Kapitel 15.3

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~Seth

Der braunhaarige Typ, der die Tür zu den Zellen bewachte, starrte mich an, als befürchte er, ich könnte seinen kleinen Finger essen. Vielleicht lag es daran, dass ich heute Nacht schlecht geschlafen hatte und die Schatten unter meinen Augen jeden Vampir vor Neid erblassen lassen würden, vielleicht lag es aber auch daran, dass so ziemlich jeder an diesem Internat Angst zu haben schien, dass ich gerne Bowling mit Köpfen spielte- warum auch immer, die meisten Menschen schienen meine Anwesenheit äußerst beunruhigend zu finden. Ich versuchte, freundlich zu lächeln, wodurch ich vermutlich noch gruseliger aussah. ,,Ich würde gerne zu dem Mädchen, dass ich euch gestern gebracht habe."

Der Wächter sah nervös zur Seite. ,,Eigentlich darf ich hier niemanden reinlassen..."

,,Und ich wiederhole mich eigentlich nur sehr ungern." Widerwillig trat er zur Seite und ließ mich passieren. Na also, ging doch. Während ich nach hinten lief, wo wir das bewusstlose Mädchen gestern hingebracht hatten, glitt mein Blick über die Zellen. Die meisten waren leer, einige waren allerdings durchaus besetzt. Die Halbgötter, die sich darin befanden, sahen aus, als hätten sie ihren gesamten Lebenswillen verloren. Vermutlich warteten sie auf eine Anhörung des Rates, was im Großteil der Fälle ihre Elimination -das Nehmen ihrer göttlichen Kräfte- oder der Tod bedeutete. Der Rat ließ nur sehr selten Gnade walten. Unwillkürlich fragte ich mich, welche Verbrechen diese Häftlinge wohl begangen hatten. Oft handelte es sich um Beziehungen mit Menschen- sie waren zwar nicht verboten, aber alle Gesetze unserer Welt verboten uns, Menschen zu offenbaren, was wir wirklich waren. Leider geschah das unheimlich oft.

Ich lief weiter und achtete nicht mehr auf die verwahrlosten Augen der anderen Halbgötter. Nicht, dass ich noch auf dumme Gedanken kam... Als ich schließlich an der Zelle des Mädchens ankam, wunderte es mich nicht, dass sie aufrecht darin stand und mich anstarrte, als wollte sie mich langsam und äußerst qualvoll umbringen. ,,Hadessohn", zischte sie, ,,wie komme ich zur Ehre deiner Anwesenheit?"

,,Du könntest mir behilflich sein." Ich musterte sie gründlich, von den Stiefelspitzen bis zum schrillen violetten Haaransatz. Sie trug die gleiche Kombination aus Rüstung und Umhang wie Adler, mit dem Unterschied, dass ihre Arme größtenteils nackt waren und lediglich an Unterarmen und Handgelenken geschützt wurden. Dadurch war ein rotes Tattoo auf ihrem Oberarm sichtbar, das eine Blume -Rose, Seerose, Lilie? Ich hatte keine Ahnung von Blumen- zeigte. Der Stiel der Blume bildete ein Zeichen, das mir vage bekannt vorkam, aber ich wusste auf die Schnelle nicht, was es zu bedeuten hatte. Auf einem der Blütenblätter befand sich ein rotes Auge. Das gesamte Tattoo war in Rottönen gehalten und schien ein wenig zu leuchten, auch wenn ich mir das einbilden musste. Tattoos konnten nicht leuchten.

,,Und du kannst mich mal." Die Lilahaarige lehnte sich gegen das Gitter und musterte mich gelangweilt.

,,Wie ist dein Name?", fragte ich.

,,Bjarghildur." Bitte was? Als ich verwirrt das Gesicht verzog lächelte sie breit. ,,Ist was, Hadessohn?"

,,Du heißt nicht wirklich Bjarg-Irgendwas."

Sie zog die Augenbrauen hoch. ,,Willst du mich jetzt dafür diskriminieren, dass ich aus Schweden komme?" Ja. Unbedingt. Wer bei den Göttern nannte sein Kind so?

,,Ich bin selbst zu einem...Viertel oder so Schwede und heiße trotzdem nicht Thorbrand."

,,Ich finde schon, dass du wie ein Thorbrand aussiehst."
Wenn ich mir einen Bart wachsen lassen würde möglicherweise, ja. Ich widerstand dem Drang, mich auf eine Diskussion in Manier eines vierjährigen Kindes einzulassen, was mir ausgesprochen schwer fiel. Ich liebte solche Diskussionen. ,,Halt die Klappe."

Bjar-Bla-Irgendwas grinste. ,,Lysanna", sagte sie schließlich, ,,mein erster Vorname." Na, immerhin hatte sie noch einen halbwegs anständigen Namen, auch wenn ich es nach wie vor leicht befremdlich fand, dass Bjarghildur wirklich ein Teil ihres Namens zu sein schien. Mein Blick blieb ein weiteres Mal an ihrem Tattoo hängen. Ich könnte schwören, dass es leuchtete oder wenigstens glänzte.
Ich trat näher ans Gitter und verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Was hat es mit dieser Rebellion auf sich, Lysanna?"

Lysanna ließ sich mit der Antwort Zeit. Sie strich sich ein paar Falten aus ihrem Umhang und betrachtete eingehend ihr Tattoo. Gerade, als ich etwas sagen wollte, antwortete sie schließlich doch. ,,Du weißt schon. Ein Aufstand von Leuten, die irgendetwas gemeinsam doof finden."

Ich hatte das miese Gefühl, dass ich zwei Stunden hier verbringen könnte und nicht viel aus ihr herausbekommen würde. Versuchen würde ich es dennoch, auch wenn mein superkurzer Geduldsfaden jetzt schon stark gespannt war.

,,Oh wow. Hast du diese Definition von Kidipedia übernommen?"

,,Ich bevorzuge das Klexikon."

Ich ahnte es. Es könnte noch Stunden so weitergehen. Oder auch nicht, weil ich vorher vermutlich die Geduld verlor und das Gefängnis in Brand setzte.
,,Jetzt hör mir mal zu." Ich trat noch näher ans Gitter, aber sie wich nicht zurück. ,,Ich krieg diese Informationen irgendwie aus dir raus, glaub mir. Es liegt ganz an dir, auf welche Art und Weise."

,,Oh, aus mir wirst du nicht viel herausbekommen, Hadessohn. Ich sterbe lieber, als meine Leute zu verraten."

Ich glaubte ihr irgendwie. Ihre eisblauen Augen sahen mich noch immer furchtlos an, was ich ihr gegen meinen Willen hoch anrechnete. Selbst der Wächter vor den Zellen hatte Schiss vor mir und ihm hatte ich noch nie gedroht, ihn bei lebendigem Leib zu rösten.

,,Es gibt schlimmere Dinge als den Tod, Lysanna."
Vielleicht sollte ich es einfach mal mit einer anderen Herangehensweise versuchen. ,,Interessantes Tattoo hast du da übrigens."

Lysanna sah auf ihren Arm und anschließend wieder zu mir, woraufhin ihr Grinsen breiter wurde. ,,Das ist das Zeichen der Rebellion. Willst du mal anfassen?"

Mein inneres Kleinkind wollte unbedingt ihr Tattoo anfassen. Ich streckte den Arm aus und berührte mit den Fingerspitzen die rot leuchtende Tinte. Augenblicklich blitze es, ich bekam eine gewischt und wich ungläubig zurück. Das Tattoo leuchtete noch einmal auf, bis es schließlich wieder erlosch.
,,Was zum Hades..."

Lysanna lächelte und tätschelte die Rose auf ihrem Oberarm. ,,Jedes Mitglied der Rebellion trägt dieses Zeichen auf der Haut. Die Tinte enthält Anteile vom Blut unseres Anführers und kann nur von Leuten berührt werden, die das Zeichen ebenfalls tragen- willst du eine Ratestunde machen, wer unser Anführer ist?"
Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich gerade von einem dämlichen Tattoo elektrogeschockt worden war. Das waren zu viele Infos auf einmal, die mein Hirn verarbeiten musste.

,,Eine Mikrowelle, möglicherweise?", brummte ich.

,,Fast. Ich gebe dir einen Tipp, weil ich so gnädig bin. Die griechische Mutation aus Thor und Odin wäre..."

,,Zeus", ergänzte ich. Das Oberhaupt aller Götter als Anführer einer Rebellion gegen was auch immer? Nein, eher nicht.

,,Doch nicht Zeus, Dummerchen. Sein Sprössling." Sie schlug sich die Hand vor den Mund. ,,Oh, fuck."
Zeus hatte einen Sohn? Ich war mir zwar nicht zu hundert Prozent sicher, wie viele olympische Halbgötter es wirklich gab und von welchen Göttern sie abstammten, aber ich wüsste es, wenn Zeus einen halbgöttlichen Sohn gezeugt hätte- es sei denn es sollte niemand wissen... Es war verrückt, aber es würde Sinn ergeben. Mit ‚stärker als du es bist' hatte Tyche den Vasanistenanführer beschrieben und wer außer einem Gott konnte stärker als ich sein? Zeus' Sohn, der Sohn des Mächtigsten aller Götter. Heilige Scheiße.

,,Zeus' Sohn ist ein Vasanist", stellte ich fest, ,,deshalb durfte niemand wissen, dass er einen Sohn hat."

Lysanna biss sich auf die Lippe und schwieg. Zeus' Sohn... er war also der große Unbekannte.
,,Na bitte, geht doch. Ich danke dir, Lysanna."

Ich ließ sie zurück und lief zurück zum Eingang, der nach wie vor von dem Typen bewacht wurde. ,,Macht sie transportbereit", wies ich ihn im vorbeigehen an, ,,ich werde sie mitnehmen." Ich drehte mich nochmal um. ,,Es ist mir egal, ob du das darfst oder nicht, wenn jemand ein Problem damit hat, soll er zu mir kommen."

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