Kapitel 1

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Gähnend strecke ich mich auf dem kleinen hölzernen Hocker. Ich reibe mir die Augen, nehme müde einen Schluck von meiner Tasse Kaffee und blättere gelangweilt in irgendeinem Klatschmagazin. Es ist bereits halb fünf – nur noch wenige Minuten bis ich den Laden dicht machen kann. Draußen regnet es in Strömen. Zig Leute laufen hektisch über die Straße, entweder mit einem Schirm oder einer tiefsitzenden Kapuze bewaffnet. Keiner verirrt sich in meinen Laden. Nicht einmal bei diesem Sauwetter.

Missmutig werfe ich einen Blick in die Kasse. Beinahe erwarte ich eine Fliege aufsteigen. Ich klatsche mit beiden Händen gegen meine Wangen, mache mich daran die Vitrinen abzustauben und die Artefakte neu zu sortieren. Ja, richtig gehört, das hier ist kein normaler Antiquitätenladen. Hier findet man nur besondere Gegenstände mit einem Eigenleben. Magische Objekte. Die meisten Kunden sehen hier nur stark abgenutzte Relikte einer vergangenen Zeit, aber für Hexen und Alchemisten oder andere magische Geschöpfe ist es das reinste Paradies. Neben Glücksbringern, Wächtern und Zauberbüchern beherberge ich auch verfluchte Andenken – diese erhält man aber natürlich nur mit einer Genehmigung.

Plötzlich bimmelt die kleine Glocke an der Ladentür. Ein Kunde! Ich wische mir den Staub von den Händen an meiner Hose ab und laufe nach vorne. „Herzlich willkommen bei Lindgrens Allerlei! Wie kann ich Ihnen behilflich sein?" Vor mir stehen drei Männer in Smoking mit Melone. Der Mittlere mit stämmiger Figur und goldenem Gehstock – definitiv magisch – wird von den zwei jüngeren Herren mit mindestens zwei Köpfen überragen. Ich kenne diese Art von Menschen oder sollte ich eher Wesen sagen? Jedes Kind hätte den Gestank von Werwölfen an den Bodyguards wahrgenommen. Ihr Boss mustert mich mit einem unergründlichen Blick aus seinen grünen Augen. Ich gehe vorsichtshalber einen Schritt zurück und bringe den Tresen zwischen mich und meine Gäste.

Der Mann räuspert sich erst und fragt dann mit rauer Stimme: „Miss Cathalea Lindgren?" „Zu Ihren Diensten", erwidere ich gelassen. In meinem Kopf überschlagen sich jedoch die Fragen: Schuldeneintreiber? Nein, ich bin mir ziemlich sicher, die Steuern bezahlt zu haben. Schmuggler? Nein, sie hätten dann entweder gleich angegriffen oder wären erst nach Ladenschluss eingestiegen. Also, wer zum Teufel sind die? „Haben Sie die Wahl des Großmagiers verfolgt?" Die Frage verwundert mich. Die gesamte magische Welt war aus dem Häuschen, wenn ein neuer Großmagier ernannt wurde. Niemand würde auch nur ein Fünkchen Information verpassen. Also nicke ich.

„Was wissen Sie über den neuen Großmagier?"
„Ich denke, dass was jeder über ihn weiß. Er soll der jüngste Anwärter seit den Aufzeichnungen der Zaubergeschichte sein, ebenso schon wie das jüngste Mitglied im Rat der Magier."
Der Mann nickt zustimmenden, scheint mit den Gedanken aber abwesend zu sein. Dieses Treffen wird immer bizarrer. Ich mache eine ausladende Handbewegung und deute nach draußen.
„Und nicht zu vergessen, all die Plakate." Natürlich keine richtigen, denn dann würden wir ja auffallen unter all den nichtmagischen Menschen, sondern astrale, die nur übernatürliche Wesen sehen konnten. Auch wenn ich diese Bilderflut noch nie verstanden habe, schließlich sah man lediglich eine schwarze Robe mit goldenen Applikationen und einen Maskenträger. Man konnte das blonde Haar gerade so erahnen. Mehr aber auch nicht.

„Sind Sie mit den darauffolgenden Gepflogenheiten vertraut?"
Langsam reißt mein Geduldsfaden. „So sehr ich diese Unterhaltung auch genieße, muss ich Sie dennoch darum bitten zum Punkt zu kommen, da ich jede Minute den Laden schließen möchte."
„Einverstanden." Einer der Werwölfe reicht dem Mann einen Aktenkoffer. Er kommt mit ihm direkt auf mich zu, öffnet ihn auf meinem Tresen und holt eine Reihe Papiere hervor. Ich erkenne sofort meinen Registrierungsbogen.
„Woher haben Sie das?", frage ich verwundert und auch ein bisschen verärgert. Diese Art von Dokument ist eigentlich streng vertraulich.
„Miss Lindgren, ich darf Ihnen die freudige Nachricht überbringen, dass Sie auserkoren sind, die Verlobte des Großmeisters zu werden."

Pause. Keiner sagt mehr etwas. Plötzlich ertönt mein schallendes Lachen. Ich erschrecke mich vor mir selbst und halte mir den Mund zu, räuspere mich kurz und entschuldige mich für den Aussetzer. Dann füge ich hinzu: „Sir, nichts für ungut, aber Sie haben offensichtlich die falsche Dame aufgesucht." Der Mann nimmt kurz den Hut vom Kopf und streicht sich nervös über die Halbglatze. „Miss, ich verstehe Ihre Verwirrung, aber ich kann Ihnen bestätigen, dass es keinen Zweifel gibt. Der Großmagier hat Sie erwählt. Sehen Sie!"

Er reicht mir irgendwelche Dokumente. Darunter ein Brief mit Siegeln, indem ein gewisser Herr Warden bestätigt, dass er Miss Cathalea Lindgren, wohnhaft in Berlin, geboren am 21. Mai 1993, auserwählt hat, seine Gattin zu werden. „Wollt ihr mich verarschen?", rutscht es mir heraus, während ich meine Registrierungs-ID mit der angegebenen vergleiche. „Das ist totaler Wahnsinn! Warum zur Hölle sollte man mich dafür auswählen?"
„Das war die persönliche Entscheidung des Großmagiers."
Mir ist speiübel und schwindelig. Ich zittere am ganzen Körper. „Aber, das kann man doch nicht so einfach bestimmen. Ich kenne den Typen ja nicht einmal!"
„Es ist eine große Ehre..."
„Ehre hin oder her. Das ist eine bodenlose Frechheit!" Ich werfe die Hände in die Luft, während ich auf und ab laufe. „Das können Sie mal schön vergessen! Ich weigere mich." Entschlossen stemme ich die Hände in die Hüfte. „So, und nun raus hier!"

Der Mann ist sichtlich empört über mein Verhalten, aber das ist mir sowas von egal. Er richtet seine Krawatte, ehe er etwas erwidert: „Miss Lindgren, Sie scheinen Ihre Lage nicht ganz zu begreifen. Daher helfe ich Ihnen die Angelegenheit besser zu verstehen. Sie steigen zur einflussreichsten Dame unserer Gesellschaft an der Seite unseres äußerst wertgeschätzten Großmagiers auf. Sie werden im Anschluss an dieses Gespräch Ihre Koffer packen und mit uns zum Flughafen kommen, wo ein Privatjet auf Sie wartet." Ich will ihm das Wort abschneiden, doch ein Aufblitzen von Magie lässt mich innehalten. „Sollten Sie, als Halbhexe, irgendwelche Bedenken haben, sich der Aufgabe vielleicht nicht gewachsen fühlen, dann werden Ihnen gerne diese beiden Herren bei Ihrer Entscheidung helfen." Die Drohung dahinter ist offensichtlich. Ich habe keine Chance gegen zwei ausgewachsene Werwölfe und dementsprechend auch keine andere Wahl, als das mir aufgetragene zu erfüllen.

Ich bin wütend und verzweifelt zu gleich. Das hier ist mein Leben! Ich habe es mir aus den Ruinen meiner Familie aufgebaut, einen Namen als Artefaktejägerin gemacht, trotz meines minderen magischen Potentials. Aber das hier sollte nun der Vergangenheit angehören. Ich gehe zur Wandgarderobe und greife nach Jacke, Mütze und Schal. Wie hypnotisiert überprüfe ich ein letztes Mal jedes einzelne Schloss, erneuere jeden Verschlüsselungszauber und erkläre Mr. Ohne-Namen, welche Gegenstände in Obhut des Ministeriums übergeben werden müssen. Dann greife ich nach meiner Tasche und trete ins Freie. „Gehen wir." Ich nicke. Der Regen verdeckt meine Tränen.

Malachit und TigeraugeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt