Prolog

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»meant to be • Prolog«
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Vieles an diesem Tag habe ich mir anders ausgemalt. Es war nicht geplant, dass alles so aus dem Ruder läuft. Bis vor fast drei Wochen war noch alles gut. Ich hatte noch Kian.

Aber wer hätte gedacht, dass ich schon so bald neben dem Sarg meines Bruders stehen müsste und die Leute um mich herum dabei beobachte, wie sie um ihn trauern?

Aufzustehen und daran zu denken, dass wir Kian heute begraben werden und sein lebloser Körper im Sarg das letzte Mal ist, wo ich ihn sehen werde, führt wieder dazu, dass sich meine Augen mit Tränen füllen.

Ich betrachte mich im Spiegel und schaue wieder zu meinem Gesicht und bleibe an meinen Augen hängen. Kian und ich haben dieselbe Augenfarbe und während ich in meine schaue, fühle ich mich, als würde ich geradewegs in Kians schauen.

Kian war ein viel besserer Mensch, als ich es je sein könnte. Er hat die Menschen alle gleich behandelt und aus diesem Grund hat ihn auch jeder gemocht.

Aber vieles wusste ich auch nicht von ihm. Er hat sein Bestes getan, die dunklen Seiten seines Daseins vor mir zu verbergen, um mich so vor all dem Bösen in der Welt zu beschützen.

Ein letztes Mal schaue ich mich nochmal im Spiegel an, bis ich schließlich nach meiner Umhängetasche greife und sie mir über die Schulter hänge. Vom Spiegel entfernt, öffne ich meine Zimmertür und trete hinaus in den Flur. Bedacht lasse ich meinen Blick gesenkt, denn würde ich hochschauen, würde ich auf seine Zimmertür antreffen.

Mit jeder Treppe entferne ich mich von seinem Zimmer und komme seiner Beerdigung näher. Während mir das klar wird, scheint die Vorstellung, seine Zimmertür anzustarren doch besser zu sein, als seinen Sarg.

Unsere Eltern, ich korrigiere, meine Eltern haben sich für einen offenen Sarg entschieden. Ich vermute, sie denken, dass Kian es so gewollt hätte. Ob er es tatsächlich so gewollt hätte, werden wir nie erfahren.

In der Küche treffe ich auf meine Eltern, die in ihren Gedanken versunken sind und nicht merken, dass ich die Küche betreten habe. Mum steht angelehnt am Küchentresen und starrt ins Leere, während Dad neben der Kücheninsel steht und genauso ins Leere starrt wie Mum.

"Sollen wir los?" beide zucken zusammen, als meine Stimme die Stille bricht und sich beide Köpfe in meine Richtung drehen.

Für nur eine Sekunde haben sie ihre Blicke auf mich gerichtet, als ihre Blicke wieder ins Leere gehen und ich sie wieder verloren habe.

Die Fahrt zum Friedhof verlief still. Während Dad neben mir auf dem Beifahrersitz sitzt und geradeaus schaut, sitzt Mum hinter ihm und sieht verloren aus dem Fenster. Keiner der beiden ist imstande, Auto zu fahren. Würde ich mich nicht täglich darum kümmern, dass wir etwas zu Essen auf dem Tisch haben, würden sie nicht einmal essen.

Obwohl sie täglich aus dem Bett kommen, sich in andere Klamotten zwingen und ihr Schlafzimmer verlassen, sind sie doch noch in ihrem Schlafzimmer und können nicht herauskommen. Körperlich sind sie vielleicht anwesend, aber seelisch; seelisch sind sie verloren.

Sie haben ihren Sohn verloren, ihr erstgeborener. Sie trauern um ihr Kind, welches sie viel zu früh verloren haben.

Ich würde lügen, wenn ich sage, ich wäre nicht auch verloren. Kian war mein großer Bruder, mein Beschützer, mein bester Freund, mein Held, meine Person. Von heute auf morgen habe ich ihn verloren und alles in mir schmerzt.

Mit der Zeit kommen immer mehr Familienmitglieder und teilen ihr Beileid mit meinen Eltern, die nicht wirklich anwesend sind. Viele sprechen mit mir, oft höre ich, wie leid es ihnen tut, dass er gestorben ist und das er noch zu jung war, um von uns zu gehen. Wie oft konnte ich in den letzten Minuten hören, dass er nun bei Gott ist und er zu uns lächelnd hinunterschaut.

meant to be *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt