Es ist ein sengend heißer Augustnachmittag. Vermutlich einer der letzten richtig heißen Tage dieses Jahr. Sobald ich nur einen Schritt in die Sonne mache, klebt mir das T-Shirt am Körper als hätte man es mit Uhu angeklebt. Ausgerechnet heute hat Mama diesen wundervollen Spezialauftrag für mich, ich soll ihrer Freundin Martha aus dem Kirchenchor ihre Kuchenform zurück bringen. Bei schätzungsweise dreißig Grad im Schatten gibt es wirklich schönere Nachmittagsgestaltungen, aber ich möchte keinen Streit anfangen, also schwinge ich mich aufs Rad.
Um die Sonne weitestgehend zu meiden wähle ich einen kleinen Umweg, der hauptsächlich durch Wald führt.
Der Fahrtwind kühlt ein wenig meine heiße Haut und ich bin froh, mich für diese Route entschieden zu haben. Die Kuchenform klappert in meinem Fahrradkorb fröhlich vor sich hin.
Ich fahre zu Martha, klingele, sage ihr nett Hallo und gebe die Form ab. Wir verabschieden uns, und sie bittet mich, viele Grüße an meine Eltern zu bestellen, was ich gerne tun werde, ich ihr freundlich zurück melde. Dann schwinge ich mich wieder aufs Rad und mache mich auf dem Heimweg.
Ich habe keinen Stress. Ich fahre einfach so schnell oder langsam, wie es mir gefällt. Ich habe heute nichts mehr vor, und es wartet niemand auf mich. Ich höre die Bäume rauschen und die Vögel zwitschern, ich fühle mich, als könnte ich fliegen, einfach davonfliegen. Nichts kann mich aufhalten, es gibt keine Grenzen!
Das letzte Stück führt leider nicht mehr durch den Wald. Sobald ich den Schatten verlassen legt sich die bleierne Hitze erneut über mich. Ich bin froh, wenn ich mich gleich zu Hause gemütlich kühl irgendwo hin setzen kann.
Ich sehe schon von weitem, dass ein Stück vor mir irgendetwas auf dem Weg los ist. Der Weg führt dort hinter den Gärten entlang, und an dieser einen Stelle steht ein Pick-up und blockiert die Durchfahrt. Als ich näher komme, höre ich Stimmen. Scheinbar wird hier irgendetwas am Garten gemacht.
Ich muss absteigen, um mich an dem Auto vorbei zu drängen. Vorsichtig schiebe ich mein Rad über den schmalen Streifen Grün zwischen dem Auto und dem Feld zu meiner Linken. Als ich mich vorbei gezwängt habe und aufsteigen will, sehe ich ihn. Er steht am Zaun und telefoniert. Er sieht kurz zu mir rüber, beiläufig.
Dann schaut er wieder weg. Es kommt mir vor, als würde in diesem kurzen Augenblick alles um mich herum anhalten und sich nur auf ihn fokussieren. ich vergesse alles und sehe nur ihn. Ich kann nicht wegschauen.
Als der Zoom auf ihn nachlässt, löse ich mich endlich aus meiner Starre, steige auf mein Rad und fahre weg.
Das Bild des Unbekannten scheint sich in mein Hirn eingebrannt zu haben. Mit jedem Tritt in die Pedale wiederholt sich diese kurze Sequenz die sich da gerade abgespielt hat. Ich sehe ihn, wie er telefoniert, er sieht mich an, ich fahre weg. Immer und immer wieder wird der Film von vorne abgespielt. Ich sehe sein Gesicht ganz deutlich vor mir. Ich hätte es genau beschreiben können, die Form seiner Nase und der Blick in seinen Augen. Ich weiß nicht, was hier gerade passiert ist. Aber was ich weiß, ist, das ich diesen Moment nie wieder vergessen werden.
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Lilly & Lou
Teen FictionLillys beschauliches Leben ändert sich, als sie sich mit der neuen Mitschülerin Lou anfreundet. In Lou findet sie seit langem die erste Freundin, und Lou wird nicht nur Lillys einzige, sondern vor allem auch ihre beste Freundin. Zwischen Schule, Par...