Kapitel 10: Rot und Blau

169 5 1
                                    

Gute Laune sah anders aus, so viel war schonmal klar. Zwar ging es mich nichts an, aber ich fragte mich, was ihm für eine Laus über die Leber gelaufen war. Kusanagi-san hatte offenbar die gleiche Frage, so wie er ihn anschaute. Die anderen versuchten, ihn zu ignorieren.

"Ist was passiert?", fragte Kusanagi-san schließlich.

Der Barkeeper erhielt einen vernichtenden Blick. "Die Blauen sind passiert."

Fragend schaute ich Kusanagi-san an, doch der Rothaarige hob die Hand, um ihn vom Antworten abzuhalten. Ich zuckte zusammen, als seine bernsteinfarbenen Augen mich musterten. "Du bist neu hier, oder?"

"Ja." Hatte der eigentlich schonmal von Höflichkeit gehört? Wenigstens ein bisschen davon wäre schön gewesen.

"Kein Wunder", meinte er und seufzte. "Ich bin Suoh Mikoto, der König vom roten Clan. Der blaue Clan und wir kommen nicht gut miteinander aus." Er schaute mich kurz schweigend an, bevor er hinzufügte: "Munakata ist übrigens der König des blauen Clans."

Völlig perplex schaute ich ihn an. Was redete er da? Ging es Suoh-san gut?

"Wo wir schonmal dabei sind: Ihr hattet wieder eine Auseinandersetzung, richtig? Ist etwas beschädigt worden?", fragte Kusanagi-san.

Suoh-san starrte auf die Tischplatte und schwieg. Also ja.

"Ist er okay?" Ich hätte mich dafür ohrfeigen können, dass mir die Frage rausgerutscht war. Sie war so unpassend und auf ein Missverständnis konnte ich wohl nicht hoffen. Ich konnte keinesfalls Suoh-san gemeint haben, sondern nur eindeutig Munakata-san.

Suoh-san warf diesmal mir einen vernichtenden Blick zu, dann aber seufzte er. "Das ist süß von dir", meinte er schließlich lächelnd.

Was war das denn jetzt? Ich dachte, er war sauer? Und was war das überhaupt für eine Antwort?

"Suoh-san", mischte sich Ayame ein.

"Was denn?" Er blieb gelassen und wirkte in seinem Tonfall schon fast müde.

"Beantworte doch einfach ihre Frage", sagte sie und nippte an ihrem Wasser.

"Ja, es geht ihm gut", antwortete er schmunzelnd.

"Das ist gut", murmelte ich. Ich war davon erleichterter als ich hätte sein sollen. Aber das spielte im Moment keine Rolle. Überhaupt hatte ich gerade weder Zeit noch Lust, mir darüber Gedanken zu machen, wie angemessen meine Erleichterung war. Suoh-san hielt anscheinend wenig von Manieren, war ziemlich direkt und gab zudem noch Antworten, nach denen keiner gefragt hatte. Für mich war er ein Buch mit sieben Siegeln und ich hatte keine Ahnung, wie ich mit ihm umgehen sollte.

"Du solltest dir keine Sorgen um ihn machen. Der kommt schon klar", versicherte Suoh-san mir.

"Tue ich aber", erwiderte ich. Nun war es raus: Ich sorgte mich um Munakata-san. Na und? Nach dem Gespräch eben wusste das sowieso schon jeder im Raum.

Der Rothaarige lachte. "Da bin ich ja mal gespannt", meinte er nur, bevor er aufstand und ging.

Wir alle schauten ihm hinterher, bis die Tür zufiel. Okay... Was wollte er damit sagen? Naja, eigentlich wusste ich das. Die Frage war eher, warum er das gesagt hatte. Und hoffentlich hielt er die Klappe, wenn er Munakata-san das nächste Mal über den Weg lief! Wenn er schon davon erfuhr, dann bitte von mir. Was dachte ich da überhaupt? Ich merkte, wie ich rot wurde. Oh, nicht jetzt! Ohne nachzudenken sprang ich auf, rief "Ich brauche frische Luft!" und rannte raus.

Draußen lehnte ich mich an die kühle Mauer und schaute nach oben. Die Sonne war schon fast untergegangen und ersten Sterne standen sicher schon am Himmel. Verdammte Lichtverschmutzung, dachte ich. Ich wendete meinen Blick wieder vom Himmel ab und beobachtete die vorbeifahrenden Autos. Konnte Suoh-san sich nicht einfach wie ein normaler Mensch verhalten? Ob er nun normal war oder nicht, er konnte sich doch wenigstens so verhalten. Munakata-san schaffte das doch auch! Ich seufzte. Was sollte ich von Munakata-san halten? Was von Suoh-san? Zweiteres war leichter zu beantworten: Es würde mir nicht gefallen, ihn wiederzusehen; seine Umgangsform war fürchterlich und von Zurückhaltung hatte er wahrscheinlich noch nicht gehört. Aber was war mit Munakata-san? Ich wollte ihn wiedersehen, kennenlernen und ich machte mir Sorgen um ihn. Oder kurz gesagt: Ich musste mir eingestehen, dass ich in ihn verknallt war. Aber ich wollte diese Gefühle nicht, weil ich wusste, dass ich nicht bleiben konnte, und ich wollte den Schmerz nicht spüren, wenn ich ging. Was sollte ich bloß tun?

Plötzlich ging die Hintertür auf und Anna-chan kam zusammen mit Tostuka-san raus. Als die beiden mich an der Hauswand stehen sahen, kamen sie auf mich zu. Tostuka-san streckte den Arm aus und wollte mir die Hand auf die Schulter legen, ließ es aber bleiben. Anna-chan schaute besorgt zu mir auf. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so schauen konnte. Aber ich kannte sie auch noch nicht lange.

"Hallo", begrüßte ich die zwei leise und zwang mich zu einem Lächeln.

"Was ist passiert?", wollte Tostuka-san wissen.

Ich schüttelte den Kopf. "Ist schon gut."

"Es stimmt etwas nicht. Bist du sicher, dass du nicht darüber reden willst?", beharrte Anna-chan.

Eine Weile schaute ich sie an, dann seufzte ich laut und ließ dabei die Schultern sinken. "Ich bin in jemanden verliebt. Glaube ich. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich mit dieser Person Kontakt aufnehmen soll. Ich meine, was soll ich sagen?"

"Wer?", fragte Anna-chan.

"Rede einfach mit ihm", meinte Tostuka-san.

Ich schaute ihn an. "Aber über was?"

Der junge Mann zuckte mit den Schultern. "Naja, du bist nicht von hier. Du könntest ihn also nach sehenswerten Orten fragen. Oder wo er mal hin will. Oder ihr könntet über Sport reden. Oder Filme. Oder Musik. Oder frag ihn nach seinen Hobbys." Er lächelte aufmunternd.

"Danke, Totsuka-san", lächelte ich zurück.

"Gerne." Er lehnte sich etwas vor. "Aber du kannst mich auch Tatara nennen."

"Okay. Dann nenn mich Klara."

"Sicher."

Bevor ich noch etwas sagen konnte, ging die Tür auf. Namiko kam raus und stellte sich zu uns, als sie uns sah.

"Ich wollte nach dir sehen. Ist alles in Ordnung?", erkundigte sie sich.

Ich nickte. "Alles Bestens." Naja, 'bestens' noch nicht, aber besser auf jeden Fall.

Namiko lächelte. "Das ist gut. Kommst du wieder rein?", fragte sie.

"Ja." Ich kurz vor der Tür drehte ich mich nochmal um. "Danke nochmal!", rief ich Tatara-kun zu. Er nickte.

Drinnen saßen die anderen beiden selbstverständlich immernoch auf ihren Plätzen, aber Kusanagi-san saß mittlerweile auch. Und zwar auf meinem Platz. Aber ich sagte dazu nichts und setzte mich auf den freien Platz neben ihm.

"Geht es jetzt wieder?", erkundigte er sich.

Ich nickte. "Ja, dank Tatara-kun und Anna-chan."

"Das freut mich." Er wendete sich an Suzume. "Es ist schon fast dunkel draußen. Vielleicht solltet ihr langsam gehen. Ich meine, wenn es euch lieber ist, nicht bei Nacht zu gehen."

"Ehrlich gesagt schon", meinte Suzume.

Ayame stimmte dem zu. Namiko allerdings seufzte, nickte aber dann. Mir blieb damit wohl auch nichts anderes übrig als zuzustimmen. Kusanagi-san war echt nett und die anderen auch, abgesehen von Suoh-san und dem Typ mit dem Baseballschläger. Zumindest beunruhigte er mich. Suzume bezahlte die Rechnung und wir verabschiedeten uns.

Der Weg nach Hause verlief ohne irgendwelche Zwischenfälle, worüber ich wirklich froh war. Nur mein Blick auf die Tür neben der WG konnte man als ungewöhnlich bezeichnen. Obwohl es nicht der Blick selber war, sondern viel mehr die Tatsache, dass Ayame mich hinter sich in die Wohnung ziehen musste, weil ich nicht mitbekommen hatte, dass Suzume die Tür schon aufgeschlossen hatte.

Auch der restliche Abend war ruhig. Ayame kochte und wir schauten einen Film. Jedenfalls wollten wir einen schauen. Am Ende wurden zwei daraus und dementsprechend gingen wir kurz nach Mitternacht ins Bett. Jedoch konnte ich nicht gleich einschlafen. Was Suoh-san gesagt hatte, ging mir nicht aus dem Kopf. Er war der König des roten Clans und Munakata-san König des blauen Clans. Und die beiden Clans kamen nicht gut miteinander aus. Aber was hieß das, König? Es bedeutete, die beiden führten die Clans an, klar, aber da war noch etwas anderes, oder? Und ich durfte 'Clan' wohl nicht so verstehen, wie ich es Zuhause getan hätte. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass das falsch gewesen wäre. Ja, mein Gefühl sagte mir, dass das hier etwa Neues war und wahrscheinlich auch etwas Besonderes. Nur was das war, dass musste ich wohl noch herausfinden. Vielleicht wussten die anderen etwas. Ich sollte sie fragen, aber nicht mehr heute.

Between Worlds ❌Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt