2. Kapitel

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Um zwei Uhr kam ich von der Arbeit heim, wie immer. Es war Freitag, da musste ich nicht so lange arbeiten. Ich schloss die Tür auf ohne zu klingeln.
"Hallo!", rief ich. Niemand antwortete. Ich ging hoch und schaute in Malinas Zimmer. Sie war nicht da. Gut, sicher war sie bei irgendwelchen Freunden. Sicher würde sie bald anrufen. Ich machte mir keine Sorgen, sie war oft freitags weg.

Ich ging runter und machte mir erstmal etwas kleines zu Essen und einen Kaffee, dann setzte ich mich damit an den Tisch und schloss die Augen. Es war heute wieder sehr anstrengend gewesen. Seit Christian zum Kanzler gewählt worden war, musste ich mir ständig etwas anhören. Mal waren es Seitenhiebe, wie "jetzt musst du ja bald sowieso nicht mehr arbeiten, ihr schwimmt ja sowieso bald in Kohle", dann wären da die Anderen, die nicht mehr mit mir redeten, weil sie Angst hatten, ich würde alles meinem Mann erzählen und die, sie mich ständig vollquatschten, sich einschleimten, oder gespielt für mich freuten. Es gab die überinteressierten, die mir nun ständig politikbezogenen Fragen stellten und, ein Glück, gab es auch noch die normalen. Das klingt jetzt viel, aber eigentlich werden diese Gruppierungen nur von ein bis zwei Personen, bzw mehrere Gruppierungen von nur einer Person, repräsentiert, wobei die letztere, normale Gruppe leider nur von einer Person vertreten wurde.

Und mein Chef war eine Gruppe für sich. Er hatte irgendwie das Gefühl, er müsse sich profilieren. Er kam immer wieder in mein Büro und redete einfach nur davon, wie viel er zu tun hatte, und was er alles tun musste, dass er aber keine Pause machen könne, weil seine Arbeit ja so wichtig für den Staat sei. Blah blah blah, bullshit. Ich, 45, vollkommen überfordert, sage einfach.
"Ja, Sie haben Recht, gehen Sie besser gleich wieder am die Arbeit"
Er ist abgezogen und ich bin überrascht, dass ich keine Gehaltsverkürzung bekommen habe. Gut, vielleicht, weil er weiß, dass er mir so nicht schaden kann.
Der arme Kerl.

Jetzt war es jedenfalls vorbei - zumindest für noch zwei folgende Tage. Ich lehnte mich zurück und atmete tief durch, doch so richtig entspannte mich weder das, noch das Sandwich und der Kaffee, deswegen schüttete ich den Kaffee weg und aß das Sandwich schnell leer. Kurz fühlte ich mich schlecht, aber der Kaffee war jetzt einfach nicht das Richtige.
Ich schenkte mir also ein Glas Rotwein ein, ging nach oben und ließ Wasser in die Badewanne.

Ich stellte das Glas an den Rand und zog meine Kleidung aus. Dann stieg ich in ins Wasser. Ja, perfekt. Das war genau das Richtige. Entspannt lehnte ich mich zurück und spürte den Dampf aufsteigen. Ich griff zu meinem Glas und nahm einen Schluck. Das war gut. Ich merkte, wie der Stress des Alltags mit dem Dampf aufstieg und verschwand. Gut. Ich hörte die Tür zugehen. Das war sicher Malina.
"Hallo!", rief Christian.
Oder doch nicht Malina.
"Hallo!", rief ich zurück.
"Wo bist du?"
"In der Badewanne", antwortete ich.
Er kam hoch. Im Anzug stand er in der Badezimmer Tür.
"Wo ist Malina?", fragte er.
Sein Blick fiel auf meinen nackten Körper im Wasser. Ich zog die Augenbrauen hoch. "Christian?", fragte ich.

Er sah mich wieder an.
"Hm?"
"Augen auf mein Gesicht"
Er sah mich an.
"Und nebenbei gesagt weiß ich nicht, wo Malina ist."
Er nickte, "okay", dann verließ er das Badezimmer.
Ich lehnte mich wieder zurück.

Später ging ich nach unten, um das Abendessen anzurichten. Christian saß am Tisch und las Zeitung.
Malina war immer noch nicht da.
Ich runzelte die Stirn.
"Hast du eine Nachricht von Malina bekommen?", fragte ich.
"Nein", sagte er. "Ich dachte du weißt inzwischen wo sie ist?"
"Nein", ich schaute auf mein Handy. Nichts. Langsam begann ich mir Sorgen zu machen. Sie schrieb doch sonst immer rechtzeitig. Ob ihr was zugestoßen war?

Nachdenklich begann ich den Tisch zu decken. Erstmal für zwei, denn offensichtlich kam sie nicht zum Essen. Ich stellte die Teller auf den Tisch. Christian saß noch immer da und las Zeitung.
"Du kannst ruhig auch mithelfen", fuhr ich ihn an.
"Ja, ist ja gut, meine Güte, werd doch nicht immer gleich so zickig."
"Entschuldige, ich mache mir nur so große Sorgen. Normal schreibt sie doch immer rechtzeitig."
"Ach, jetzt fahr mal ein paar Gänge zurück, vielleicht hat sie die Zeit vergessen, das passiert auch Malina mal. Sie ist jung, bestimmt ist sie mit Freunden unterwegs, sie hat wahrscheinlich einfach nicht daran gedacht, dass wir uns so um sie sorgen"
"Du sorgst dich ja nicht"

Ich sah wieder auf mein Handy.
Eine Nachricht war reingekommen.
Sie war von Malina. Ich atmete aus.
"Sie hat geschrieben", sagte ich erleichtert und öffnete die Nachricht.

Malina: Komme heute nicht nach Hause.

Das war ja in Ordnung, Hauptsache es ging ihr gut. Lächelnd tippte ich eine Antwort.

Mom: Ist gut, mein Schatz, wann kommst du wieder?

Ich überlegte kurz, dann machte ich das "mein Schatz" wieder weg, wenn ihre Freunde mit lasen, war es ihr sicher peinlich. Dann sendete ich die Nachricht ab. Kurz darauf kam auch die Antwort.

Malina: Morgen, wenn Dad 30.000€ um 22:30 Uhr hinter den Mülltonnen in der Gasse beim Stadtpark versteckt.

Mom: Bitte was?

Die Reaktion war schnell und sprach vollkommen meine Gedanken aus. War sie jetzt verrückt geworden? War das bloß ein schlechter Scherz, oder steckte sie wirklich in Schwierigkeiten? Ich war mir nicht sicher.

Eingehender Anruf von Malina

"Was ist?", fragte Christian, "Lisa, was ist los? Sag schon!"
Mit zittrigen Fingern nahm ich den Anruf an.
"Hallo?"
"Hallo, Lisa Marie, richtig?", antwortete eine dunkle Männerstimme, der rauhe Klang darin verriet mir, dass es kein junger Mann mehr war.
"Nun, wie ich sehe haben Sie die Nachricht ihrer Tochter gelesen, ich hoffe, Sie haben auch ihrem Mann den Inhalt mitgeteilt?"
"Was wollen Sie?", fragte ich.
"Ich denke das ist klar? Natürlich kann ich es auch nochmal wiederholen. 30.000€ um 22:30 hinter den Mülltonnen in der Gasse beim Stadtpark. Ich schicke gerne auch einen Standort."
"Das ist Erpressung", flüsterte ich.
"Oh ja, aber was werden Sie tun? Ihre Tochter sitzt neben mir und ich werde nicht zögern, sie zu erschießen. Haben Sie eine Wahl?"

Im Hintergrund hörte man es Poltern.
"30.000€, Morgen um 22:30 am vereinbarten Ort und ihre Tochter wird nicht sterben."
Dann legte er auf. Ich stützte mich erschöpft an der Ablage ab. Kurz versuchte ich mich zu halten, doch ich brach bereits in Tränen aus.
"Verdammt, Lisa, was ist passiert?", fragte Christian. Er legte seinen Arm um mich und führte mich zum Esstisch, dort setzte ich mich erst einmal. Dann zeigte ich ihm den Chatverlauf.

Ich sah die Ader an seiner Schläfe anschwellen. Sein Kiefermuskel spannte sich an. Er wurde wütend.
"Das ist ein Scherz. Verdammt Lisa, sie hat dich reingelegt!"
"Nein, da war ein Mann am Telefon"
"Das war sicher einer ihrer Freunde"
"Nein, das war ein Mann, Anfang bis Mitte vierzig. Ganz sicher!"
Er schüttelte den Kopf, fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und lief auf und ab.

"Verdammt!", schrie er und schlug auf den Tisch. Ich zuckte zusammen. "Du hättest das mir überlassen sollen! Ich hätte das sofort geklärt."
"Aber wenn ich es dir doch sage", meine Stimme überschlug sich vor Verzweiflung und Angst, "es war keiner ihrer Freunde"
"Ach, was weißt du schon, das hätte eine Angelegenheit von Mann zu Mann sein sollen. Eine Frau kann mit so etwas nicht umgehen."
"Christian", flüsterte ich. Erneut stiegen mir Tränen in die Augen. Wie konnte er nur so mit mir reden?

Er zog sein Handy hervor und rief sie an. Dann wartete er. Und wartete.
"Sie geht nicht ran", murmelte er verärgert. "Verdammt!", schrie er wieder, schnappte einen Stuhl und schmiss ihn um. Ich zuckte wieder zusammen. Er trat nochmal dagegen, dann atmete er tief durch. "Egal", sagte er nun deutlich ruhiger, "es ist egal, wie man es dreht. Das ist ein Fall für die Polizei. Das geht definitiv zu weit. Ich hoffe, es wird ihnen eine Lektion sein"
Und damit war die Sache für ihn erst einmal geklärt. Er übergab die Verantwortung an die Polizei.
Dass unsere Tochter gerade vielleicht in Lebensgefahr schwebte, schien ihn für's Erste nicht zu interessieren.

Wie findet ihr Malinas Eltern? Sind sie gute Eltern oder kümmern sie sich zu wenig?
LG 🥰

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