Kapitel 45

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Die Feste des Großmagiers - Ich kann immer noch nicht glauben, dass dieser Ort wirklich existiert. Unzählige Geschichten ranken sich um diese geheimnisvolle Burg in einer anderen Dimension, doch trotzdem hielt ich es immer nur für ein Märchen. Aber jetzt stehe ich hier.

Die gesamte Umgebung ist durchtränkt von dem Mana eines jeden Würdenträgers. Ich frage mich, welchen Teil Askyell dieser Insel hinzugefügt hat. Während der Norden durch eine Steilküste gekennzeichnet ist, liegt im Süden ein weißer Sandstrand. Hinter mir erhebt sich ein tropischer Wald, vor mir erstreckt sich die unendliche Weite des Ozeans. Mit meinem Finger zeichne ich Strudel und Sterne in den körnigen Boden. Lege schimmernde Muscheln drum herum. Versuche mich zu entspannen. Aber der Druck in meiner Brust bleibt.

Ich fühle mich einfach elend, habe die weitläufigen Zimmer und Flure der Burg hastig hinter mir gelassen. Habe es einfach nicht länger ertragen tatenlos zusehen zu müssen, wie die anderen die Verletzten heilen. Es gibt so wenige Überlebende. Und es war mein Plan, der die anderen in den Tod geführt hat.

Arvis. Sie ist noch immer bewusstlos, obwohl Askyell für ihre Heilung seine letzten Kräfte mobilisiert hat. Energisch schüttle ich den Kopf und versuche die Bilder zu vertreiben. Strecke mich nach hinten und starre hinauf zu dem blauen Himmel. Dieser Ort ist so friedlich. Niemals würde man auf die Idee kommen, dass in einer anderen Dimension just in diesem Moment unsere Welt in Flammen steht.

Jemand nähert sich und mein Herz hüpft. Askyell. Dicht neben mir lässt er sich erschöpft auf den Sand fallen. Hat den Frack in der Festung gelassen. Die Ärmel des silbernen Hemdes sind bis zum Ellenbogen hochgekrempelt. Sein nackter Unterarm streift meine Haut und hinterlässt eine angenehme Gänsehaut. Zaghaft spähe ich in sein Gesicht. Die Müdigkeit spiegelt sich in seinen Augen wider. Sie wirken stumpf. Obwohl mir so viele Fragen auf der Seele liegen, schweige ich. Weiß, dass er die Ruhe genießt. Und so schaue ich stattdessen zurück aufs Meer.

Nicht eine Möwe zieht ihre Kreise am wolkenlosen Himmel. Diese Insel scheint wirklich der Innbegriff der Einsamkeit. Hier könnte ich für immer bleiben. Überrascht halte ich die Luft an, als Askyell seinen Kopf auf meine Schulter legt. Seine Haare kitzeln mich am Hals. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er die Lider geschlossen hält. Mit dir. Für immer.

Nach einigen Minuten frage ich auf die Gefahr hin diesen Moment zu zerstören: "Ist das überhaupt bequem?" Er antwortet lediglich mit einem Brummen. Es zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Ich seufze gespielt und bemerke: "Na, ich will mal nicht so sein. Schließlich sollst du morgen die Welt retten."
"Hm?" Er hebt leicht den Kopf um mir ins Gesicht sehen zu können. Mit angehaltenem Atem mustere ich die kleinen Fältchen um seine Augen. Die bläulichen Tupfen in diesem unendlichen Grau.
"Ausnahmsweise erlaube ich dir den Kopf auf meinen Schoß zu legen", erkläre ich mit ruhiger Stimme. Ich wäre gerne so cool, dass man mir meine Nervosität nicht anmerken würde, aber stattdessen spüre ich wie mir währenddessen die Röte ins Gesicht steigt. Ich mich schleunigst von seinen Augen losreißen muss. Also beobachte ich wieder das Meer, als ich hinzufüge: "Dann musst du dich nicht so verrenken. Davon kriegt man nur Rückenschmerzen."
Bevor ich überhaupt das letzte Wort aussprechen kann, schmeißt sich Askyell förmlich in den Sand und benutzt meinen Schoß als Kopfkissen mit einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht.

Während der Großmagier fröhlich glucksend vor sich hin döst, beobachte ich das Lichtspiel in seinen silbernen Haaren. Mustere seine dunklen Wimpern. Bemerke einen kleinen Leberfleck seitlich am Kinn.

"Also ich finde, so als Retter in der Not, hätte ich es auch verdient ein wenig den Kopf gekrault zu bekommen", fordert Askyell.
"Wieso, hast du Läuse?"
"Keine Ahnung, guck nach!" Über diese Aufforderung muss ich lachen. Sein Blick verhärtet sich und ich halte irritiert inne. "Nein, wirklich." Mit kreidebleichem Gesicht fest sich Askyell an den Kopf.
"Dein Ernst?", rufe ich entsetzt aus. In seinen grauen Augen spiegelt sich blanke Panik wider. Und so sitze ich am Strand, durchsuche mit akribischer Genauigkeit die Haarpracht des Großmagiers, während er mir erzählt in was für einer furchtbar heruntergekommenen Bruchbude er die letzten Nächte verbringen musste.

Malachit und TigeraugeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt