Kapitel 3

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Letztendlich hatte es der Doktor geschafft, dass meine Mutter mich mit nach Hause nahm. Ohne ihn wäre ich wohl ins Heim gekommen. Vielleicht wäre es die bessere Entscheidung gewesen, aber jetzt war es nun mal so. Verächtlich und ohne jede Rücksicht, wurde ich in eine Tasche gestopft, in der man normalerweise Einkäufe verstaute. Unsanft warf man mich auf die Rückbank eines kleinen VW Golf. Nicht gerade die netteste Art ein Kind zu verstauen. Es war viel zu stickig in der Tasche. Anscheinend wollte sie mich jetzt schon umbringen. Miese Schlange. Mich erst auf die Welt bringen und dann wieder töten. So läuft das nicht. Vielleicht lag es auch einfach an mir. Bis jetzt wusste ich nicht, dass ich eine Behinderung hatte, aber sie sollte sich noch zeigen. Als ich so schön in meiner kleinen Tasche lag und vor mich hin kreischte, verfluchte meine Mutter alles und jeden, der ihr während ihrer Autofahrt begegnete. Ein bisschen zu bewundern war sie ja schon. Sie konnte ihre Gemühtslage von der einen auf die andere Sekunde ändern. Mal ganz zu Schweigen von ihrem überaus lauten Schreiorgan. Fuchsteufelswild riss sie das Lenkrad herum und beschimpfte einen Fahrradfahrer, der ihr im weg stand. Gelassen zeigte dieser meiner Mutter den Mittelfinger und radelte weiter. Du kannst froh sein, dass sie dich nicht platt gefahren hat. Als wir in die nächste Straße einbogen, hatte ich das Gefühl, dass jedes einzelne Haus prachtvoll glitzerte. Es schien mir ein sehr gehobenes Viertel in unserer Stadt zu sein und deshalb war ich so überrascht, als wir plötzlich in eine Auffahrt fuhren. Meine Mutter machte den Motor aus und öffnete ihre Tür. Lauthals fing ich an zu schreien, denn ich wollte auch keinen Fall im Auto vergessen werden. Es war schließlich nicht grade angenehm in der Tragetasche. Wortlos knallte meine Mutter die Tür zu und öffnete sogleich die Tür des Rücksitzes, auf den ich zu Anfang der Fahrt geworfen wurde. Ich stoppte mein klägliches Wimmern.und sah sie mit großen Augen an. Was würde sie wohl als nächstes tun? Würde sie die Tür zuschmeißen und einfach ins Haus gehen? Nein, das konnte sie nicht. Ich würde lauthals schreien, damit die Nachbarn wecken und die würden mich dann entdecken und meine Mutter zur Rede stellen. Ja jetzt sitzt du ganz schön in der scheiße. Schadenfreude überkam mich und ich hatte das Bedürfnis hälmisch zu grinsen. Das funktionierte aber nicht so ganz. Ich war ja noch ein Baby und besaß noch nicht die Fähigkeit zu grinsen oder gar einen grammatikalisch korrekten Satz zu bilden. Herr Gott, ich konnte noch nicht mal sprechen. Unschlüssig stand meine Mutter vor der geöffneten Wagentür. Los trau dich! Ich beiße nicht! Schon wieder war meine Schadenfreude mit mir durchgegangen. Letztendlich entschied meine Mutter, mich doch mit ins Haus zu nehmen. Wahrscheinlich wollte sie es sich mit den Nachbarn nicht verscherzen. Konnte ich ein bisschen verstehen. In so einer Gegend waren gute Kontakte wünschenswert oder eher notwendig, wenn man nicht in eine Schublade gesteckt werden wollte. Durch ein kleines Loch in meiner Tragetasche konnte ich einen flüchtigen Blick in die Einganshallen unseres Hauses werfen. Es war mehr eine Villa als ein Haus. Die prunkvollen Kronleuchter, die von der Decke hingen, warfen ein helles Licht in die von teuren Möbeln verzierte Eingangshalle. Am liebsten hätte ich gepfiffen, aber auch diese Eigenschaft würde ich erst später entwickeln. Na hallo! Dieser Kronleuchter sieht nicht so gut gesichert aus. Er wackelt. Was man damit wohl machen könnte. Innerlich lachte ich ein dreckiges Lachen und ließ meinem Kopfkino freien Lauf. In meiner Vorstellung sah ich meine Mutter die Haustür hereinkommen, so wie sie es gerade eben auch getan hatte. Energisch schlug sie die Tür zu und der Kronleuchter fing an zu wackeln. Für sie etwas alltägliches, doch nicht heute. Ich schloss meine Augen und genoss den Moment, wie sie so unwissend da stand. Die Decke knartzte. Anscheinend war das auch normal denn meine Mutter ignortierte es einfach und lief locker zum Spiegel, der an der Wand hing. Direkt beim Kronleuchter. Exzelent. Ich sollte dem Innenaustatter für die Position des Spiegels einen Orden verleihen. Rumms! Ich wurde aus meinen dunklen Gedanken gerissen, als sich eine Tür schwungvoll öffnete und gegen die Wand donnerte. Ein schwarzes Loch befand sich dahinter. Kein Sonnenstrahl drang aus dem dunklen Verließ. Unheimlich. Plötzlich merkte ich, dass ich hin und her geschwungen wurde. He! Was soll das?! Willst du mich etwa da reinschmeißen?! Wag dich und ich reiß dich in Stücke! Ach was sollte ich denn anrichten? Ein Baby, ohne jegliche motorischen Fähigkeiten wollte eine Erwachsene Frau zerreißen? Wohl eher nicht. Auf einmal ließ meine Mutter die Henkel meiner Tragetasche los. Mit einer wahnsinns Geschwindigkeit stürtzte ich in das dunkle Etwas und landete unsanft auf steinharten, kalten Boden. Blöde Kuh! Vielleicht hatte sie gedacht, dass ich mir bei diesem Stunt das Genick breche, aber falsch gedacht. Lauthals meldete ich, dass es mich noch gab und dass ich Schmerzen hatte. Ich sah nur noch den schwarzen Schatten meiner Mutter im Türrahmen stehen. Ihre Hand glitt an die Tür und umfasste den Griff. Neeeeiiiin!! Rumms! Innerhalb einer Sekunde krachte die Tür ins Schloss. Dunkelheit.

Song of Death...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt