Die Sonne steht bereits hoch am Himmel, als ich die Augen aufschlage. Reserviert lasse ich den Blick über die spartanische Einrichtung schweifen. Auch wenn das Haus von außen einer Villa gleicht, so lässt die Ausstattung definitiv zu wünschen übrig. Lediglich die öffentlichen Räume wie die Eingangshalle oder das Speisezimmer sind prunkvoll gestaltet. Ich frage mich, ob es der Familie an Geld fehlt oder Askyell nur einfach keinen Sinn in gemütlichen Möbeln sieht. Das Bett ist jedenfalls steinhart.
Mit schmerzendem Rücken lasse ich die Gelenke knacken ehe ich aufstehe. Mehr schlecht als recht bürste ich mir durchs Haar, wähle meinen Lieblings-Oversize-Pulli und eine gemütliche Leggings dazu. Nachdem ich im Bad das Dringendste erledigt habe – sich das verheulte Gesicht zu waschen gehört definitiv dazu – laufe ich die Treppe hinunter, die Bücher von Lady Chastain unter den Arm geklemmt.
Die Luft ist erfüllt von dem verlockenden Duft frisch gebratener Eier. Schwungvoll öffne ich die Flügeltür und trällere ein fröhliches: „Guten Morgen!" Nicht einmal Mr. Warden hält es für nötig von seinem Frühstück hoch zu sehen. Unbeirrt knalle ich die Bücher direkt neben Askyells Kaffeetasse. Zufrieden bemerke ich wie von der Erschütterung ein Schwung der dampfenden Flüssigkeit überschwappt.
„Die sind für dich, Drake." Er schnaubt und seine grauen Augen fixieren mich. Die Wut in seinem Blick lässt das Blut in meinen Adern gefrieren und ich rudere etwas zurück. Zum ersten Mal habe ich Angst vor ihm. Wie dumm von mir! Natürlich sollte ich Angst haben. Schließlich ist er nicht ohne Grund der amtierende Großmagier.
Schweigend nehme ich Platz. Sofort stellt eine streng dreinblickende Dame mir eine Portion Spiegeleier mit Toast hin, während sie mir anschließend Kaffee einschenkt. In diesem Haus tragen selbst die Angestellten das gleiche Gesicht. „Und was soll ich damit?" Ich brauche drei Sekunden bis ich realisiere, dass Askyell mit mir spricht. Verdutzt schaue ich ihn an, während er mit einer tiefen Furche zwischen den Augenbrauen das erste Buch durchblättert. Soviel zum Thema.
Ich werfe einen kurzen Blick zu Mr. Warden und erinnere mich daran, was Lady Chastain über ihn gesagt hat. Also lüge ich: „Sie sind ein Geschenk. Von mir. Ich habe sie kurz vor meiner Abreise ersteigert und dachte, du könntest damit etwas anfangen." Ich halte seinem Blick stand und hoffe, dass er meine Lüge schluckt. Schnell versuche ich ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. „Und was steht heute so an?"
„Der Großmagier und ich werden um 11 Uhr zu einer Versammlung des Vorstands des Ministeriums für politische Angelegenheiten aufbrechen. Es folgen Sitzungen des Rats der Magier und eine Zusammenkunft der Minister. Wir werden also den ganzen Tag fort sein." Abgesehen von der bizarren Tatsache, dass Mr. Warden von seinem Neffen als Großmagier spricht, entfacht in mir das starke Bedürfnis vor Freude zu jubeln. Ich habe also einen Tag ganz für mich allein!
„Lady Chastain wird gegen 3 Uhr nach dir sehen." Über die komische Aussage von Askyell runzle ich die Stirn. „Das heißt, ich soll den ganzen Tag über hier sein?" Er faltet die Hände auf der Stelle, wo eben noch seine Teller gestanden haben. Sein Blick ähnelt dem eines Vaters, der gerade sein Kind tadelt. „Das bedeutet, dass du dich innerhalb dieser Mauern frei bewegen darfst. Die Außenwelt ist vorerst für dich tabu." Mir klappt die Kinnlade herunter, während ich versuche zu begreifen, was gerade passiert ist. „Du sperrst mich hier ein?", flüstere ich zitternd. „Es ist zu Eurem Besten", ergänzt Mr. Warden. Ohne ein weiteres Wort steht Askyell auf, nimmt zu meiner Überraschung die Bücher mit sich und will den Raum verlassen. „Das kannst du nicht machen!", bricht es aus mir heraus. Er ignoriert mich. Schon wieder. Mr. Warden bleibt in der Tür stehen. In seinem Gesicht fehlt jegliche Spur von Herzlichkeit und Wärme. „Doch, das kann er. Ich wünsche einen guten Tag, Miss Lindgren."
„Ich fasse es nicht!", rufe ich aus, während ich wütend mit der Faust auf den Tisch schlage. „Junge Dame, zügeln Sie ihren Zorn!" Wütend funkle ich die Haushälterin an. Sie erwidert ebenso giftig meinen Blick. Ich würde am liebsten mit irgendetwas werfen, besinne mich dann aber doch wieder. Lustlos stochere ich in meinem Frühstück herum. Dieser Alptraum wird einfach immer schlimmer.
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Malachit und Tigerauge
FantasyWer willst du sein in einer Welt voller Intrigen? Ein Heiliger ohne Gewissen oder ein Tyrann als Hüter der Nation? Cathalea wird unfreiwillig die Verlobte des Großmagiers. Seine Aufgabe ist die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Dämonen u...