Gwyneth Cherleton

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Dracos Sicht


Ich musste schnell feststellen, dass Gwyneth Cherleton der Mittelpunkt jeder Party war.

Sie war noch keine fünf Minuten angekommen, da nippte sie schon an einem Glas Elfenwein und unterhielt sich mit meiner Tante Bellatrix. Vom anderen Ende des Raumes konnte ich sehen, wie sie ihr die Hand schüttelte, wieder mit diesem Lächeln im Gesicht, das mir jetzt schon auf die Nerven ging.

Schön und gut, sie war vielleicht ein fröhlicher Mensch, aber das war kein Grund pausenlos so dämlich zu grinsen. Und das auch noch in meinem Haus!

Noch bevor ich die Augen verdrehen konnte, spürte ich die Hand meiner Mutter auf meiner Schulter.

„Wer hat sie eingeladen?", fragte ich mit geschürzten Lippen und wies mit dem Kopf in Gwyneths Richtung. Mutter nickte verständnisvoll. „Ich habe ausdrücklich gewünscht, dass sie kommt."

„Du wolltest es so?" Ich schnaubte verächtlich. „Schau sie dir an, Mutter. Sie legt ein abscheuliches Verhalten an den Tag. Sie hat keinerlei Manieren oder Schamgefühl, so wie es aussieht. Stolziert in unserem Haus herum, als sei es ihr eigenes. Wenn Vater das sehen könnte..."

Mutter machte ein Geräusch, das am ehesten einem melancholischen Schmunzeln gleichkam, als sie sich neben mich stellte. Sie trug ein Kleid aus schwarzer Seide mit hochwertigen Stickereien darauf, so wie es sich für die Frau eines ranghohen Todessers gehörte. Ich wüsste nicht, wer diesen blonden Trampel am Ende des Raumes jemals zur Frau nehmen wollen würde. Dieser Mann müsste verrückt sein.

„Sie wird ab nächster Woche ebenfalls Hogwarts besuchen", sagte Mutter mit gequälter Stimme und ich riss den Kopf herum. Was redete sie da? Und wohin sollte diese Unterhaltung führen?

„Ich dachte, du könntest sie vielleicht willkommen heißen." Als ihr Ton plötzlich beinahe eingeschüchtert klang, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Seit Vater nach Askaban gekommen war, machten wir beide eine schwere Zeit durch. Nur vergaß ich dabei manchmal die Gefühle meiner Mutter, die sehr unter der Abwesenheit ihres Ehemannes litt, auch wenn sie das niemandem gegenüber je zugegeben hätte.

„Du weißt, dass Artus und Whitley Cherleton in der Gunst des Dunklen Lords stehen. Eine Bekanntschaft mit ihrer Tochter kann sich nur positiv auf unsere Familie auswirken", erklärte sie, aber klang dabei schrecklich müde. Die gräulichen Schatten unter ihren Augen bemerkte ich erst, als ich mich zu ihr umdrehte, um ihr eine Antwort zu geben. Sie schlief seit Wochen nicht mehr.

Ich stieß einen Seufzer aus. „Ich werde sehen, was ich tun kann."

„Danke, Draco." Sie strich mit ihren Fingerspitzen über meinen Oberarm und lächelte mich dankbar an, ehe sie durch den Salon auf ihre Gäste zuschritt.

Der schwarze Anzug schmiegte sich an meinen Körper wie eine zweite Haut, so dass ich sicher und ohne jeglichen Zweifel zu meiner Tante und diesem seltsamen Mädchen ging. Dabei musste ich zwei Hauselfen beiseiteschieben, die mit einem vollen Tablett Elfenweinflöten und Whiskeygläsern durch den Salon liefen und jedem Gast etwas zu trinken anboten. Auch wenn sie nur Angestellte waren, die für uns arbeiteten, war ich doch überrascht, was sie mit ihrer Magie anstellen konnten. Der Salon war nicht mehr wieder zu erkennen: Statt dem schweren Mahagonitisch, der sonst mit seiner Länge den gesamten Raum ausfüllte, standen überall schwarze Stehtische; im Kamin brannte ein Feuer in der Lieblingsfarbe meiner Mutter – moosgrün. Der Kronleuchter an der Decke leuchtete heller als sonst und zwischen den hohen Lehnstühlen, auf denen sich eine Gruppe älterer Frauen gerade einem Kartenspiel hingab, spielte ein Flügel von selbst leise klassische Musik.

Die Atmosphäre wäre faszinierend gewesen, wenn ich nicht immer im Hinterkopf gehabt hätte, dass Mutter diese Geburtstagsfeier nur veranstalte, um zu zeigen, dass unsere Familie nach der Verhaftung meines Vaters nicht in Scherben lag. Das tat sie aber. Ich konnte mich nämlich an keinen Abend erinnern, seit Vater weg war, an dem ich Mutter nicht beim Weinen im Salon erwischt hatte. Jedes Mal hatte sie sich die Träne mit vorgehaltener Hand aus dem Augenwinkel gewischt und mir versichert, dass alles in Ordnung war, obwohl ich am besten wusste, dass das nicht stimmte.

„Draco Malfoy", hörte ich Gwyneth fröhlich singen, noch bevor ich bei ihnen zum Stehen gekommen war. Ich hatte das starke Bedürfnis, die Augen zu verdrehen. Stattdessen zog ich gezwungen die Mundwinkel hoch, wohl wissend, wie falsch mein Lächeln aussah. Dieses Mädchen würde mich nicht noch ein weiteres Mal mit ihrer Art einschüchtern!

„Wie ich sehe, hast du meinen Neffen schon kennengelernt", sagte Bellatrix hysterisch kichernd. Die beiden passten ja perfekt zusammen...

„Bella ist deine Tante?", fragte Gwyneth unnötigerweise und klang ernsthaft überrascht. Ich nickte stumm. Warum war das so wichtig? Bellatrix warf, immer noch lachend, ihren schwarzen Lockenkopf zurück. „Dann lass ich euch Zwei mal alleine." Bellatrix wackelte mit den Augenbrauen, ehe sie sich wie ein kleines Mädchen kichernd umdrehte und zwischen den Gästen verschwand.


„Du gehst also bald nach Hogwarts?", fragte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Obwohl ich mich bemühte, so freundlich wie möglich zu klingen, um diesem Gespräch möglichst schnell zu entkommen und gleichzeitig meine Mutter zufriedenzustellen, nippte sie weiterhin an ihrem Wein als sei nichts gewesen. „Jap", antwortete sie, nachdem sie einen großen Schluck genommen hatte.

Ich fragte mich, ob ihre Wangen von Natur aus so rot waren oder ob der Alkohol diese Wirkung auf sie hatte.

„Ich wurde mein Leben lang zuhause unterrichtet, aber darauf habe ich wirklich keine Lust mehr. Das ist ätzend." Gwyneth zuckte mit den Schultern und stellte das leere Glas auf dem Stehtisch neben sich ab. Irgendwann grinste sie wieder. „Und du, Draco Malfoy? Was machst du, wenn du nicht gerade Concierge in deinem eigenen Herrenhaus bist?"

Concierge", zischte ich abfällig und hob eine Augenbraue. In Hogwarts wagte es niemand, so mit mir zu sprechen. Da hatten die Leute Respekt vor mir. „Pass auf, was du sagst."

Sie hob entschuldigend die Hände, aber sah immer noch amüsiert aus. „Ich merke schon", sagte sie und das Lächeln wich von ihren vollen Lippen. „Humor ist nicht deine Stärke."

Oder deine Witze sind nicht sonderlich gut", erwiderte ich.

„Der Punkt geht an dich."

Wie ein Muggelmädchen lehnte sie sich mit dem Ellenbogen auf den Tisch und blickte mich herausfordernd an. Hatte sie denn gar keinen Anstand? Ich leckte mir über die Unterlippe.           So gerne hätte ich ihr irgendeinen zynischen Kommentar an den Kopf geworfen, aber stattdessen lenkten mich die Sommersprossen in ihrem blassen Gesicht ab. Es waren wirklich viele...


Als ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ, stellte ich fest, dass der Blick von Rabastan Lestrange auf uns lag. Warum, bei Merlins Bart, starrte er uns so an? Und die viel wichtigere Frage war: Wieso sah er so verärgert aus?

Obwohl er bemerkte, dass ich zurückschaute, wandte er den Blick nicht ab. Im Gegenteil. Er schien dieses Duell beinahe zu genießen.

„Hallo", rief Gwyneth irgendwann und fuchtelte mit ihren Händen vor meinem Gesicht herum. „Sag mal, bist du verrückt oder so? Ich rede mit dir!"

„Äh, ja" Ich zuckte vor Schreck zusammen. Obwohl ich Rabastans Blick immer noch wie einen Dolch im Rücken spürte, wandte ich wieder Gwyneth zu. „Was war deine Frage?"

Sie stöhnte genervt. „Ich hoffe, in der Schule bist du ein bisschen cleverer als hier", grinste sie, bevor sie mir spielerisch gegen den Oberarm boxte. „Sonst muss ich mir jemand anderen suchen, bei dem ich abschreiben kann."

Zwischen Schwermut und LeichtsinnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt