4.4 - A D A M - A B S C H W E I F E N

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Wie jeden Dienstag stand ich in einem kleinen Raum im zweiten Obergeschoss der Academy und strich über die Seiten meines Cellos. Mrs. Jefferson sass auf ihrem Stuhl, stützte ihren Oberkörper mit beiden Händen an einem dunkel Gehstock und lauschte konzentriert zu den Klängen.

Doch meine Aufmerksamkeit galt nicht wirklich dem Instrument. Meine Gedanken schweiften ab zu Heather. Sie war so eigenartig gewesen am Freitagabend, nachdem sie mit diesem Brown-Typen geredet hatte. Auch am Lagerfeuer blieb sie relativ stumm. Ich hatte sie zur Seite gezogen und gefragt, was los sei und sie hatte nur gemeint, dass sie enttäuscht wegen der Rolle war, aber sonst alles gut sei. Und als ich nach dem Gespräch mit Damian fragte, teilte sie mir mit, dass sie keine Lust mehr hatte, über den Idioten weiter nachzudenken und einfach den Abend geniessen wolle.

Am Wochenende hatte ich sie praktisch gar nicht zu Gesicht bekommen, da sie am Samstag als auch am Sonntag im Hurricane gearbeitet hatte und die restliche Zeit, angeblich zu tun hatte. Wir hatten den gestrigen Abend gemeinsam verbracht und da hatte sie mir mit strahlenden Augen und einem breiten Grinsen versichert, dass alles gut sei und ich mir keine Sorgen zu machen brauchte.

Doch ich wusste nur zu gut, wie gut sie etwas vortäuschen konnte und wurde trotz ihrer überzeugenden Aussage, das mulmige Gefühl in meinem Magen nicht los.

«Mr. Lopez! Hören sie mich nicht?» holte mich die strenge Stimme von Mrs. Jefferson zurück ins hier und jetzt. Abrupt hörte ich auf zu spielen und sah der strengen Dame verwirrt in die Augen. Anscheinend hatte sie bereits einige Momente versucht zu mir durchzuringen, denn sie atmete hörbar ein und aus und ihrem Gesicht war der gerissene Geduldsfaden definitiv abzulesen.

«Wo ist nur Ihr Kopf, Mr. Lopez?» fragte sie mich verärgert. Innerlich verdrehte ich die Augen, aber in diesem Zustand war mit ihr definitiv nicht zu spassen.

«Entschuldigen Sie Mrs. Jefferson, ich bin wohl kurz abgeschweift. Kommt nicht wieder vor.» versuchte ich sie zu besänftigen. Doch ihre Augenbrauen zogen sich nur noch enger zusammen, als sie eh schon waren: «Mr. Lopez, wie soll ich Ihnen bitte Anweisungen geben, wenn sie mich nicht hören – wenn sie mich nicht hören wollen. Wie soll ich bitte mit Ihnen arbeiten, wenn sie nicht wollen?»

«Ich war doch nur ganz kurz in Gedanken...» klagte ich hilflos. Sie schob sich mit dem Zeigefinger die Brille wieder auf die Nase: «Ja und in 20 Minuten maulen sie darüber rum, dass ihnen das Stück nicht gefällt, zu trist sei oder zu verspielt. Danach meinen Sie, Sie seien auf einem zu hohen Niveau für das Stück. Und wieder 20 Minuten später klagen sie, wieso sie nicht endlich komponieren dürfen oder fangen direkt an, etwas auf eigene Faust zu spielen.»

Sie sah mir ernst in die Augen und ich zog ertappt den Kopf ein. «Mr. Lopez, Sie wissen, wie sehr ich Ihr Talent schätze und welche Achtung ich davor habe. Umso trauriger finde ich es, dass Sie in keiner einzigen Einheit sich zusammenreissen und ohne weiteres die Lektionen durchstehen können. Ich kann und werde nicht mit jemandem arbeiten, der nicht gewillt ist. Wir sind für heute fertig.»

Entsetzt sah ich ihr ins faltige Gesicht: «Aber wir haben doch gerade erst begonnen...»

Doch ihr Entschluss stand fest: «Nehmen sie den restlichen Tag sich dafür Zeit, um zu verstehen, welch ein Privileg Sie mit ihrem Talent und Ihrer Position hier an der Academy haben. Ich erwarte Sie Morgen in Topform zurück.» Und so stolzierte sie aus dem Raum und liess mich verdattert zurück.

Ich legte den Kopf in den Nacken und maulte auf. Scheisse.

Mrs. Jefferson war keineswegs die Hexe, für die man sie zunächst halten würde, sie war eigentlich sehr liebenswürdig, nur eben extrem streng. Und ich wusste auch, dass sie nicht unrecht hatte, doch was sollte ich machen? Dieser ganze Mist ging mir nur noch auf die Nerven.

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