Kapitel 33 - Im Dunkeln

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Es war dunkel. Finster. Wer nicht über die Augen eines Dämonen verfügte, würde sich mit Garantie verirren. Fluchend lief die einsame Gestalt durch die Finsternis. Wände. Wände aus Stein. Es war nicht zum Aushalten! Dieser Ort war für Menschen einfach nicht geschaffen. Von allen Seiten erklang leises Kichern. Es kam näher, entfernte sich wieder. Die Person schüttelte sich. Dem Lachenden wollte sie mit Sicherheit nicht über den Weg laufen.

Ein Licht erschien in der Ferne. Entweder hatte dessen Besitzer nun erst entschlossen, sich zu offenbaren, oder aber eine in der Dunkelheit unsichtbare Ecke hatte die Quelle des Lichtscheins bisher verdeckt. Vorsichtig ging die Gestalt näher heran. Licht wäre willkommen, aber bitte nicht auf Kosten des eigenen Lebens.

Treffen im Lichtschein. Goldene Augen strahlten den Neuankömmling freundlich an. "Ich wusste, dass du kommen würdest", bemerkte Ril, um das Gespräch zu eröffnen. Melchior lächelte. "Gibt es etwas, dass du nicht weißt?" "Oh, da bin ich mir sicher", sagt der Alte Meister lachend. "Es vergeht fast kein Jahrhundert, in dem ich nicht noch etwas neues entdecke. Aber lassen wir das." Der Blick des Meisters wird ernster, der Tonfall ebenso. "Du bist hier, weil Caspar Hilfe dabei braucht, hierher umzuziehen. Ich soll den Transport aller Gegenstände hierher übernehmen. Und da hier der bestgeschützte Ort ist, um die Verteidigung der Erde zu koordinieren, wäre ich auch von selbst gekommen. Warum also bist du hier?"

Melchior holte tief Luft. "Wisst Ihr, Meister, eines Tages könntet Ihr auf jemanden treffen, der nicht darüber erfreut ist, dass ihr seine Gedanken lest. Aber Ihr habt recht. Ich bin aus einem anderen Grund hier." Ril hob die Hand, um Melchior zu unterbrechen, bevor der fortfuhr. "Ich muss dich korrigieren. Zwar bin ich tatsächlich in der Lage, deine Gedanken ebenso leicht zu lesen wie ein Buch im Licht der Sonne, doch in Gesprächen verzichte ich darauf. Es ist unhöflich, die Antwort vor der Frage zu nennen. Nein, ich stehe mit Chet in dauerhaftem Kontakt. Hast du dich nie gefragt, warum er nun so oft und gerne meditiert? Ich rede mit ihm. Lasse mir von den Ereignissen um ihn herum berichten. Lese dann seine Gedanken und weiß so, was er weiß. Nun aber fahr fort."

Melchior nickte und griff den Faden wieder auf. "Ich bin wegen Malak hier. Er kann nicht bleiben, wenn wir hier herkommen. Muss er überhaupt noch... sein?" Ril lächelte mit traurigem Blick. "Ja", sagte er dann entschieden. "Er wird bestraft, und von dieser Strafe wird er nicht durch seinen Tod erlöst, bis ich das sage." "Eine Strafe kann man das inzwischen nicht mehr nennen", murrte Melchior. "Er lebt und lügt und betrügt und scheint sich wunderbar mit seinen Fesseln wohl zu fühlen."

Ril stimmte ihm zu. "In der Tat. Er scheint sich wohlzufühlen. Er durchlebt größeres Leid als jeder andere in der Existenz unserer beiden Welten, und er hat jede Sekunde davon verdient." Die Augen des Meisters wurden milder. "Ich werde ihn jedoch wissen lassen, dass alle Verfehlungen, die er sich in eurer Anwesenheit zu Schulden kommen lässt, in härterer Bestrafung resultieren." "Das musst du nicht", sagte eine alte, müde, kratzige Stimme hinter Ril. "Ich habe gehört und verstanden. Nicht, dass ich denke, diese Drohungen werden mich davon abhalten, meinen eigenen Regeln treu zu bleiben, aber ich habe dennoch gehört und verstanden." Malak kauerte direkt hinter Ril. Wie er lautlos dorthin gekommen war, ohne sich sehen zu lassen, war Melchior ein doppeltes Rätsel, da er Ril gegenüberstand und Malak nun deutlich sah.

"Im Gegensatz zu einem gewissen Moralapostel hier habe ich keine Bedenken, anderer Leute Gedanken zu lesen. Das erleichtert Gespräche ganz ungemein. Du hast mich gesehen. Aber ich war nicht wichtig genug, als dass du mich richtig wahrgenommen hättest. Oh, so viel Zorn..."

Während der letzten Worte hatte Melchior sich an Ril vorbei auf den Gefesselten gestürtzt und begonnen, wie ein Wahnsinniger auf ihn einzuschlagen. Seine Fäuste glühten bei jedem einzelnen Schlag, den er Malak in den mageren Leib donnerte. Der lachte nur. "So viel Wut", wiederholte er. "Und das nur, weil ich stets meinen Regeln folge." Irgendwann gab Melchior auf und hockte sich keuchend auf den Boden. Malak betrachtete ihn mit einem Blick, der, wenn er Augen gehabt hätte, eine Mischung aus Belustigung und Mitgefühl ausgedrückt hätte.

"Warum willst du mich so unbedingt umbringen?" Der Blick aus Melchiors Augen war vernichtend. "Du bist Schuld daran, dass ich damals alles verloren habe! Ohne dich stünde Atlantis noch! Ohne dich hätten wir in Duran gewonnen!" Malak stieß ein meckerndes Lachen aus. "Ohne mich gäbe es keine Seelenjäger", setzte der Meister hinzu. "Ohne mich hätte es uns niemals gegeben. Nachdem Omega vor so langer Zeit alle um mich herum vernichtet hatte, um sich zum König der Dämonen aufzuschwingen, war ich derjenige, der alle Dämonen betrogen und Verbündete zum Schutz der Menschheit gesucht hat! Ril hätte sich von allein niemals dazu überwinden können, euch beizustehen!"

Melchior blickte unsicher zwischen Ril und Malak hin und her. "Stimmt das etwa?", hauchte er irgendwann ungläubig. "Ja", war die einfache Antwort von Ril. "Das stimmt. Ich bereue es jedoch nicht, dieses eine Mal eine Rolle in Malaks Betrügereien gespielt zu haben. Ich bereue es allerdings auch nicht, seine Möglichkeiten, uns erneut zu verraten, minimiert zu haben, indem ich ihn hier gefangen halte." Malak schnaubte. "Chet ist schlimmer als ich. Er bricht seine eigenen Regeln regelmäßig. Ich hingegen bleibe mir stets treu." Ril wurde ungeduldig. "Diese Diskussion haben wir in etwa einmal pro Jahrhundert. Und wie jedes mal sage ich dir auch jetzt, dass Chet seine eigene Form der Bestrafung erhält! AUßerdem wendet er sich dabei niemals gegen diejenigen, die er als seine Verbündeten ansieht. Im Gegensatz zu dir."

Aus den Tiefen seines Mantels zog Ril ein Metallscheibchen hervor, auf dem die gleichen Symbole eingraviert waren wie auf dem in Chets Handrücken. Es war auch ebenso zerrissen. Rils Augen weiteten sich. Melchior räusperte sich verlegen. "Das war ein weiterer Punkt, den ich ansprechen wollte. Was hat es mit diesem Siegel auf sich und warum bricht es nach und nach? Ähm... Meister?"

Der Meister verschwand bereits um eine Ecke. Die Ecke, hinter der der Gang lag, der zum Ausgang führte. Melchior sprintete hinterher. Mit großer Mühe konnte er mit Ril mithalten. Malak blieb zurück. "Wohin geht Ihr?", keuchte er unterwegs.

Da blieben sie schon vor der vena terrae stehen. Ril wandte sich um, mit hartem Blick erklärte er: "Zuerst zu Caspar, um seine Einrichtung hierher zu bringen. Und danach auf direktem Wege zu Chet. Denn wenn das Siegel bricht, könnten wir alle in gewaltigen Schwierigkeiten stecken!"

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