Kapitel 12.2

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~Cleophea

Seth war die letzten Tage im Training nicht bei der Sache gewesen. Ich wusste, dass ich besser geworden war, aber im Normalfall hätte ich nie so viel Treffer bei ihm landen können.
Meine Faust schnellte vor und durchbrach seine Abwehr. Ich traf ihn an der Brust, woraufhin er zurück taumelte. Das war genau das, was unter normalen Umständen niemals passiert wäre. Ich ließ die Hand sinken. ,,Was ist los mit dir?"

Genervt ließ er die Schultern kreisen. ,,Nichts."
Immerhin kein 'das geht dich nichts an'. Er machte Fortschritte. Ich musterte ihn. Er schien noch blasser als sonst zu sein und in seinem sonst so makellosen Gesicht, zeichneten sich dunkle Schatten unter seinen Augen ab.

,,Ich bin nicht blöd, Seth."

,,Ah, gut, dass du's sagst", erwiderte er, ,,das vergisst man so schnell." Wütend setzte ich zum nächsten Angriff an und hob die Fäuste. Seth sah jedoch meine Bewegung im Voraus, blockierte meinen Schlag und brachte mich mit einer schnellen Bewegung zu Fall. Nach wie vor von Wut angestachelt, sprang ich wieder auf und griff erneut an. Seth und ich tauschten Hiebe aus, blockierten die Schläge des Anderen, bis ich schließlich die äußerst dumme Idee hatte, einen Tritt anbringen zu wollen. Tritte hatten wir bisher noch nicht allzu oft geübt, deshalb war ich viel zu langsam. Seth erkannte mein Vorhaben und hielt mein Bein mit einer Hand fest, bevor es ihn traf. Ich versuchte, mich loszureißen, aber gegen ihn- obwohl er mich nur mit einem verdammten Arm festhielt- hatte ich keine Chance.

,,Das, meine liebe Hexe, ist eine ganz miese Situation."

Er nutzte den freien Arm und beförderte mich mühelos auf die Matte. Ich war nicht optimal aufgekommen und hielt mir stöhnend den Rücken. Seth hatte sich umgedreht und trank unterdessen aus seiner Flasche. Als er sich schließlich wieder mir zuwandte, hatte sich sein Gesichtsausdruck verändert, er war weniger kalt.
,,Im Kampf musst du niemanden beeindrucken, Cleo. Tue das, was du kannst und nicht das, was Anderen gefallen könnte."
Ich runzelte die Stirn. ,,Ich dachte, wir trainieren?"
Seth zog die Augenbrauen hoch. ,,Ich bin mir ziemlich sicher, dass du gerade nicht um des Trainings Willen auf mich losgegangen bist. Leichtsinn kann dich da draußen den Kopf kosten, junger Padawan."
Die Star Wars Anspielung brachte mich zum Grinsen. ,,Gerade du hältst mir einen Vortrag über Leichtsinn? Im Ernst?"
Seths Mundwinkel hoben sich ein wenig und mit diesem Ansatz eines Lächelns sah er noch gleich viel schöner aus. ,,Ich bin ein hervorragendes schlechtes Beispiel, wie man es nicht machen sollte."

,,Ich weiß nicht, ob du angesichts dieser Tatsache berechtigt bist, mir Leichtsinn vorzuwerfen."

Seth hob die Schultern. Wieder fiel mir auf, wie unglaublich... Müde er aussah. Die Schatten unter seinen glanzlosen violetten Augen deuteten ziemlich sicher auf Schlafmangel hin. Eine Weile schwiegen wir beiden, dann sagte er schließlich:,,Du machst Fortschritte, Cleo. Wenn du so weiter machst, können wir demnächst mit Dolchen anfangen." Dieses Lob- ein Lob aus Seths Mund- ließ mir quasi das Herz aufgehen.

,,Gut, noch eine Runde. Ich hoffe, du schaffst es auch, ohne dass ich dich vorher jedes mal beleidigen muss."

Weil ihm das natürlich jedes mal im Herzen weh tat, wenn er mich beleidigen musste. Tat er ja gar nicht gerne oder so. Ich schüttelte die Arme aus und riss sie hoch, als Seth zum Schlag ausholte. Ich schaffte es, den Schlag zu blockieren und holte kurz darauf selbst mit der Faust aus. Seth wich meinem Schlag aus, was mich kurzzeitig aus dem Gleichgewicht brachte, aber ich fing mich wieder und schaffte es im letzten Moment, auch seinen nächsten Angriff zu blocken.
,,Gut", lobte er, ohne mich aus den Augen zu lassen. Seth wehrte jeden meiner darauffolgenden Schläge ab und kurze Zeit später lag ich wieder auf der Matte, aber er wirkte dennoch zufrieden. ,,Es wird besser", kommentierte er und reichte mir die Hand, um mich wieder auf die Füße zu ziehen.

,,Nicht schlecht", sagte plötzlich eine weibliche Stimme.
Seth und ich drehten uns zur Tür und dort lehnte, als stände sie schon eine Ewigkeit dort, Estelle.
,,Estelle", stellte Seth fest und setze sich an den Rand der Matte. Er streckte die langen Beine aus und betrachtete interessiert seine schweren Stiefel.

,,Gute Arbeit, Seth. Ich denke, dass wir Cleophea demnächst einer Klasse zuweisen können."

Irgendwie konnte ich es absolut nicht leiden, wenn man über mich in der dritten Person sprach, wenn ich gerade direkt daneben stand, zumal Seth weiterhin teilnahmslos irgendwo hin starrte und den Eindruck machte, als würde ihn das überhaupt nichts angehen.

,,Wirklich?", fragte ich.

,,Ja", erwiderte Estelle lächelnd, ,,du bist bald so weit."
Ich wusste nicht so wirklich, wie ich mit dieser Info umgehen sollte. Auf der einen Seite freute ich mich, auf der anderen Seite machte mir die Vorstellung von regulärem Unterricht irgendwie Angst. Bevor ich etwas darauf antworten konnte, ergriff Seth wieder das Wort. ,,Gut, dass du hier bist, Estelle. Ich muss mit dir sprechen."
Interessiert hob die Internatsleiterin die Augenbrauen. ,,Worum geht's?" Seth drehte den Kopf zu mir, in seinem Blick lag unergründliche Kälte. ,,Sie sollte nicht hier sein", sagte er an Estelle gerichtet.
Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Wenn er mich freundlich gebeten hätte, den Raum zu verlassen, hätte ich das möglicherweise getan, aber diese Aussage machte mich wütend.
Sie sollte nicht hier sein.
Als wäre ich ein kleines Kind.
Estelle zuckte mit den Schultern. ,,Ich bin mir sicher, dass Cleophea auch erfahren kann, was du zu berichten hast."
Seth wandte den Blick von mir ab und sah stattdessen wieder stur nach vorne. ,,Nein", sagte er gedehnt, ,,das denke ich nicht."
Seine Stimmungsschwankungen machten mich fertig. In einem Moment hatte er mich noch gelobt und mir gesagt, dass ich Fortschritte machte und im nächsten versuchte er wieder, mich aus halbgöttlichen Angelegenheiten auszuschließen.

,,Glaubst du nicht, dass mich solche Angelegenheiten auch etwas angehen, wo ich jetzt doch auch ein Teil dieser Welt bin? Glaubst du, ich kann mich hier jemals integrieren, wenn man mich aus allem raushält?!", zischte ich.

,,Gut", sagte Seth und zuckte mit den Schultern, ,,ganz wie du willst." Sein herablassender Tonfall, während er noch immer lässig am Rand der bescheuerten Matte saß, machte mich beinahe wahnsinnig.

,,Ich bin gestern Tyche begegnet."

Ich starrte ihn an. ,,Du bist was?", fragte ich fassungslos.
,,Deshalb, liebe Hexe, wäre es für dich besser gewesen, zu gehen", erwiderte er ausdruckslos. Tyche war hier gewesen, ohne nach mir zu sehen...und plötzlich verstand ich, warum Seth mich bei diesem Gespräch nicht hatte dabeihaben wollen. Ausnahmsweise mal nicht aufgrund seines Daseins als Arschloch, sondern weil er mich vor dieser Information hatte bewahren wollen. Er wusste, wie mies es sich anfühlte, wenn sich der göttliche Elternteil einen Scheiß für einen interessierte. Dass Tyche...meine Mutter sich mir gegenüber nicht erkenntlich gemacht hatte, beschäftigte mich mehr, als es eigentlich sollte.

Überrascht sah Estelle ihn an. ,,Die Schicksalsgöttin hat dich aufgesucht? Was wollte sie?"
Seth senkte den Blick. Er schien zu überlegen, wie viele Informationen des Gespräches er preisgeben sollte.
,,Ich hatte Recht- die Vasanisten haben sich zusammengeschlossen und scheinen einem Anführer zu folgen, der sehr mächtig sein soll." Er fuhr mit dem Daumen über den kyrillischen Schriftzug auf seinem Unterarm, der sich wie ein Armband um sein Handgelenk schlang. Könnte ich russisch, hätte ich diesen jetzt entziffern können. Verdammtes französisch, nichts brachte das einem.
,,Stärker als ich es bin", fügte Seth hinzu. Stärker als er? Bei den Göttern, dieser Anführer musste ja eine verdammte Bestie sein. Estelle runzelte besorgt die Stirn. ,,Götter... Hat Tyche dir gesagt, wo du ihn findest?"
Mürrisch erhob Seth sich und schüttelte den Kopf. ,,Nein, das wäre viel zu sinnvoll gewesen. Du glaubst doch nicht wirklich, dass Götter in der Lage sind, Informationen anstelle von wirrem Gefasel  von sich zu geben."

,,Seth!" Verärgert schüttelte die Internatsleiterin den Kopf. ,,Du redest hier von Gottheiten, wie wäre es mit ein wenig Respekt?"
Seth zuckte nur mit den Schultern und schob sich an Estelle vorbei durch die Tür.
Estelle seufzte. ,,Der Junge macht mich echt fertig."

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