„Willkommen an Bord der Arche."
Nabil schaute sich in dem Raum um, in den Aisaak ihn führte. Er lag am Ende eines langen Ganges, von dem auch die Zimmer seiner Mitreisenden abzweigten. Es war beängstigend, dass er seinem Lieblingsgemach in der Heimat bis zum letzten Detail glich. Die Farbkombination aus Türkis und Sand hatte ihn schon immer an das Meer erinnert, die goldenen Verzierungen waren elegant und nicht zu schwer. Es war weitläufig, luftig und lud zum Entspannen ein. Selbst für Adla, die auf seinem Handschuh thronte, gab es eine Sitzstange in einer separaten Nische. "Danke", sagte Nabil mit einiger Verspätung und setzte seine Freundin auf ihrem Ruheplatz ab. Ein kurzes Schimmern, eine Art grüner Blitz, durchlief die Stange, dann wirkte sie wieder wie aus festem Holz. Adla hatte nichts bemerkt und fing gleich an zu schlafen.
Als sich Nabil umdrehte, stand Aisaak immer noch mitten im Raum, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. „Es ist natürlich nur eine Illusion", erklärte sein Gastgeber.
Nabil lächelte schwach. „Mich irritiert nur die Perfektion."
Aisaak schlenderte langsam zu den beiden Schaukelstühlen und setzte sich vorsichtig auf einen. „Ich sehe, dass du noch Antworten brauchst, Prinz Nabil. Ich stehe dir zur Verfügung."
Nabil folgte ihm und dachte nach. Eindrücke und Ideen wirbelten in seinem Kopf umher. Wo sollte er anfangen? „Wie kommt es, dass wir dich alle verstehen können? Du sprichst doch arabisch."
„Nein, ich spreche man. Es ist so etwas wie eine ultimative Sprache, die euer Sprachzentrum direkt anspricht und eine direkte Kommunikation ermöglicht." Aisaak wirkte gut gelaunt, fast wie ein Wissenschaftler, der über eins seiner Lieblingsthemen referierte. „Tatsächlich sind eure Sprachen nur Dialekte von man."
Dialekte? Eine weitere Erinnerung öffnete sich und Nabil ließ das Sprachthema fallen. „Als der Junge gemeint hat, wir würden uns ähneln, bist du ausgewichen. Warum?" Der Stuhl knarrte genau an der gleichen Stelle wie der bei ihm zu Hause.
„Du bist sehr aufmerksam."
„Wirst du ehrlich antworten?" Erst verspätet fiel ihm die Nutzung des vertrauten Du auf, aber es störte Nabil wenig. Es fühlte sich richtig an.
„Ehrlichkeit ist ein weiteres Grundprinzip meiner Rasse." Auch Aisaak begann langsam zu schaukeln. „Der springende Punkt ist, nicht wir ähneln euch sondern ihr wurdet nach unserem Abbild geschaffen."
„Geschaffen? Von wem?" Diese Wendung hatte Nabil nicht kommen sehen.
„Ist das nicht offensichtlich?"
„Von euch", hauchte Nabil. "Aber warum?"
„Das zu erklären wird eine Weile dauern. Ist es dir recht, wenn ich es mir dazu etwas bequemer mache?"
Nabil nickte nur. Amir würde diese Wendung in eine mittelschwere Glaubenskrise führen. Ein Zylinder aus gründlichem Gel fuhr aus der Decke herab und umhüllte Aisaaks Gestalt. Gleichzeitig verschwand der Überzug, den Nabil für einen Anzug gehalten hatte und Nabil konnte erstmalig das Gesicht seines Gastgebers unverhüllt sehen. Es wirkte freundlich. Fremdartig, aber nicht abschreckend. Tatsächlich entdeckte er um die Augen seines Gastgebers sogar Lachfalten. Der Maan trug ein fließendes Gewand und etwas, das Nabil an Sandalen erinnerte. Der Aisaak fuhr fort, mit dem Schaukelstuhl vor und zurück zu wippen.
„Eine tolle Erfindung, dieser Stuhl."
Nabil nickte. Die gelartige Masse irritierte ihn. Die Enge in seinem Hals konnte er auch durch mehrfaches Schlucken nicht vertreiben. „Dieses Grün erinnert mich an die Wolke, die die Erde einhüllt."
Vor und zurück. Das Schaukeln war beinahe hypnotisch. "Das stimmt. Wir haben die Menschen geschaffen, um uns bei der Kolonisierung bewohnbarer Planeten zu unterstützen. Es braucht ein gewisses Spektrum, damit sich die Tran bilden kann."
Nabil sollte etwas fühlen. Entsetzen vielleicht oder Wut. Aber es umgab ihn nur entspannte Ruhe. „Dann habt ihr unsere Erde zerstört?"
„Sie ist nicht zerstört. Nur für euch unbewohnbar. Aber nein, das wart ihr ganz alleine. Wir folgen dem Ga'Hesha, du erinnerst dich?"
Auch wenn er den Zusammenhang nicht begriff, nickte Nabil.
„Wir haben euch diesen Planeten geschenkt. Durch eure Misswirtschaft habt ihr ihn zerstört. Hätten wir nicht die Gelkapseln platziert, wäre er zerrissen worden. Wir haben gegeben und erhalten nun Gutes."
Jedes Puzzlestück das er erhielt führte zu weiteren Fragen. „Aber das muss doch Tausende von Jahren her sein! Also, diese Ansiedlung."
„Zeit hat für uns eine andere Bedeutung. Wir sind ein langlebiges und geduldiges Volk."
Nabil dachte an alles, was sich auf der Erde ereignet hatte. „Warum all das Schlechte. Die Kriege, die Gier, der Hass?" Es fühlte sich so falsch an, im Luxus zu schwelgen und an das Vergangene zu denken. „Warum habt ihr uns so schlecht erschaffen?"
Aisaak richtete sich auf und sah in Nabils Herz. „Ihr seid nicht schlecht. Wie auch wir tragt ihr beides in euch. Wir gaben euch den freien Willen, alles andere hätte dem Ga'Hesha widersprochen. Ihr habt euer Schicksal anhand eurer Entscheidungen gewählt."
Aisaaks Worte klangen wahr und der verständnisvolle Ton umhüllte Nabil wie einen schützenden Kokon. „Was ist mit diesem neuen Planeten?"
„Wir schenken ihn euch. Es obliegt dir und deinem Volk, ob ihr ihn behaltet, oder zurückgebt."
Nabil nickte. Sie erhielten ein zweite Chance. „Was meintest du damit, dass wir uns um unsere Familien keine Sorgen machen müssen?" Das Gesicht seines Vaters tauchte vor seinem inneren Auge auf. Freute er sich auf ein Wiedersehen? Ihr Verhältnis hatte nach dem Tod seiner Mutter stark gelitten. Aber es war immerhin sein Vater. „Sind sie hier?"
„Bald." Aisaak runzelte die Stirn, als würde er die passenden Worte suchen. „Unsere Technologie ist höher entwickelt. Es ist uns möglich, anhand eurer Materie und eurer Erinnerungen die Menschen zu erschaffen, die euch gleichen. Ihr seid noch zu wenige, um einen Planeten zu besiedeln, und wir wollen euch nicht leiden sehen."
„Klonen?" Der Schaukelstuhl wippte vor und zurück. „Warum fühle ich mich so matt?"
„Das ist der medizinische Prozess." Aisaak lächelte verständnisvoll. „Um auf deine erste Frage zurückzukommen. Nein, klonen trifft es nicht ganz. Anhand der Erinnerungen und eines Wahrscheinlichkeitsalgorithmus wird die passende Persönlichkeit entwickelt. Ihr werdet keinen Unterschied merken." Sein Lächeln wurde breiter. „Immerhin seid ihr ja selbst so entstanden."
Eine Idee formte sich. „Was ist mit meiner Mutter?"
„Nun, natürlich. Wenn du willst."
Nabil nickte, auch wenn es ihm immer schwerer fiel, sich auf das Gesagte zu konzentrieren. „Was machst du mit mir?"
„Nichts Schlimmes, du kannst ganz beruhigt sein. Dein Körper wird auf dein neues Leben vorbereitet und angepasst. Genau wie der deiner Mitreisenden, angefangen von den Kindern bis hin zu Samiras Katze und deinem Falken."
Moment, Katze? Jetzt lachte Aisaak. „Du wusstest nichts davon? Nun, du wirst wohl noch ein paar Überraschungen erleben. Eure Körper sind jetzt von Krankheiten geheilt und können neue Fähigkeiten entwickeln." Er klatschte in die Hände und erhob sich. Die Wand hinter seinem Bett verschwand.
War das ein Fenster? Es drehte sich so, dass Nabil den blauen Planeten gut sehen konnte. Es war eindeutig nicht die Erde. Zwei Sonnen erstrahlen dahinter. Nabil stand langsam auf. Jegliches Gefühl für Zeit und Raum war verschwunden. Wie lange waren sie unterwegs gewesen?
Aisaak strahlte wie ein stolzer Vater, der seinem Kind ein neues Spielzeug überreicht. „Das ist deine neue Heimat, Prinz Nabil."
„Werden wir sie diesmal behalten?"
„Nun, das liegt an euch, nicht wahr?"
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Reset - eine Göttermeer Geschichte
Science FictionEine grüne Wolke breitet sich am Himmel aus. Immer schneller wächst sie, bis es kaum noch freie Plätze gibt. Auf der Flucht vor dem Unbekannten treffen verschiedene Charaktere zusammen. Darunter ein arabischer Prinz, ein Arzt, eine Kindergärtnerin...