5| Angst

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•29.05.2018•

Schweigend betrachtete ich die Menschen, die sich um Viki und Jackie drängten, während ich alleine auf der anderen Seite des Schulhofes saß und meinen Gedanken nachging.

Immer mal wieder ging der Blick von Viki, und somit auch der Blick der ganzen Truppe, die sich vor ihr versammelt hatte, in meine Richtung.

Leises Getuschel von Viki, lautes Lachen ihres Gefolges.

Das ganze ging schon seit ein paar Tagen so.

Vorher hatte ich zwar auch schon einige Sprüche und Beleidigungen abbekommen doch noch nie war es so schlimm gewesen wie jetzt. Außerdem kamen diese Beleidigungen früher meistens von Jackie und nicht von Viki selbst.

Doch seit dem Gespräch vor ein paar Tagen hat sich dies verändert.

Ich hatte vorgehabt mich mit Viki auszusprechen und zu vertragen.

Hatte die Hoffnung, dass sie mich genau so vermisst wie ich sie vermisste.

Hatte wirklich gedacht, dass wir uns wieder vertragen würden, dass das alles nur ein blödes Missverständnis war, dass alles so werden würde wie früher.

Doch damit hatte ich mich geirrt.

Ich habe versucht mit ihr in einer Pause zu reden. Sie war nicht sonderlich begeistert davon gewesen mit mir alleine reden zu sollen.

Trotzdem folgte sie mir, hörte mir zu, doch als ich meinte, dass ich sie vermissen würde und, dass ich trotz allem gerne die Freundschaft mit ihr zurück haben würde fing sie an mich anzuschreien.

Meinte, dass ich allein daran Schuld hätte, dass sie mich nie gemocht hätte und, dass sie mich hassen würde, dass sie mich schon immer gehasst hätte und sie nicht wüsste wie sie so lange nicht sehen konnte was wirklich hinter meiner Person stecke.

Zum Schluss hatte sie mir ihr altes Tagebuch, das Gegenstück zu meinem, in die Hand gedrückt.

Um zu zeigen, dass es endgültig vorbei ist mit unserer Freundschaft.
Dass sie mit all dem abgeschlossen hat.

Diese Geste sagte mehr als tausend Wörter.

Die Tagebücher waren immer ein Teil unserer Freundschaft gewesen. Jeder schrieb seine Gefühle in seins und der andere hatte freien Zugang.

Es stand dafür, dass wir keine Geheimnisse vor dem anderen hatten und ihm alles anvertrauten.

Die Tagebücher waren ein Versprechen gewesen, dass wir zusammenhalten würden bis wir alt und vergesslich wären, um sie dann lesen zu können.
Um dann an all die schönen Momente, die wir zusammen erlebt hatten, zu denken.

Dadurch, dass sie mir es zurück gab wollte sie mir zeigen, dass dieses Versprechen gebrochen war und dass wir keine Freunde sind und auch nicht mehr sein werden.

Sie zeigte mir, dass ich zwar ein Teil ihrer Vergangenheit war, der Teil der im Tagebuch geschrieben stand, aber kein Teil mehr ihrer Zukunft.

Dann war sie gegangen.

Ohne ein weiters Wort, ohne auch nur ein einziges Gefühl zu zeigen, hatte sie sich umgedreht und war einfach gegangen. Als hätte sie das komplett kalt gelassen. Als wäre es nicht schwer für sie gewesen das zu tun.

Ich hatte mich bestimmt 10 Minuten nicht von der Stelle gerügt, unfähig meine Augen zu öffnen, weil ich Angst hatte mitten auf dem Schulhof in Tränen auszubrechen.

Doch ich hatte nicht geweint.

Erst als ich raus aus der Schule und sicher in meinem Zimmer war ließen sich die Tränen nicht mehr zurück halten.

Plötzlich ertönte die Pausen Klingel, die das Ende der Pause ankündigte, und ließ mich leicht aufschrecken.

Und schon wieder hörte ich das laute Gelächter, welches so laut war, dass es über den ganzen Schulhof hallte und eigentlich nicht zu überhören war.

So gut es ging versuchte ich es auszublenden. Wenn Viki Spaß daran hatte sollte sie es doch tun.

Mir war es sowie so egal.

Das meiste was sie ihnen über mich erzählte stimmte wahrscheinlich sogar. Kein Mensch kannte mich so gut wie sie.

Ein letzter Blick in ihre Richtung bevor ich mich unmotiviert erhob und in Richtung Sporthalle begab.

———

Doch kurz vor der Sporthalle, als ich Vikis und Jackies gehässige Blicke schon förmlich auf mir spüren konnte, packte mich die Angst.

Angst vor dem Sportunterricht.

Angst davor mich vor den anderen umziehen zu müssen.

Angst davor vor anderen Sport machen zu müssen.

Einfach Angst davor beurteilt und ausgelacht zu werden.

Also bog ich in letzter Sekunde nach rechts ab und begab mich in Richtung der Toiletten. Früher hätte ich so etwas im Leben nicht gemacht.

Ich hatte Leute, die Unterricht schwänzen, immer schrecklich gefunden.

Doch nichts war mehr so wie früher.

Und bei mir wurde es immer häufiger, dass ich einfach mal den Sport Unterricht ausfallen lies. Wirklich aufgefallen war es noch nie, da mein Sportlehrer meist nicht an die Anwesenheitsliste dachte und sonst auch kein anderer mein Fehlen bemerkte.

Abgesehen von Jackie und Viki vielleicht, aber denen ist es glaube ich auch ganz recht, wenn ich nicht da bin.

———

In der Toilette angekommen begab ich mich in eine der Kabine um nicht von einem anderen Lehrer erwischt zu werden.

Vorsichtig, um so leise wie möglich zu sein, schloss ich den Toilettendeckel und setzte mich auf diesen.

Ich öffnete meinen Rucksack und holte mein Tagebuch, welches ich fast immer dabei hatte, raus.

Mittlerweile hatte ich schon sehr viel in dieses Tagebuch niedergeschrieben und es war wie ein Freund, der all meine Geheimnisse wusste.

Mein einziger Freund.

Nachdem ich auch noch ein Stift aus meinem Mäppchen rausgeholt hatte fing ich endlich an ins Tagebuch zu schreiben.

Ich erzählte ihm vom Gespräch mit Viki, was danach geschah, vom heutigen Tag, von meinen Ängsten und den Gründen warum ich jetzt genau hier und nicht im Sportunterricht saß.

Leise liefen mir die Tränen über die Wange, während ich all das schrieb.

Schnell wischte ich mir die Tränen aus den Augen. Ich durfte nicht Weinen. Nicht hier, wo jeder mich sehen und hören konnte.

Mit einem, durch Tränen verschwommenen  Blick, versuchte ich die Zeilen vor mir zu entziffern und weiter zuschreiben.

Das Tagebuch schreiben befreite mich. Es war eines der einzigsten Sachen, die mir noch Spaß machten.

Es war fast so als hätte ich endlich wieder jemanden dem ich all meine Gedanken mitteilen kann, der mir zuhörte und sich all meine Probleme anhörte.

Nur, dass dieser jemand nicht antworten konnte, dass dieser jemand nicht einmal lebte, dass dieser jemand ein verdammtes Buch war.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 16, 2020 ⏰

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