Kluge Mitschüler und dumme Antworten

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Der Unterricht in Hogwarts war nichts gegen das, was ich bei meinem Privatlehrer Mr. Beaufort lernen musste. Deshalb konnte ich mich im Verwandlungsunterricht bei dieser alten Schreckschraube McGonagall entspannt zurücklehnen.

Ein Mädchen mit buschigem Haar, das ein paar Plätze weiter saß, warf wir während des Vortrags der Professorin immer wieder verstohlene Blicke zu und kritzelte dann etwas in ihren Block, als könne sie nichts weniger leiden als Mitschüler, die sich keine Notizen machten. Während irgendein Weasley-Junge (ich konnte die Kinder dieser Großfamilie nicht auseinanderhalten) kläglich probierte, den Verschwindezauber an der Tigerkatze seines Nachbarn durchzuführen, ließ ich das Gespräch mit Severus Snape in meinem Kopf Revue passieren.


Warum hatte er mir das Gefühl gegeben, dass er mir misstraute? Er war mit meinen Eltern zur Schule gegangen und hat mich aufwachsen sehen. Warum glaubte er, dass ich den Auftrag sabotieren könnte? Hatten meine Eltern ihm heimlich zugetragen, man müsse auf mich aufpassen? Nein...Auch wenn ich ihnen viel zutraute, das konnte ich mir wirklich nicht vorstellen. Es musste sein Geheimnis sein, das ich kannte, und von dem er glaubte, es könne ihm zum Verhängnis werden.


„Miss Cherleton?" Professor McGonagalls Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

„Ja, Professor?"

Einige Schüler in den hinteren Reihen kicherten und Draco Malfoy verdrehte neben mir die Augen. Offenbar hatte sie mir bereits eine Frage gestellt.

„Warum sind menschliche Verwandlungen so schwer zu erlernen?", wiederholte sie ihre Worte mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Je komplexer der zu verwandelnde Organismus ist, desto schwieriger ist auch seine Verwandlung zu bewerkstelligen."

McGonagall nickte zufrieden, bevor sie sich mit einer neuen Frage an einen anderen Schüler wandte.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen.

Die meisten meiner Mitschüler lauschten dem Unterricht der Lehrerin, einige starrten hilflos auf ihr leeres Pergament, wieder andere unterhielten sich leise mit ihrem Nachbarn oder machten sich Notizen. Ich wusste noch nicht ganz, was ich von meinem neuen Umfeld halten sollte.

Bei Leuten wie Pansy Parkinson oder Blaise Zabini wusste ich, dass ich ihnen nicht trauen konnte. Aber die Absichten der anderen waren mir schleierhaft. Wollten Lavender Brown und Parvati Patil nur mit mir befreundet sein oder steckte mehr hinter ihren netten Worten? Und gehörte Draco Malfoy zu den Guten?


„Soll ich dich später im Schloss herumführen?", fragte ein blondes Mädchen beim Mittagessen in der Großen Halle, ehe sie sich eine weitere Portion Kartoffeln auf den Teller lud.

„Ich bin übrigens Daphne. Daphne Greengrass." Sie streckte mir die Hand entgegen, ich schüttelte sie und suchte den Augenkontakt, um zumindest für einen kurzen Moment hinter die Fassade blicken zu können. Ich wollte eigentlich aufhören, bei neuen Bekanntschaften zu Legilimentik zu greifen, aber angesichts der Umstände schien mir nichts anderes übrig zu bleiben. Ich musste wissen, ob ich ihr trauen konnte. Mein gesundes Misstrauen hatte ich definitiv von meiner Mutter geerbt.

Als sich unsere Blicke trafen, reichte das aus, um zumindest ein paar Sequenzen ihrer Gedanken vor meinem geistigen Auge zu sehen.

Wehende Haare, dunkelbraune und blonde, quietschende Mädchenstimmen, ein Salon, der von einem Kamin beheizt wird. Das dunkelbraune Mädchen, das nach ihrem Fangenspiel vor einer Frau mittleren Alters zum Stehen kommt, wird von ihr in eine innige Umarmung gezogen. Sie erwidert diese mit einem zufriedenen Lächeln. Das blonde Mädchen steht hinter den beiden, die Hände in den Taschen ihres Umhangs vergraben, ihre Haare wehen nicht mehr, sie fokussiert den Parkettboden. Als sie aufsieht, glitzern Tränen in ihren ozeanblauen Augen.

„Gerne, vielen Dank", sagte ich rasch, damit Daphne keine Zeit hatte darüber nachzudenken, was gerade mit ihr passiert war. Obwohl sie die Stirn runzelte, antwortete sie kurz darauf mit einem Lächeln. „Wir teilen uns übrigens einen Schlafsaal. Wir hatten nur noch keine Gelegenheit uns kennenzulernen, aber ich freue mich immer über neue Freundinnen."

Ich erwiderte ihre Höflichkeit und stellte gleichzeitig fest, dass Daphne Greengrass keine Gefahr für mich darstellte. Sie war bloß ein einfaches Mädchen, das sich mehr Liebe von ihrer Mutter wünschte und stets im Schatten ihrer Schwester stand. Also niemand, mit dem ich nicht fertig werden könnte.


Am Nachmittag, kurz nach unserem Zauberkunst-Unterricht bei Professor Flitwick, schlenderte ich mit Daphne Greengrass durch die Korridore von Hogwarts. Sie erzählte mir die Geschichten hinter den Portraits an den Wänden, zeigte mir die Pokale, die Slytherin bei den Quidditchmeisterschaften gewonnen hatte, und warnte mich vor den Gefahren der Peitschenden Weide und der Heulenden Hütte im Dorf Hogsmeade. Nach Hogsmeade durften Schüler ab der 3. Klasse mit einer entsprechenden Bescheinigung der Eltern jedes zweite Wochenende, erklärte sie mir. Nach unserem Rundgang nahmen wir auf dem Schlossgelände unter einer Eiche Platz, um die letzten Sonnenstrahlen an diesem Spätsommertag auszunutzen.

„Ein perfekter Abschluss für meinen siebzehnten Geburtstag", sagte ich beiläufig, bevor ich mein Gesicht gen Himmel streckte und die wärmenden Sonnenstrahlen auf meiner Haut genoss.

„Du hast heute Geburtstag?", kreischte Daphne wie von einer Tarantel gestochen und sprang von ihrem Platz auf. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?"

Ich schmunzelte, aber machte keine Anstalten mich zu bewegen. „Was hätte das denn geändert?"

„Dann hätte ich dich nicht zwei Stunden mit langweiligen Geschichten über das Schloss terrorisiert!"

„Deine Geschichten waren nicht langweilig", erwiderte ich empört.

„Reizend, dass du mir schmeicheln willst, aber du stehst jetzt auf!" Sie griff nach meiner Hand und zog mich hoch, bevor sie so schnell Richtung Schloss zurückging, dass ich Mühe hatte ihr zu folgen.

„Was hast du denn jetzt vor?", fragte ich atemlos und holte die letzten Meter auf, die sie zurückgelegt hatte.

„Wir klauen uns jetzt einen Elfenwein aus der Küche, trommeln ein paar Leute zusammen und feiern!"

„Was? Nein – ich..."

„Oh, doch."

„Daphne, komm schon." Ich warf die Arme in die Luft, in der Hoffnung, sie noch vom Gegenteil überzeugen zu können. Mir war wirklich nicht nach einer Party zumute.


„Du bist heute volljährig geworden und willst mir erzählen, dass wir das nicht gebührend feiern sollten? Bei allem Respekt, meine Liebe, aber das kannst du vergessen."

Zwischen Schwermut und LeichtsinnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt