Kapitel 12

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„Das tat gut!" Zufrieden streiche ich über meinen vollen Bauch. Ich hatte bestimmt 5 kg Essen in mich befördert!
„Du bist wirklich ein Fass ohne Boden", stellte Askyell schon fast anerkennend fest.
„Und du schlimmer als ein Modell auf Diät!" Ich frage mich, was das nur immer für eine Lebensmittelverschwendung sein musste, wenn er allein unterwegs ist. Gibt es eigentlich etwas Unattraktiveres als ein Mann ohne Appetit? Er holt wieder die kleine Dose aus dem Jackeninneren. Dieses Mal bemerke ich den eingravierten Adler. Irgendwo habe ich dieses Symbol schon einmal gesehen.

„Willst du alleine sein oder leistest du mir Gesellschaft?" Ich bin überrascht, dass er meine Nähe sucht. Und gebe zu, dass ich gerne noch ein paar mehr Dinge über ihn wissen würde. Heute scheint zumindest der perfekte Tag für Fragen zu sein. Also begeben wir uns in die Hotelbar. Askyell bestellt für uns jeweils einen Kurzen, für ihn noch einen Whiskey und für mich einen Cocktail mit Erdbeergeschmack. Ich verziehe angewidert das Gesicht von dem Brennen in meiner Kehle nach dem Shot. „Eklig!"
„Kulturbanause, das war eine chinesische Spezialität."
Also darauf hätte ich wirklich gerne verzichtet. Abgesehen von uns ist die Bar nicht sonderlich gut besucht. Die meisten Tische sind leer, in den runden Nischen scheinen noch ein paar Gäste etwas zu trinken und zu essen. Neben uns an der Bar sitzen zwei ältere Herren und rauchen Zigarre. Durch die große Fensterfront mit ausladender Terrasse ist die atemberaubende Skyline von Shanghai zu sehen. Tausende Lichter flackern in der Dunkelheit.

Askyell meint irgendetwas auf Chinesisch zu dem Barkeeper. Dieser nickt freundlich.
„Was hast du zu ihm gesagt?"
„Dass er nachschenken soll, sobald ein Glas leer wird."
Das kann ja heiter werden! Anhand des Füllstandes erkenne ich, dass Askyell schon bei seinem zweiten Drink ist. Ich versuche nicht länger drüber nachzudenken. Ignoriere auch die zweite Zigarette, die er sich angesteckt an. „Ich wusste gar nicht, dass du Chinesisch kannst."
„Was weißt du denn schon über mich?", fragt er belustigt.
Ich muss ihm leider recht geben. Ich habe keine Ahnung, wer mir da gegenübersitzt. „Gut, dann erzähl mal. Wie alt bist du eigentlich?"
„Langweilig."
„Irgendwomit muss ich anfangen."
Er seufzt. „Gut, dann rate."
„33?"
Überrascht reißt er die Augen auf, seine Augenbrauen treffen sich fast in der Mitte. „Sehe ich so alt aus?"
Verlegen tippe ich mit den Zeigefingern aneinander und schaue ihn erwartungsvoll an.
„Ich bin 28."
„Oh", entfährt es mir, „Und wann hast du Geburtstag?"
„24. Oktober."
„Skorpion also." Es rutscht mir einfach so heraus und ich brauche nicht einmal in Askyells Gesicht zu gucken, um zu wissen, dass er grad jegliche Achtung vor mir verloren hat.

Um schnell vom Thema abzulenken frage ich: „Hast du Geschwister?" Stille. Askyell guckt mich einfach nur an, die langen Beine übereinandergeschlagen, den Ellenbogen auf den Tresen gestützt. Zwischen den Fingern hält er seine Zigarette, die andere Hand ruht auf seinem Schoß. Das Gesicht ist komplett ausdruckslos. Nach der Verlobungsfeier oder den Aussagen von Lady Chastain über Mr. Warden und Askyell hätte ich es mir eigentlich denken können. Er hat niemanden. Die Stille herrscht noch für fünf Minuten, dann halte ich es nicht mehr aus.

„Warum fragst du mich nichts?" Drink Nummer 4. „Willst du nichts über mich wissen?"
„Alles, was es da zu wissen gibt, weiß ich bereits."
Das tut weh. „Ach ja, dann lass mal hören!", fordere ich ihn schnippisch auf. Kippe Nr. 6. „Cathalea Lindgren, geboren am 21. Mai 1993 in Seelow. Einzelkind. Eltern haben sich scheiden lassen, als du acht Jahre alt warst. Dein Vater ist mit einer Pilates-Trainerin durchgebrannt, deine Mutter hat es danach mit den Männern aufgegeben. Grundschule, Gymnasium, Abitur ohne besondere Vorkommnisse. Da dein Vater ein Nichtmagischer ist, hält sich dein magisches Potential in Grenzen. Deine Testergebnisse der Gilde waren eher mangelhaft, außer in der Kunde über Artefakte. Womit du dich dann auch mit 18 Jahren selbstständig gemacht hast. Deine Mutter ist von einem Ort zum nächsten gereist und du musstest schnell lernen für dich selbst zu sorgen. Du brauchst keinen Mann im Leben, aber insgeheim wünscht du dir trotzdem, dass jemand vorbeikommt und dich aus deinem tristen Alltagsleben befreit. Zum Glück kam ja dann jetzt endlich dein Held in strahlender Rüstung."

Malachit und TigeraugeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt