Er zerrte mich im Halbschlaf aus dem Zimmer. "Wa- was ist denn?", blinzelte ich ihn an.
"Ich möchte, dass du dir selbst mal ein Bild von unserem Leben machst.", sagte er knapp. Er führte mich aus dem Haus raus direkt an den Strand.
Ich fing an zu zittern, als ich aufs Meer blickte und die Unmengen an Wasser sah. Selbst ein Element des Feuers kann der Schönheit der puren Natur nicht entbehren... Doch dies war kein schönes Meer. Verdreckt und ölig schimmerte es vor sich hin. Vergammelte Fischinnereien und Abfälle säumten unseren Weg und selbst die Wasserelemente könnten nicht abstreiten, dass es hier bestialisch stank. Über uns hingegen ging bildschön die Sonne auf: dunkelrote Striche mischten sich mit rosafarbenen Streifen und verliefen zu einem kräftigen Orange. Ich liebte diese Farbe! Sie wurde vollkommen unterschätzt! Alle dachten immer, meine Lieblingsfarbe als Feuerelement müsse ein majestätisches Rot sein. Dabei wurde die Kraft von einem schönen Orange völlig unterschätzt.
Rot hatte immer diesen bitteren Beigeschmack. Rot konnte zwar für pure Leidenschaft stehen, symbolisierte aber dennoch blutige Zerstörung. Orange hingegen... wirkte sonniger, fröhlicher.
Die Farben nahmen mittlerweile einen goldfarbenen Ton an.
Was wollte Hydor mir damit beweisen?
Die Schönheit des Feuers und die Hässlichkeit des Wassers? Er hätte einen kaum stärkeren Kontrast finden können.. Doch was kümmerte das mich?! Ich warf einen Seitenblick auf Hydor. Er wirkte seltsam traurig. Es musste weh tun, sein Element so verkümmern zu sehen. Ich schob mein Mitgefühl für ihn beiseite: "Fertig?"
"Nein.", schnauzte er und führte mich tiefer in die Stadt hinein. Ich atmete tief durch. Jeder Zentimeter vom Wasser weg bedeutete etwas mehr Kontrolle für mich.
Er führte mich durch schlammige Gassen. Überall kamen uns Wasserelemente entgegen. Selbst wenn ihre Kräfte nicht entwickelt sind, kann ein geschultes Auge gewisse Ähnlichkeiten zwischen Angehörigen eines Elements erkennen. Wasserelemente sind kräftig, mit von der Meerluft gegerbter Haut. Ihre Haare sind dunkel, die meisten Augen blau oder grün.
Auch wenn keine von einem so schön meergrün waren, wie die von Hydor.
So wie auch keine Haare der Feuerelemente so rot waren wie meine.
Was mich überraschte war, dass auch immer mehr Erdelemente kamen.
Ihre Haut war nicht von der Sonne braungebrannt, sondern natürlich von einem schönen karamellbraun.
Ich wusste gar nicht, dass Wasser und Erde eine Vereinigung eingegangen waren...
Schließlich waren wir angekommen und Hydor führte mich in eine heruntergekommene Baracke.
Ich trat durch eine kaputte Tür ein und meine Augen gewöhnten sich nur langsam an das dunkle Dämmerlicht.
"Ich bins, Ms M.", sagte Hydor ruhig.
In einem Schaukelstuhl saß ein altes Großmütterchen mit verschrumpelter Haut. Falten durchzogen ihre ganze Gestalt und sie saß gebückt da.
Ihre Augen sahen ins Leere und erst, als Hydor ihr seine Hand zum tasten gab, begriff ich, dass sie blind war.
"Hydor!", krächzte sie erfreut. "Und wer ist das da neben dir?"
Ich trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
"Eine Bekannte", sagte Hydor und seine Stimme klang nicht mehr ganz so freundlich. "Also Ms M., wie kann ich dir heute helfen? Der Strom funktioniert immernoch nicht?"
Ms M. schüttelte den Kopf.
Schweigend machte sich Hydor an die Arbeit. Fasziniert sah ich ihm zu, wie er mithilfe seiner Fähigkeiten Wasser erhitzte und eine Suppe kochte. Es kam mir merkwürdig vor, sein Element für so etwas Banales wie für Suppe kochen zu vergeuden. Er führte mich durch zahlreiche andere Häuser und überall das selbe Bild. Langsam verstand ich, was er mir zeigen wollte: Armut, Armut... überall Armut.
Dennoch konnte ich ihm nicht einfach verzeihen, dass er mich entführt hatte.
Er musterte mich von Zeit zu Zeit und wie ich auf all die Eindrücke reagierte.
Ich blickte ihn nur argwöhnisch an.
Von Haus zu Haus ging es Hydor schlechter. Er versuchte, es zu verbergen aber ich kannte die Anzeichen, die Energieverlust mit sich brachten. Nach zwei Stunden machten wir uns auf den Rückweg.
Er sprach mich im Plauderton an: "Verstehst du nun, was ich meine?"
"Du willst, dass ich euch helfe? Dass ich mit euch gegen die Ungerechtigkeit vorgehe? Dass ich gegen mein eigenes Land vorgehe?" Ich versuchte, meine Stimme nicht verraten zu lassen, was ich eigentlich dachte.
Hydor sah mich lange an und nickte schließlich.
"Du hast mich aus meinem Heim entführt! Du hast mich verletzt und willst mich nun für deine Zwecke benutzen! Dabei vergisst du aber eine Sache: Feuer und Wasser werden NIE jemals irgendetwas anderes als Feinde sein!"
Er taumelte von dem geballten Hass in meiner Stimme getroffen zurück.
Kalkweiß schaute er mich an, als hätte ich ihn geschlagen. Dann sagte er jene Worte, die mir noch ewig lang in den Ohren klingen würden:
"Wir alle erschaffen etwas: Wasser, Erde und Luft sind Lebensspender.
Wir erschaffen Leben. Wir dienen dem Guten. Und Feuer? Feuer erschafft nicht, Feuer zerstört nur. Ich hätte gleich wissen müssen, dass du kein Gewissen hast.. Schließlich ist alles, was du kannst, nur andere verderben!""
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Adora
FantasyAdora ist ein Kind des Feuers. Sie lebt in einer Welt, in der die vier Elemente allgegenwärtig sind und ihre Attribute beliebig an die Menschen verteilt werden. Adora hat eine besonders hohe Konzentration des Feuer-Gens in sich. Als sie auf Hydor tr...