schloss fällt. Ich umgreife mit meinen Händen den Rand des Waschbeckens und drücke so fest zu, das meine Fingerknöchel weiß hervor treten. Ich lasse meinen Kopf nach vorn fallen und versuche mich nicht meinen Gefühlen hinzugeben. Ich werde ins Bett gehen, doch ich werde nicht schlafen und falls doch, werde ich mir wünschen es nicht zu tun.Es ist noch früh am Morgen, als ich mich aus dem Bett quäle. An Jihas Tür bleibe ich kurz stehen und klopfe. "Steh auf, wir müssen einkaufen. Wenn du schon hier bist, kannst du mir auch dabei helfen." 15 Minuten später steht er fröhlich und munter in meiner Küche. Ich hoffe er ist keiner dieser Morgenmenschen. „Einen wunderschönen guten Morgen." flötet er. Er ist einer dieser Morgenmenschen. Na toll. Dennoch erstaunlich. Ihm schien es auch schwer gefallen zu sein, Schlaf zu finden. Doch das sieht man ihm kein Stück an. Im Gegenteil, er wirkt wie frisch aus dem Ei gepellt. Ich ziehe mir meine Jacke über und gehe in Richtung der Haustür. „Kaufen wir Lebensmittel ja?" Ich drehe mich zu ihm um. Er trägt ein langes weißes Gewand, dessen Ärmel so weit ausgeschnitten sind, dass deren langes Ende fast den Boden berührt. „Ja wir kaufen Lebensmittel und..." ich deute mit dem Finger an seinem Körper hoch und runter „...ich weiß nicht wer dir gesagt hat, du solltest so etwas tragen aber wir leben momentan im 21. Jahrhundert." Er macht große Augen und sieht an sich herab. „Was ist damit, gefällt es Euch nicht? Tomoko hat es mir ausgesucht." Ich muss schmunzeln. War ja klar. Tomoko liebt Tradition und versucht sie wann immer es möglich ist weiterzugeben und zu verbreiten. Nur leider ist dieser Aufzug nichts für das alltägliche Leben. Es würde ihn nur behindern. Ich trete aus der Tür und wie, um meine Gedanken zu unterstreichen stolpert Jiha über den ersten Stufenabsatz nach unten zu mir auf die Straße. Blitzschnell packe ich ihn am Kragen damit er nicht Kopf voraus auf den Fußweg knallt. Er läuft knallrot an und nuschelt ein betretenes Danke. „Versuch einen Ortssprung." Verdutzt sieht er mich an. „Wie mach ich das." „Stell dir den Ort vor wo du hin willst, berühr dein Mal am Handgelenk und konzentrier dich. Wir wollen ins Einkaufszentrum in der Stadt." „Aber ich weiß doch gar nicht wie das aussieht." Ich zwinkere. „Lass dir was einfallen." Damit schließe ich meine Augen und verschwinde.

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Ayame of Fate
FantasyDank den Menschen existieren sie, durch ihre Wünsche, Träume und Sehnsüchte entstehen sie. Doch werden sie vergessen, verschwinden sie.