Kapitel 17 - Malak

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Ertrinken in Sand. Das war Sophias erste Empfindung. Sie bekam Angst, aber sie spürte Chets Hand an ihrer Schulter, und beherrschte sich.

Ersticken in Sand. Das war Bens erste Empfindung. Er bekam Angst, spürte aber, dass Sophia ruhig blieb, und beherrschte sich.

Heimkehr zu alten Freunden nach viel zu langer Zeit. Das war Chets einzige Empfindung, als er stumm durch die sandige Masse glitt. Hätte er atmen können, er hätte geschrien vor Vorfreude.

Dann verließen sie den Sand und tauchten ein in das Licht. Ein golden strahlender Strom erfasste sie, wirbelte sie umeinander, riss sie mit. Es war, als würden sie in einem Sonnenstrahl reisen. Trotz aller Freude achtete Chet darauf, die beiden Geschwister auf keinen Fall loszulassen. Das erste mal mussten Fremde unter freiwilligem Kontakt durch einen Seelenjäger in die Festung eintreten, sonst wurden sie annihiliert.

Es war schnell vorbei. Nach einer unendlich kurzen Ewigkeit, wie es ihnen erschien, landeten sie auf einem steinernen Podest. Der Raum, in dem sie sich befanden, lag unter der Erde. Es war absolut still. Strahlend hell bläulich brennende Fackeln an den Wänden, ohne zu flackern die Dunkelheit durchdringend. Die Stille drückte auf den Ohren. Chet ließ Sophia und Ben los und lotste sie vorwärts. Sie passierten allerlei Kammern, manche groß ausgehoben wie Kirchenschiffe, andere klein und niedrig. In einem Der Säle standen Gestelle für Kleidung und Rüstungen. Chet verschwand kurz in diesem Raum, und als er wieder auftauchte, sah er genau so aus wie vorher. Fast. Sophia bemerkte, dass der Stoff von Chets Umhang jetzt leise raschelte, wenn er ging, und das Metall der Rüstung darunter war ein wenig dunkler und glänzte stärker. Auch ließ die Rüstung nun auch keine kleinen Lücken mehr frei, wie diejenige, durch die sie das Messer gestoßen hatte.

Schweigend gingen sie weiter. Einige Kreuzungen ignorierte Chet, an anderen bog er ab. Es ging Treppen hinauf, hinab, über Galerien epischer Ausmaße. Sie waren aus massivem Stein herausgemeißelt, Fenster gab es nicht. Die meisten Wände waren einfach glatt, grau, und uninteressant, doch manche waren mit Reliefs von Kriegern, Schlachten und abstrakten Symbolen verziert. Chet hielt es irgendwann nicht mehr aus. "Dieser Ort war niemals so tot. So lange ich hier war, waren auch so viele andere hier. Und jetzt bin ich allein." Seine Stimme hallte bedrückt durch die Gänge, seine Klage echote durch die Hallen. Sowohl der Dämon als auch die Menschen hielten den Mund, bis mit einem Mal ein manisches Gelächter erklang. Chet zog scharf die Luft ein und sein Schwert von seinem Rücken hervor. Bereit zum Kampf ging er weiter.

Irgendwann hallte Klirren durch die Gänge. Rhythmisch. Im Takt von klatschenden Schritten nackter Füße auf dem steinernen Boden. Metall schlug auf Stein, Fuß schlug auf Stein. Die Schritte kamen näher. Da blitzte in Chets Augen Erkennen auf, und er steckte das Schwert weg. "Malak!", rief er in die Dunkelheit. "Zeig dich! Ich weiß, dass du es bist! Ich bin es, Chet!" Wie als Antwort glommen schwarze Augen in einem dunklen Abschnitt des Ganges auf. Sie waren dunkler als die Finsternis um sie herum und kamen, im Takt der Schritte schwankend, auf die Gruppe zu.

Als Malak, der Alte Meister, der König der Verräter, der Ewig Gefesselte, in den Lichtkreis einer Fackel trat, entwich allen Anwesenden außer Chet ein Angstschrei. Malak war eine Monstrosität, er war abartig. Gerade aufgerichtet wäre er doppelt so groß gewesen wie Chet, so aber konnten sie sich gerade in die Augen blicken. Malak war ewig gefesselt. Seine Fußgelenke lagen in Metallbändern, seine Handgelenke, sein Oberkörper und sein Kopf auch. Die metallene Maske, die seinen Kopf umschloss, ließ Löcher für die Augenhöhlen des Meisters und für dessen Mund. An seinem Hinterkopf führte eine Kette nach oben und verlor sich in der Dunkelheit. Auch an den anderen Fesseln waren Ketten befestigt, die sich in der Dunkelheit über ihren Köpfen verloren. Malaks Haut war blass, sein Körper mager. Knochen traten deutlich hervor, zu groß um einem Menschen gehört zu haben, dachte Sophia. Malak stieß ein keuchendes Lachen aus, das klang wie der letzte Atem eines Sterbenden. Es war dasselbe Lachen wie zuvor. "Diese Knochen sind meine Essenz, Kleine Sophia", sagte er dann. Malaks Stimme war kratzig wie Stahlwolle, doch darin ließen sich auch Reste von einstigem Sanftmut erkennen. Bevor er in Ketten gelegt wurde, musste Malak ein großer Meister gewesen sein. "Du bedauerst mein Aussehen, nicht wahr? Bemitleidest mich?" Malak klang belustigt.

"Begehe diesen Fehler nicht. Ich verdiene meine Strafe. Ich bin selbst ein schlimmerer Verräter als Chet, und das will einiges heißen. Ich habe jeden verraten, mit dem ich bisher Seite an Seite gekämpft habe." Sophia sah sich beunruhigt um, was Chet dazu zu sagen hatte. Er blieb stumm. Rührte sich nicht. Auch Ben stand vollkommen regungslos. Der Mund von Malak verzog sich zu einem trockenen Grinsen. "Sie sind in der Zeit eingefroren", sagte die zusammengekauerte Gestalt. "Ich wollte zuerst mit dir reden. Sophia ist dein Name. Sophia: 'Die Weise'. Und du bist wirklich überaus intelligent. Ich bemitleide dich nicht für das Schicksal, dass dir bevorsteht. Ich werde nun gehen. Du bist ein faszinierender Mensch. Denk daran, wenn du mal zwischen den Zähnen eines Dämonen steckst, der dich verschlingen will. Entweder es rettet dich dann," Malak machte eine lange Pause. Sophia wartete darauf, dass er seinen Satz zu Ende brachte. "oder es wird die zumindest noch etwas Trost in deinen finalen Momenten schenken." Verrückt gackernd sprang er davon.

Chet und Ben erwachten erneut zum Leben. Ben hielt sich den Kopf. "Dieser Malak hat in meinem Kopf rumgestochert! Er wusste alles über mich! Er hat mir erzählt, was für ein schönes Leben ich bisher geführt habe, und dass ich stolz auf das sein soll, was ich bisher geschafft habe, dann ist er gegangen." Erst jetzt fiel Sophia auf, dass Malak viel mehr über sie gewusst hatte als eigentlich möglich wäre. Und dass sie keine einzige Frage hatten ausformulieren müsen. Malak hatte alles im Voraus gewusst. Oder er hatte ihre Gedanken gelesen. Zwei nicht sehr schöne Gedanken. Chet hob die Arme. "Mit mir hat er verhandelt. Wir dürfen unter zwei Bedingungen bleiben. Erstens: Er will dabei sein, wenn ich das Ritual durchführe." Sophia bemerkte den verkniffenen Ausdruck dabei in seinem Gesicht. "Das Problem damit ist das gleiche wie mit der zweiten Bedingung; er will nämlich außerdem, dass wir die Festung wieder zu unserer Basis für den Krieg machen. Im Grunde genommen eine gute Idee, aber Malak selbst ist dabei ein Problem. Er kann einfach nicht ruhig bleiben. Was auch immer abgemacht wurde, er verrät dem ersten, der ihn besticht - und dabei ist egal, womit - alles. Wir werden jedoch darauf eingehen müssen. Vorerst zumindest."

Mit wehendem Mantel ging er wieder voran. Nach einer Weile blieb er stehen. "Hier sind eure Schlafkammern", sagte er auf einen niedrigen Durchgang zu seiner linken deutend. "Ich werde mich hier" die Hand wanderte nach rechts "bis morgen sammeln und vorbereiten. Ihr solltet beide schnell schlafen, der morgige Tag wird anstrengend für uns alle werden."

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