Kapitel 4

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Die Dunkelheit umhüllte mich, wie ein enges Kleid und zog sich immer mehr zusammen. Mir schien es, als würde die Hand des Todes nach mir greifen und mich langsam aber sicher in den Tod ziehen. Winselnd kroch ich tiefer in meine Tragetasche. Ich war bereit zu sterben. Ein komische Vorstellung, wenn man bedenkt, dass ich grade mal ein paar Tage lebte. Es würde höchstens eine Woche dauern, bis ich verhungert in der Tasche liegen und meinen letzten Atemzug tun würde. Aber soweit kam es gar nicht. Was ich nämlich nicht wusste war, dass ich einen Zwillingsbruder hatte. Meine Mutter hatte sich einen Sohn gewünscht, aber keine Tochter. Somit war ich das unerwünschte Kind und zum sterben verurteilt worden. Durch meine Behinderung hatte ich bereits motorische Fähigkeiten, die andere Kinder erst später entwickelten. Der Keller war gleichzeitig auch die Speisekammer. Das war mein Glück. Immer noch in der Tasche vergraben, durchstreifte ich, mit meinen Blicken, den Raum. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich erkannte die ersten Umrisse von verotteten alten Möbeln. Mein Blick blieb an einem übergroßen Metallschrank kleben. Hmmm... Was da wohl drin ist? Hoffentlich 'ne Knarre! Pusteblume. Ich kroch mit Robbenartigen Bewegungen aus meiner kuscheligen Tragetasche und meine Haut berührte den eiskalten Boden. Ich schauderte, aber hart wie ich war, robbte ich weiter. Unerschrocken griff ich nach der unteren Ecke der Schranktür, die ein wenig abstand. Ich umfasste sie und mit einem Ruck zog ich sie auf. Die Folge war der Sturz sämtlicher Lebensmittel, die im Schrank verstaut waren, auf mich. Lauthals fing ich an zu schreien. Ich erwartete, dass sofort die Tür aufschnellen und meine Mutter mir endlich den Gar ausmachen würde. Doch es blieb still. Hat die denn Tomaten auf den Ohren. Anscheinend. Mein Kopf erholte sich langsam von den verschiedenen Lebensmitteln, die mir auf den Kopf gefallen waren. Ich drehte mich von dem Schrank weg und untersuchte die Büchsen und Plastikverpackungen nach etwas, was ich schon öffnen konnte. Schließlich fiel meine Wahl auf eine einzelne Banane, die bei dem Sturz aus dem Metallschrank aufgeplatzt war. Ich hatte also nicht mehr viel zu tun, um meine erste Mahlzeit zu mir zunehmen, als mich plötzlich etwas Kaltes erfasste. Der Tod! Das ist mein Ende. Es war nur eine Packung Milch. Ebenfalls aufgeplatzt, als ich die Schranktür geöffnet hatte. Eine bessere Wahl hätte ich für meine erste Mahlzeit nicht bekommen können. Mal nach dem Verfallsdatum gucken. Fuck! Ich konnte nicht lesen. Wie denn auch? Als Säugling konnte vielleicht höchstens Walter O'Brien lesen, aber doch kein durchschnitts Baby. Egal, der Hunger treibt es rein.

Song of Death...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt