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Der Weg zurück nach Hause ist lang. Ich schalte das Navi in meinem Handy ein, denn ich habe keine Ahnung, wo ich lang muss.

"Bitte links abbiegen" ,sagt die Stimme kühl, und ich gehe schnell um die Kurve. Es ist unheimlich, einfach nur unheimlich. Ich laufe durch beleuchtete Gassen, und trotzdem breitete sich das Gefühl der Angst immer mehr in meinem Körper aus. Ich habe das Gefühl, jedes Geräusch überdeutlich hören zu können. Ich bin ganz allein, es ist menschenleer. Ich wünschte, es wären Menschen unterwegs, aber dann denke ich mir, nein, vielleicht ist es doch besser, wenn ich jetzt niemandem begegne, man weiß ja schließlich nie, ob die wahre Gefahr von diesen Menschen ausgehen könnte.

"In hundert Metern rechts abbiegen" ,befiehlt mein Navi, und ich zucke zusammen. Die elektronische Stimme ist unglaublich laut in der stillen Nacht. So wird mich jeder hören!

Ich beginne zu rennen.

Ich war nie eine gute Sportlerin, immer so unteres Mittelfeld, man macht halt, was man machen muss, aber lange Strecken zu laufen war ein echtes Problem. Ich laufe trotzdenm bis nach Hause. Unterwegs vibriert mein Handy immer wieder. Lou ruft mich an, und nicht nur ein Mal. Aber ich will kein einziges Mal ran gehen. Sie war Schuld, dass ich überhaupt in eine solche Situation gekommen war!

Endlich zu Hause angekommen fühle ich mich einfach nur platt.

Ich stehe keuchend vor unserem Haus und stütze mch mit den Händen auf den Knien ab. Erst mal Luft holen, bevor ich rein gehe.

Drinnen ziehe ich so leise es geht meine Schuhe aus und schleiche wie ein Indiander die Treppe hoch. Wenn Mama und Papa jetzt wach werden, gibt es sicher riesigen Ärger!

Ich bin komplett durchgeschwitzt, mein T-Shirt unter meiner Jacke klebt mir am Körper, als hätte mir jemand einen Eimer Wasser über den Kopf gegossen. Und kalt ist mir, bitterkalt.

Es nützt nichts, ich muss unter die Dusche. Auch auf die Gefahr hin, dass meine Eltern davon wach werden.

Im Badezimmer pelle ich mir die Klamotten vom Leib und werfe sie direkt in die Wäschetonne. Ich fühle mich einfach nur ekelhaft. Der Schweiß vom Laufen und Zigarettenrauch kleben an mir wie Plakate an einer Litfasssäule. Ich will es einfach nur von mir runter waschen, dieses eklige Gefühl mit dem Duschwasser im Abfluss wegschwimmen sehen, und die Erinnerungen an heute Abend am besten gleich mit dazu.

Als ich endlich wundervoll sauber aus der Dusche steige, sind meine Beine schwer wie Blei. In meinem Zimmer lasse ich mich wie ein nasser Sack in mein Bett plumpsen und ziehe mir die Decke über den Körper. Wäre ich nicht sofort eingeschlafen, hätte ich wahrscheinlich noch die halbe Nacht über diesen verkorksten Abend nachgedacht. Aber der Schlaf hatte mich sofort.

Ich werde wach, weil das Telefon klingelt. Nicht einmal. Nicht zweimal. Immer und immer wieder, schier endlos klingelt es und hört wieder auf, und klinget erneut. Wenn es aufgehört hat zu klingeln, und ich gerade wieder in den Schlaf gefunden habe, müde wie ich bin, klingelt es wieder, und wenn es endlich still ist, fängt mein Handy an zu summen. Da hat jemand verdammt viel Ausdauer. Wahrscheinlich Lou. Wer sonst sollte so hartnäckig versuchen, mich auf Festnetz und auf Handy aus dem Schlaf zu klingeln?

Am liebesten würde ich beides aus dem Fenster schmeißen.

Ich will nicht mit Lou sprechen. Jetzt nicht. Ich weiß, dass sie sich vermutlich mit mir aussprechen will, etwas zu gestern Abend sagen möchte, aber ich will ihr nicht zuhören. Auch, wenn die Chancen gut stehen, dass wir uns am Ende des Gesprächs wieder vetragen werden. Aber mein logisches Denken hat um diese Uhrzeit scheinbar einfach noch nicht eingesetzt. Mein Gefühl, dass ich jetzt gerade niemanden sehen oder hören möchte, auch Lou nicht, überlagert sinnvolle Gedankengänge.

Irgendwann steht dann Mama mit dem Telefon in der Hand in der Türe und hält es mir auffordernd hin. Genervt nehme ich es ihr ab.

"Lilly?" ,höre ich Lou am anderen Ende sagen.

"Ja?" ,brumme ich in den Hörer.

"Endlich gehst du ran. Weißt du, wie lange ich schon versuche, dich zu erreichen?"

"Das weiß ich nur zu gut." ,gebe ich knapp zurück.

"Echt? Warum gehst du dumme Nuss dann nicht einfach ran? Ich hab schon gedacht, du bist gestern echt nicht mehr nach Hause gekommen! Weißt du, was ich mir für Sorgen gemacht habe? Ich war schon kurz davor, zur Polizei zu gehen um dich vermisst zu melden!"

"Nicht nötig, du weißt ja jetzt, dass es mir gut geht."

"Mann, Lilly, was ist los mit dir? Geht's dir nicht gut oder so? Du klingst irgendwie sauer."

"Ach, das hast du aber schnell gecheckt"

Ruhe auf der anderen Seite.

"Weist du was? Ich komm einfach rüber und dann klären wir das." ,sagte sie plötzlich, und noch bevor ich widersprechen kann, hat Lou auch schon aufgelegt.

Fluchend springe ich aus dem Bett und schaue in den Spiegel. Immerhin sehe ich nicht vollkommen katastrophal aus nach der Dusche diese Nacht. Trotzdem muss ich mich jetzt ganz schnell fertig machen, bis Lou hier ist. In meinem jetzigen Zustand möchte ich ihr wirklich nicht gegenüber treten.

Kaum, dass ich fertig bin, fliegt auch schon meine Zimmertür auf, und Lou steht im Türrahmen.

"So, Lilly, und jetzt sagst du mir, was hier los ist!" ,sagte sie im Befehlston.

"Was soll ich da noch zu sagen? Hast doch gestern Abend gehört, was Paula gesagt hat."

"Ach, Paula, was die sagt, kann man auch nicht immer für voll nehmen." ,winkt Lou ab.

"Ach ja? Fand ich aber gar nicht nett von ihr. Im Ernst Lou, das hat mich echt verletzt" ,sage ich wütend.

Das, und die Sache mit Jo.

Lou seufzt tief. Sie setzt sich auf mein Bett und klopft einladend neben sich. Ich komme der Aufforderung nach.

"Ich verstehe, dass Paula echt... herausfodernd sein kann. Ehrlich. Aber ich kenne sie halt schon ewig. Und ich bin mir sicher, sie meint es nicht so. Manchmal sagt sie auch einfach Sachen, die ihr halt so raus rutschen. Ohne, dass sie es wirklich so meint."

"Ach ja? Und warum muss sie mir dann auch noch unbedingt unter die Nase reiben, dass ich eh keine Chance bei Jo habe?" ,stoße ich hervor und kann die plötzlich aufkommenden Tränen nicht mehr zurück halten. Eigentlich wollte ich das gar nicht erzählen.

"Das hat sie gesagt?" ,fragt Lou überrascht.

Ich nicke hinter meinem Tränenschleier.

"Warum sollte sie das gesagt haben?" ,fragt Lou, mehr zu sich selbst als zu mir. Ich beantworte ihr die Frage trotzdem.

"Sie sagt, ich hätte eh keine Chance bei ihm, er hätte gerade sowieso nur Augen für irgend so eine Isabel"

Lou nickt leicht und starrt vor sich hin. Dann hebt sie die Hand und legt sie vorsichtig auf meine Schulter, während ich gerade dabei bin, mir ein Taschentuch aus der Packung zu fummeln.

"Okay, also ich muss zugeben, das war echt gemein von Paula. Ich weiß, dass Jo dich echt gern hat. Trotzdem hat.. hat sie vermutlich zumindest in einer Sache recht. Das mit Isabel. Er ist schon ewig in sie verschossen. Ich fürchte, das kann auch so schnell niemand ändern... Aber ich wusste gar nicht, dass du ihn so sehr magst, ich dachte immer, das wäre rein freundschaftlich"

"Na ja, vielleicht schon ein bisschen mehr" ,gebe ich leise zu.

Wir sitzen eine ganze Weile schweigend auf meinem Bett.

"Ich habe gerade eigentlich gar keine Lust mehr auf Partys" ,sage ich irgendwann. "Vielleicht irgendwann später wieder. Aber gerade möchte ich eigentlich weder Jo noch Paula sehen".

"Das kann ich verstehen."

Ich schnäuze mich in mein Taschentuch.

"Können wir trotzdem Freundinnen bleiben?" ,frage ich vorsichtig.

"Klar! Was ist das denn für eine Frage?". Lou lacht und drückt mich an sich. "Natürlich bleiben wir Freundinnen!" 

Lilly & LouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt