Fremde Ufer

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Die Sonne stand bereits im Zenit, als sie ihr Antlitz auf den Weiten der See niederließ und sich derweil im Blau des wolkenlosen Himmels zu verlieren schien. Ihr warmes Gold erstreckte sich gänzlich über dem Meer, bis sich ihre Strahlen schließlich am Horizont vereinten und das eigentlich trist aussehende Gewässer zu einem funkelnden Farbenspiel erglänzen ließen.

Mit verschränkten Armen war sie gegen die hölzerne Reling des Schiffes gelehnt, während sie mit müdem Blick den Wellengang beobachtet, welcher sich fast rhythmisch seinem Bewegungen hingab. Gleichend einer Art Trance, verfolgte ihr Augenmerk die Wogen des Wassers. Wie sie aus dem Nichts heraus zu entstehen schienen, unbeirrt über die Wasseroberfläche glitten, um schließlich als Gischt zu zerschäumen, sobald sie am Schiff aufprallten.

Selveigh wusste nicht, wie lange sie nun schon in dieser Haltung verharrte und sehnlichst darauf wartete, ans Festland zurückzukehren. Doch einem war sie sich gewahr – wenn ihre Ankunft nicht alsbald bevor stünde, dauerte es nicht mehr lange, bis sie und ihr Verstand sich entzweien würden.

Und als hätten in jenem Moment die Götter ihr inneres Flehen erhört, hallten die melodischen Klänge eines Rufhorns in der Luft. Niemals hätte sie gedachte, dass sie diesen Klang jemals als derart lieblich empfinden konnte.

Ihr Blick war nun auf das Ufer eines Fjords gerichtet, an dem sich Umrisse eines Dorfes abzeichneten.

»Wir sind da«, fand nun plötzlich eine raue Stimme Geleit in ihr Gehör, woraufhin sie sich vom Ufer abwandte, um ihr Zugehörigkeit verschaffen zu können. Sie sah nun an einem Mann hinauf, der wahrlich vom Leben gezeichnet war und dessen Gesicht nur vermuten ließ, welche Geschichten sich dahinter verbargen.

Es erzählte von überstandenen Schlachten, von Sieg und Verlust. Von Liebe und Abscheu und ein wenig Reue, die sich im Blau seiner glasigen Augen spiegelte. Und es war die fingerbreite Name, die sich von seinem Brauenbogen, über sein linkes Auge, bis hin zu seiner Wange zog und die einem verriet, dass das Leben niemanden verschonte.

Ihr Vater war nie jemand gewesen, der seine eigene Person in den Vordergrund stellte. Stattdessen war er für Selveigh stets eine Art Geheimnis gewesen. Und dies war etwas, was sie keineswegs bedauerte, denn sie wusste, dass es Dinge im Leben ihres Vaters gab, von denen sie nicht bewandert sein wollte. Sie würden lediglich das Bild zerstören, welches sie seit Anbeginn ihres Denkens aufrecht erhielt. Das Bild eines liebevollen Vaters, der stets das Wohl anderer übersein eigenes stellte und Konflikte mit dem Gebrauch weiser Worte zu lösen vermochte.

Es war ein Trugbild, das weder der Realität noch der Wahrheit entsprach, doch es war die Art und Weise, wie sie ihren Vater sah und wie er von ihr gesehen werden wollte. Und auch, wenn Aegir in gewisser Hinsicht nicht nur seine Tochter, sondern auch sie selbst belog, so war es für ihn der richtige Weg die Dinge zu handhaben. Nicht, um sich gut dastehen zu lassen, sondern, um das zu schützen, was ihm lieb und teuer war.

Selveigh war im Begriff, den ersten Schritt aus dem hölzernen Drachen zusetzen, als ihr die Hand ihres Vaters angeboten wurde, um ihr den Ausstieg zu erleichtern.

»Danke«, sagte die junge Frau, indessen sie sein Angebot annahm. Unmittelbar danach spürte sie seit langer Zeit Widerstand unter sich, der mit einem Gefühl der Erleichterung einher ging. Sie nahm einen tiefen Atemzug der salzigen Meeresluft und begann sich umzusehen.

Einige Bewohner des Dorfes, die sich ihrer Neugier untergeben hatten, versammelten sich am Hafen, um in Erfahrung bringen zu können, um wen es sich bei den Ankömmlingen handelte. Sie erblickte in der, wenn auch kleinen, Menschenmenge einige Fischer, die damit bemüht waren, ihre Netze aus den Schiffen einzuholen, Bauern und Bäuerinnen,die mit Scheuklappenblick ihres Weges gingen und auch Krieger, die für die Sicherheit der Dorfbewohner sorgen sollte. Und so verschieden die Menschen hier auch sein mochten, eines teilten sie im gegenwärtigen Moment alle – die Argwohn, sobald sie die Fremden entdeckten.

𝑅𝑎𝑣𝑒𝑛 𝐵𝑙𝑎𝑐𝑘 || Ivar the Boneless/ Vikings FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt