Kapitel 30

35 10 4
                                    

Seit etwa zehn Minuten liege ich wach. Draußen wird es langsam hell, die Vögel zwitschern. Die Sonne scheint durch das große Fenster auf das Bett, die leicht transparenten Gardinen wiegen sich sachte im Wind. Es könnte ein so idyllischer Morgen sein, wenn da nicht ein Detail wäre.

Ich bin nicht allein. Zunächst dachte ich, es wäre Einbildung. Aber nachdem ich mich getraut habe die Augen zu öffnen, muss ich wohl oder übel zugeben, dass diese gigantische Pranke mit den perfekt manikürten Fingernägeln und den kleinen blonden Härchen nicht meine ist.
Oh Gott.

Ich schlucke. Mir ist verdammt warm. Und dieser Fakt ist nicht nur der Situation an sich oder der Sonne geschuldet, sondern liegt auch daran, dass mir jemand seelenruhig in den Nacken atmet – mich quasi als Kuscheltier missbraucht. Ich bin nervös. Wage es nicht mich auch nur einen einzigen Millimeter zu bewegen.

Diese Hitze! Warum habe ich auch den XXL-Pullover und die Flauschesocken an? Obwohl mein Seidenpyjama mir jetzt wohl doch noch unangenehmer wäre. Und da ist es: der schrille Ton des Weckers, der den Horror auch noch vorantreibt!

Es regt sich. Mir ist schlecht. Es murrt irgendetwas von "zu früh". Dann scheint Es langsam die Situation zu analysieren und trällert fröhlich: „Guten Morgen, Sonnenschein." Möchte ihm die Augen auskratzen. Um Fünf Uhr morgens aufzuwachen, neben ihm, hat definitiv nichts von einem guten Morgen!

Aus meinen Augen sprühen Blitze, Askyell runzelt nur seufzend die Stirn und verschwindet im Bad. Und nein, ich habe ihm natürlich nicht hinterhergesehen. Weiß jetzt auch nicht, dass er ein kleines Tattoo auf den Rippen links von der Brust trägt. Okay, vielleicht habe ich doch kurz hingeguckt.

Während mein Hirn offenbar immer noch damit beschäftigt ist langsam hochzufahren, duscht sich bereits der feine Herr. Wann ist er überhaupt wieder nach Hause gekommen? Als die Tür aufgeht, wandert mein Blick automatisch hin. Ein Fehler – da steht er, der Großmagier, nur ein Handtuch um die Lenden gebunden.

Ohne mich zu beachten kramt er seelenruhig in der Schublade auf der Suche nach einer Boxershorts und dazu passende Socken. Wie kann man nur so ungeniert sein?

„Gefällt dir was du siehst?", fragt er ohne aufzublicken. Mir schießt schlagartig die Röte ins Gesicht. Ich kriege kein Wort über die Lippen. „Du weißt schon, dass ich dich im Spiegel sehen kann, oder?" Verzweifelt lasse ich mich wieder rücklings aufs Bett fallen. Ich möchte einfach nur noch in mein Kissen schreien.

„Nichts da!", ruft Askyell lachend. Und mit einem Ruck fliegt die Decke weg. „Du hast 15 Minuten um dich fertig zu machen. Danach brechen wir auf." Fassungslos starre ich ihn an. Als könnte er Gedanken lesen, erklärt er: „Du wolltest doch unbedingt in die Bibliothek meines Vaters. Dann steh jetzt auch auf. Das wird ein anstrengender Tag."

Und plötzlich tickt ein Timer und ich weiß genau, dass der Großmagier mir keine Sekunde länger Zeit gibt. Also laufe ich los. Ab ins Bad, während Askyell sich das Grinsen nicht verkneifen kann. Warum hat er heute so gute Laune?

---

Wenn man weiß, dass man in einen von der Außenwelt abgeriegelten Ort eindringt, der zudem auch noch viele Gefahren birgt, dann erwartet man irgendwie eine Besprechung verschiedener Gefahrensituationen und eine Aufklärung über entsprechende Verhaltensweisen. Man stellt sich funktionell gekleidete Operatoren vor, eine an die Fähigkeiten angepasste Aufgabenverteilung. Halt so wie in den ganzen Hollywood-Blockbustern.

Aber seit Mr. Warden nun schon ungefähr zehn Minuten lang die verschiedenen Essens- und Pipipausen erläutert, habe ich meine Illusion von Mission Impossible aufgegeben. Stattdessen komme ich mir mittlerweile vor, wie auf einem Wandertag in der Schulzeit.

Malachit und TigeraugeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt