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Christoph hatte kein Auge zu getan in dieser Nacht. Kaum das sein Handy 6:30 angezeigt hatte klopfte er schon aufgebracht an Gerds Tür und erzählte ihm von Lilas Anruf.
Der Plan die kleine Malena zu adoptieren war Wahnsinn, das wusste Christoph noch bevor Gerd ihm versuchte ins Gewissen zu reden.
Das er auf Unverständnis stoßen würde war ihm klar aber auch genauso egal.
"Ich erkläre Lena jetzt erstmal wieso sie heute abgeholt wird und das ich alles dafür tun werde um sie zurück zu holen. Sie muss nur Geduld haben." murmelte Christoph zu sich selbst als er mit Gerd am Tisch saß und darauf wartete das die Kleine endlich aus dem Badezimmer kam.

Sie nahm die Neuigkeiten ähnlich gefasst auf wie all die Situationen zuvor die sie an ihre Psychischen Grenzen bringen würden. Wäre da nicht dieser Satz den sie sich immer wieder Still im Gedanken vorsprach.

'Der Liebe Gott legt dir Steine in den Weg damit du dir daraus irgendwann ein schönes Schloss bauen kannst. Je mehr Steine, umso größer das Schloss.'

Woher sie diesen Satz hatte wussten nur sie und Lila. Auch die ältere der beiden Schwestern hielt an diesen Worten fest um all das Leid zu ertragen das sie in ihrem Leben schon ertragen musste.
Den ganzen Tag rechnete Christoph damit das man Malena jeden Moment abholen würde. Er verbrachte die ganze Zeit an ihrer Seite und spielte Spiele mit ihr, Malte ihr sein Schlagzeug auf, oder versuchte es zumindest, und natürlich machte er viele Fotos um diese Momente festzuhalten. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, wusste er noch nicht wie er diese Adoption in die Tat umsetzen sollte, ob es überhaupt gelang und noch weniger wusste er wie seine Familie auf diese Spontanentscheidung reagieren würde.

Erst gegen 18:30 Uhr, als man schon garnicht mehr damit gerechnet hatte, stand plötzlich jemand von der Deutschen Botschaft vor der Tür und holte die kleine Lena ab.
Diesmal war jedoch keine Spur von gelassenheit. Malena schlug wild um sich, brüllte und weinte sich die Seele aus dem Leib als man sie aus Christophs Armen zog. Der Mann von 1,87m musste Schlucken als sie durch die Tür verschwand und konnte dabei nicht verhindern das sich seine Augen mit Tränen füllten. Es ging nicht unbemerkt an den anderen Rammsteinen vorüber das etwas ganz und garnicht nach Plan lief. Sofort schoss einer nach dem anderen auf den Gang und sah entsetzt dabei zu wie Malena mit vollem Körpereinsatz versuchte zurück zu 'ihrem Christoph' zu gelangen. Till wollte schon einschreiten und das kleine Mädchen zurückholen, doch Gerd hielt ihn zurück und bat die fünf Musiker die entsetzt am Gang standen darum, sich um ihren Freund zu kümmern.
Dieser stand mit geballten Fäusten auf dem Balkon, starrte in den Himmel und kämpfte darum nicht in Tränen auszubrechen.
Er brachte kein Wort zustande, das einzige was ihm ein wenig Kraft spendete war die Zuversicht seines Anwalts. Mit diesem hatte er noch am Vormittag telefonisch Kontakt aufgenommenen und einen Termin vereinbart.
Die Tour war bald vorbei, bis dahin wollte sein Anwalt alle Anträge vorbereiten und auch Lila ins Boot holen. Es würde etwas mehr als nur Christophs guten Willen brauchen, eine Frau musste her, so der Anwalt.
Es waren nicht die besten Voraussetzungen aber kampflos würde er das kleine Mädchen nicht aufgeben.

Als er seine Gefühle wieder im Griff hatte nahm er sich die Zeit und verkündete den Rammsteinen welchen Plan er verfolgte.
Die Meinungen darüber waren geteilt aber er konnte sich dennoch darauf verlassen das sie ihn, so weit es ihnen möglich war, Unterstützen würden.

*

Die Tour endete in Wien. Sie kamen gerade von der Bühne als Emanuel mit einem undefinierbaren Ausdruck im Gesicht auf die sechs Männer zu kam.
"Wir haben ein Problem." sagte er ernst und deutete ihnen das sie ihm folgen sollten.

Christoph traute seinen Augen kaum. Da saß sie, die kleine Malena. Mit einem Rucksack am Rücken und einem Kuscheltier in der Hand.
Als sie Christoph sah sprang sie sofort auf die Beine und stürzte in seine Arme.
"Was machst du den hier?" fragte dieser und sah sie fassungslos aber dennoch glücklich an.
Als er jedoch Malena's Blick deutete wusste er das sie nicht mit Erlaubnis hier war.
"Was hast du gemacht?" fragte er entgeistert und setzte sich auf den Boden.
"Ich hab mir ein Ticket gekauft. So eines mit Begleitservice. War ganz einfach. Ich musste nur den Führerschein von meinem 'Pflege-onkel' kopieren und dann konnte ich alles am Computer machen. Ich hab gesagt das man mich hier erwartet und jetzt bin ich hier... War garnicht so einfach aber mit der Blindenapp ging das schon, die liest einem alles vor was da steht." berichtete sie.
" Woher hast du den das Geld? "fragte Till der zugeben musste das die Kleine ihn mit dieser Aktion beeindruckt hatte.
"Ich hab mein Sparschwein zerschlagen." sagte sie stolz. Christoph runzelte die Stirn und machte sich sorgen ob ihm die Aktion von Malena nicht übel in die Karten spielen würde.
"Kann einer sagen was er will, die Kleine ist klug für zehn und hat es auch noch faustdick hinter den Ohren."murmelte Flake und setzte sich auf die Couch die in einer Ecke stand.
"Diese Familie ist total Langweilig! Ich darf nicht Trommeln, ich muss Kohlsprossen essen, darf nicht Fernsehen und alles was ich mache ist falsch. Ich muss sogar Kleider anziehen und darf nichtmal Fußball spielen. Ich wollte mit den Autos von Gabriel spielen, das ist deren Sohn, aber die meinten ein Mädchen spielt nur mit Puppen. Als ich der Puppe den Kopf abmontiert habe hab ich Hausarrest bekommen und die haben da auch nur Bücher für KLEINE Kinder! Total doof! Ich will da nichtmehr hin!" berichtete sie traurig.

"Die Polizei holt dich gleich wieder ab." murrte Emanuel dem dieses Mädchen langsam den letzten Nerv raubte.
Entsetzt sah Malena zu diesem, noch bevor jemand reagieren konnte rannte sie davon.
"Niemand will mich!" rief sie den Gang entlang und drückte die Tür auf. Durch das Gewicht welches die Tür mit sich brachte hatte sie das Mädchen so lange ausgebremst das Christoph sie gerade noch so eingeholt hatte und das weinenden Mädchen so in seine Arme ziehen konnte.
Fast währen die Polizisten mit einer Mitarbeiterin des Österreichischen Jugendamtes über die Beiden gestolpert als diese genau durch diese Tür wollten.
"Bitte mach das ich nicht wieder von dir weg muss!" wimmerte das Mädchen an seiner Schulter und klammerte sich noch fester an ihn. Verzweiflung machte sich in Christoph breit den er wusste nicht wie er es verhindern hätte können.
"Ist das die kleine Malena?" fragte die Mitarbeiterin an Christoph gewandt.
Christoph nickte und versuchte die Kleine von sich zu lösen.
"Lena Hör zu, ich hab dir versprochen das wir irgendwann wieder zueinander finden. Aber bis dahin musst du geduldig sein! Lila macht sich Sorgen, nicht auszudenken was hätte passieren können. Wir alle lieben dich und vermissen dich mindestens genauso wie du uns... Aber solange von den Ämtern nicht erlaubt wird das du bei uns bleibst musst du zu dieser Familie zurück." sagte er ruhig.
" Aber du bist doch meine Familie! Du und Lia und Gerd!" weinte sie bitterlich und hing sich wieder an ihn. Christoph sah hilfesuchend zu der Frau die sich mittlerweile zu den Beiden gehockt hatte.
"Malena, lass Herrn... " sie stockte und sah den Mann fragend an.
"Schneider..." warf dieser ein.
" Lass Herrn Schneider mal los und wir gehen irgendwo hin wo wir uns in Ruhe unterhalten können." schlug die Frau vor die sich mit liebevollen Worten zeit für das verzweifelte Mädchen nahm.
Christoph warf ihr einen dankbaren Blick zu. Ja, er war dankbar.
Dafür das man sie nicht wieder ohne große Worte von ihm riss.
Dafür das man ihr und auch ihm Zeit gab und dafür das man ihnen die Möglichkeit gab zu berichten wie nahe sie sich standen.

Halt mich. Fang mich. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt