Kapitel 4

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„Wie lange bleibt er?" Kenji klang stets ein wenig genervt, sobald es um Krist ging und Singto konnte sich nicht recht erklären, warum dieser so auf seinen alten Freund reagierte. Sie hatten sich seit dessen Ankunft hier ja noch nicht einmal miteinander unterhalten. Nur flüchtig gesehen, wenn er morgens abgeholt wurde. Aber er wollte Kenji auch nicht mit Mutmaßungen konfrontieren. Womöglich war dieser nur etwas enttäuscht, dass er als Aushilfe fehlte. Immerhin schaffte man mehr, je mehr Hände mit anpackten.

„Keine Ahnung. Ich gehe davon aus, wenn es ihm zu langweilig wird." Singto widmete sich wieder seinem Mittag in Form einer Bentobox die Kenjis Mom stets für ihn mitschickte, wenn sie den Tag über irgendwo eine Arbeit verrichteten.

Heute hatte sie eine alte Mauer neu aufgesetzt.

„Er muss ja ein recht flexibles Leben haben, wenn er einfach so hier auftauchen kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.", teilte Yun seine Meinung mit. „Was macht er den beruflich?" Singto war klar, dass die Neugier über Krists plötzliches Erscheinen anhalten würde. Dennoch wollte er keine Informationen über ihn preisgeben, wenn Krist womöglich nicht einverstanden damit wäre. Die Frage ignorieren war jedoch ebenso etwas seltsam, immerhin war sie simpel genug, dass es nur noch merkwürdiger aussah, wenn er nicht darauf antwortete.

Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass, wenn er erwähnte was Krist tat das man womöglich nach weiteren Informationen zu ihm im Internet suchen würde, was ebenso bedeuten konnte, das man darauf stieß, womit er sich einen Namen in der Entertainment Branche gemacht hatte.

Nicht, dass er sich dafür schämte.

Aber er band es auch niemanden auf die Nase.

Er wusste sehr wohl, das mit Anfeindungen zu rechnen waren, geriet man an jemanden der keine Toleranz für Homosexualität aufbringen konnte. Er hatte keine Ahnung wie Kenji und Yun zu diesem Thema standen.

„Er nimmt sich eine Auszeit aus gesundheitlichen Gründen. Ihm wurde zu etwas Abstand vom Trubel der Großstadt geraten." Yun raunte verstehend. „Abstand hat er hier auf jeden Fall. Mir reicht es schon den Sommer über hier zu sein, das ich mich fühle, als hätte ich den Kontakt zur Außenwelt verloren."

Kenji wie auch Yun, lebten nur über den Sommer in ihrem Heimatdorf, um eben etwas auszuhelfen und ihren Eltern zur Hand zu gehen.

Es gab nicht mehr viele junge Leute die hier wohnten, zog es diese früher oder später in die größeren Städte. Meist für einen Job, oder auch weil man dem zu ruhige Leben überdrüssig war.

Singto kramte seine Wasserflasche aus seinem Rucksack, der ein zusammengefalteter Zettel angeheftet war.

Eine Zeichnung offenbarte sich als er ihn auffaltete und Singto musste unwillkürlich schmunzeln.

Sie zeigte einen Löwen der einem Karren mit Steinen zog und dabei ziemlich schwitzte. Ein Stück vor dem Löwen war ein Banner auf dem Ziel stand und unter dem eine Schildkröte mit einer Pizza auf ihn wartete.

Er biss sich leicht auf die Unterlippe, um nicht zu lachen über diese unerwartete und doch liebenswerte Geste.

Er faltete das Papier wieder zusammen und verstaute es sorgfältig in einer der Seitentaschen.

Singto schmunzelte noch immer, als er sich schließlich erhob und er zwei interessiert wirkende Blicke von den anderen beiden erntete, die er jedoch gekonnt überging und sich schließlich wieder an die Arbeit machte.



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Dieser Kenji wirkt, als habe er ein Problem mit mir. P'erzählte mir das dieser ihm geholfen hatte sich mit allem vertraut zu machen und sie sich darüber recht schnell angefreundet hätten. Ich bin ja froh, dass er hier jemanden gefunden hat, der ihm zur Seite steht, aber irgendwie ist mir der Kerl nicht ganz geheuer. Wenn mir etwas das Gefühl gibt, hier nicht willkommen zu sein, dann sind es dessen abschätzigen Blicke, sobald er mich zu Gesicht bekommt. Gut, dass das meist nur einmal am Tag passiert. Dabei ist seine Mom eine so herzliche Person und auch mit seinem Dad komme ich gut aus. Womöglich ist es das? Womöglich nervt es ihn, dass mich die beiden so unvoreingenommen aufgenommen haben in ihrem Dorf? Vielleicht hat er irgendwelche Komplexe? Ich werde P'nicht darauf ansprechen, um seine Meinung dazu zu hören. Solange der Typ mich in Ruhe lässt sollen mir seine Allüren auch egal sein.

Immerhin bin ich wegen P'hier, alles andere ist nicht von Belang.



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Als er später wieder zurück nach Hause kam, war von Krist keine Spur zu sehen und für einen kurzen, erschrockenen Moment nahm Singto an, das dieser wieder zurück nach Thailand gegangen war. Dann sah er jedoch dessen Rucksack in einer Ecke des Schlafraumes und er atmete erst einmal tief durch.

Es war albern so zu reagieren, denn selbst wenn Krist wieder gegangen wäre, dann müsste er dessen Entscheidung so oder so akzeptieren.

Dieser war ihm keine Erklärung schuldig, warum und wann er wieder zurück wollte.

Trotzdem schlug sein Herz noch immer etwas aufgeregt und er setzte sich mit einem Seufzen über sein Verhalten erst einmal hin.

Er hatte sich viel zu schnell wieder an dessen tägliche Präsenz gewöhnt und er wusste, dass es am Ende darauf hinaus lief, dass er ihn erneut vermissen würde, wenn sich ihre Wege abermals trennten.

Was die Frage aufbrachte, wo dieser gerade steckte.

Er vernahm ein Poltern an der Vordertür und die darauffolgenden eiligen Schritte auf den hölzernen Planken des Flures.

„Verdammt, du bist schon da!", begrüßte ihn Krist deutlich außer Atem.

„Uhm, störe ich mit meiner Anwesenheit bei irgendetwas?", erkundigte er sich etwas irritiert, was Krist jedoch den Kopf schütteln ließ.

„So war es nicht gemeint. Ich dachte nur ich wäre vor dir wieder zurück. Aber nun ist es auch egal." Damit verschwand Krist wieder aus dem Türrahmen und Singto hörte ihn in der Küche herumhantieren.

Er war schon im Begriff nachsehen zu wollen, was dieser anstellte, als man wieder vor ihm auftauchte.

Krist stellte zwei Teller auf den Tisch und strahlte ihn darüber an.

„Wie versprochen.", meinte er dann und Singto konnte sich ein bewegtes Lächeln nicht verkneifen, als er sich dazusetzte.

„Wo hast du hier Pizza auftreiben können?" Krist grinste stolz. „Selbstgemacht." Singto musterte ihn mit einem skeptischen Blick. „Okata-san hat mir geholfen. Aber die Idee kam von mir."

Singto musste sich wirklich zusammenreißen seinen Freund nicht dankbar zu umarmen oder ihm wenigstens durch die Haare zu wuscheln für diesen gutgemeinten Aufwand.

„Danke dir. Dafür hast du etwas gut bei mir." Krist verneinte mit einem kurzen Kopfschütteln und holte schließlich noch etwas zu trinken herzu.

Es waren genau solche Gesten, die es ihm nur noch schwerer machen würde Krist wieder gehen lassen zu müssen.

Aber für den Moment, schob er diese Gedanken rigoros nach hinten.



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Es sind noch nicht einmal ganz zwei Wochen, die ich nun hier bin und ich fühle mich so happy wie schon lange nicht mehr. Und das obwohl es hier nichts weiter gibt, womit ich mir sonst die Zeit vertrieben hätte. Das Leben hier ist simpel, wie es auch anstrengend sein kann in seiner Einfachheit. Aber es stört mich nicht im Geringsten. Es gibt immer etwas zu tun und ich habe schon einiges dazugelernt, was mir zu Hause sicherlich nie untergekommen wäre. Außerdem mag ich es mich auch ein wenig um P'kümmern zu können, selbst wenn es nur so etwas Einfaches ist, wie ihm sein Abendessen zu servieren. Ich mag die ruhigen Abendstunden in denen wir zusammen sitzen und den Zikaden zuhören. Uns unterhalten oder eines dieser Bettspiele spielen die er irgendwo im Haus gefunden hatte als er hier einzog.
Ich liebe dieses Gefühl von Häuslichkeit das wir miteinander teilen.
Es ist wie eine andere Realität, in der wir uns befinden und ich wünschte, dass es immer so bleiben könnte.



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Mit Krist vergingen die Tage immer eine Spur zu schnell. Er war nun gut zwei Wochen hier und hatte schon seinen eigenen kleinen Fanclub, schwärmten die älteren Damen der Nachbarschaft Zusehens von ihm.

Es machte ihn etwas stolz, auch wenn es merkwürdig sein mochte. Krist war schon immer jemand gewesen, der ohne Probleme Kontakte knüpfen konnte. Er war auch froh, dass dieser sich über den Tag zu beschäftigen wusste und nicht einfach nur gelangweilt herumsaß, wenn er nicht da war.

Und es schien ihm wirklich gut zu tun.

Krist sah schon wieder deutlich erholter aus und steckte wie früher voller Energie, die er zum Einsatz brachte, indem er sich ebenso nützlich machte.

Sei es das er Honda-san mit dem Hausputz half, oder mit Fukuoka-san dessen Garten pflegte. Er hatte Ida-san mit seinem neuen Hühnerstahl geholfen und kochte ab und zu mit Kenjis Mom ihr Abendessen.

Das Leben hier war eine völlig andere Welt im Vergleich zu dem was dieser gewöhnt war und doch schien er sich ohne Probleme daran anpassen zu können. Es zeigte das seine Befürchtung, dass Krist sich ihr nicht wohl fühlen würde, vollkommen unberechtigt war und es versetzte ihn immer noch etwas ins Staunen. Denn irgendwo hatte er angenommen, dass er sich durch seine Karriere dahin verändert haben könnte, dass ihn ein Leben außerhalb davon nicht mehr interessierte.

Am Ende waren sie sich gar nicht so fremd geworden, wie es zuerst befürchtet hatte.

„P'Sing, bist du soweit?", hörte er Krist von drinnen her rufen, als dieser auch schon zu ihm in den Garten geschaut kam.

Heute Abend waren sie zum nachbarschaftlichen Kartenspielen eingeladen worden. Normalerweise blieben die Senioren damit gern unter sich. Es war also eine Art Ehre als „Fremdlinge" daran teilhaben zu dürfen. Zumindest hatte ihm Krist das so erzählt und Singto musste auch jetzt noch amüsiert den Kopf darüber schütteln.

Zwei Wochen und Krist hatte das halbe Dorf schon für sich gewonnen.



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Wer hätte gedacht, dass ich hier dazu kommen würde etwas Musik zu machen. Irgendwer hat immer etwas parat, wenn man etwas anspricht, von dem man annimmt, dass man hier nicht damit rechnen sollte.

Als mir Fuma-san, die Gitarre seiner Tochter überließ, da diese nicht mehr darauf spielen würde, war ich schon kurz überrascht. Ich hatte es nur einmal erwähnt, dass ich spielen würde und schon drückte man mir am nächsten Tag ein Instrument in die Hand. P'hatte diesen warmen und doch wehmütigen Ausdruck in den Augen, als ich damit zurück kam und es machte mir ein wenig das Herz schwer.
Er scheint sich oft daran zu erinnern, was war.
In diesen Momenten möchte ich am liebsten zu ihm hingehen und ihn in die Arme nehmen und so schnell nicht wieder loslassen.




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***

Singto lauschte den Gitarrenklängen, von der kleinen Veranda zum Garten hin, während er leise eine Melodie dazu mitsummte. Jemand hatte Krist eine Gitarre überlassen, sobald er beim Kartenabend davon erzählt hatte, dass er spiele. Man hatte ihm das Instrument gegeben unter der Voraussetzung, dass er beim nächsten Zusammenkommen etwas vortragen würde.

Er hatte es immer gemocht Krist zuzuhören, und es brachte dieses bittersüße Nostalgiegefühl mit sich, wenn dieser neben ihm saß und die Saiten mit einer Melodie zum Vibrieren brachte.

„Lass uns mal wieder zusammen was singen.", hörte er ihn sagen, und öffnete seinen Augen die er über sein relaxen geschlossen hatte.

„Ich treffe keinen Ton mehr. Es ist ewig her, dass ich richtig gesungen haben.", versuchte er sich etwas aus der Affäre zu ziehen, wusste aber schon, dass Krist nicht locker lassen würde.

„Unsinn. Außerdem sind wir hier unter uns, da stört es niemanden, wie schief du klingst." Singto deute mit einer Hand auf den kleinen Teich. „Was ist mit den armen Fröschen?" Krist rollte mit den Augen über seine Worte.

„Die können mitmachen wenn sie wollen." Damit knuffte er ihn gegen den Oberarm. „Nun stell dich nicht so an P'"

Es dauerte eine Weile, bis er den Text wieder im Kopf hatte, aber dann war es, als hätten sie erst vor kurzen zusammen auf einer Bühnen gestanden und für ihre Fans gesungen.

Es bracht so viele Erinnerungen mit sich, die Singto sich nicht zum ersten Mal wehmütig fühlen ließen.

„Ich vermisse es manchmal noch.", ließ ihn Krist wissen, nachdem der letzte Akkord wieder verstummt war.

„Ich hab immer gern mit dir auf der Bühne gestanden, egal mit welchem Unsinn wir stets zu rechnen hatten." Singto stimmte ihm mit einem Raunen zu. „Es war eine verrückte Zeit."

Sie schwiegen eine Weile, bevor er Krists Stimme erneut vernahm.

„Wann kommst du zurück?" Singto schaute ihn etwas überrascht von der Seite her an. „Warum? Vermisst du mich etwa?", neckte er ihn, doch Krist zeigte weiterhin ein ernstes Gesicht. Auch als er ihn dann direkt anschaute.

„Natürlich vermisse ich dich." Die Aura die diese Worte umgab, verbunden mit Krist resoluten Blick, ließ Singto sich etwas überfordert mit dem Moment fühlen, dass es sein Herz in leicht Aufruhr brachte.

Es war lächerlich, wie einfach er sich irritieren ließ, auf das er schließlich zu Boden und weg von Krist schaute.

„Ich weiß es noch nicht.", antwortete er und Krist ihm mit einem „verstehe" begegnete.

Singto fürchtete das sich nun wieder diese angespannte Atmosphäre zwischen sie legen würde, doch dann lehnte sich Krist an ihn und spielte einen weiteren Song.

Wenn es nur immer so bleiben könnte.



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Es lässt mein Herz aufblühen, wann immer er mir erlaubt ihm nahe sein zu dürfen, und ich spüren kann, dass er es nicht einfach nur zulässt um mir einen Gefallen zu tun. Ich hatte zuerst die Befürchtung, dass er mich scharf zurechtweisen würde, auf so einen Versuch, doch vielleicht vermisst er diese Art des Beisammenseins genau so sehr wie ich? Ich wage es nicht es zu hinterfragen und genieße es solange wie er es zulässt. Denn ich weiß auch, dass ich nicht ewig hier bleiben kann. So sehr ich es auch zu einem gewissen Teil möchte.

Ich möchte so gern gemeinsam mit ihm zurück, aber ich werde ihn zu nicht drängen. Allerdings weiß ich jetzt schon, dass ich einen Teil von mir hier bei ihm zurücklassen werde. Egal wie oft und wie lange wir uns getrennt befanden, ich bin auch jetzt nicht im Stande mich vollständig von ihm loszusagen. Es reichten diese paar Wochen, und ich bin genau wieder so verliebt in ihn wie damals...




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Diary of my Heart (german)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt