Nur noch drei Monate...

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Lilias POV.

"Nur noch drei Monate," wiederholte ich leise flüsternd wie ein Mantra. "Nur noch drei Monate und dann ändert sich endlich alles." Ich versuchte mich damit zu beruhigen. Vor einer Stunde hatte ich mich in eine Besenkammer meiner Schule verkrochen. Ich musste mich vor Jayden und seinen Anhängseln verstecken, als ich hörte, dass sie wieder auf der Suche nach mir waren. Denn wenn sie mich fänden, hätte ich nachher mehr als nur einen blauen Fleck.

In den drei Jahren in denen ich jetzt schon an dieser Schule bin, hat das Mobbing nicht irgendwann aufgehört. Nein, im Gegenteil. Am Anfang fingen diese Leute an mich runterzumachen und zu beleidigen. Aber sie wendeten nie körperliche Gewalt an.

Irgendwann wurde mein Selbstwert durch diese Worte immer kleiner und ich fing an zu glauben, was diese Leute da über mich sagten. Ich fing an mich zu hassen. Ich dachte ich verdiene das. Als sie dann seit den letzten Ferien zusätzlich noch körperliche Gewalt anwendeten, versuchte ich mich gar nicht zu verteidigen, sobald sie mich in meinen Verstecken gefunden haben. Ich meine, ich hätte sowieso keine Chance gegen sie und ein kleiner Teil in mir dachte sogar, dass ich das verdient habe. Ein so hässliches, dreckiges Etwas wie ich verdient es doch nicht anders, oder?

Gestern habe ich dann die ganze Sache mit dem Mobbing meiner Mom erzählt. Ich hielt es einfach nicht mehr aus. Ich habe mir eigentlich vorgenommen das ganze für mich zu behalten, da ich sie nicht noch zusätzlich belasten wollte. Ihr ging es nämlich nach dem Betrug meines "Erzeugers" sehr schlecht. Doch als sie dann Patrick, ihren neuen Freund kennenlernte, ging es ihr sehr schnell besser. Deswegen habe ich mich auch dazu durchgerungen ihr das zu erzählen.

Natürlich liess ich die Tatsache mit der körperlichen Gewalt aus, da sie sonst sofort zur Polizei gerannt wäre. Als ich ihr dann alles gestanden hatte, war sie einfach nur geschockt und machte sich schreckliche Vorwürfe. Sie meinte sie war so mit sich und ihren Problemen beschäftigt, dass ihr gar nichts aufgefallen wäre. Ich habe ihr natürlich gesagt, dass das nicht stimmt, aber natürlich hat sie weiterhin Schuldgefühle.

Sie wollte zudem sofort zum Direktor unserer Schule rennen. Doch ich überzeugte sie es nicht zu tun. Ich wollte nicht, dass es noch schlimmer wird als sowieso schon. Und zusätzlich ist Jayden der Sohn des Direktors. Ich glaube also nicht, dass es sehr viel bringen würde. Sie verstand es nicht, aber akzeptierte meine Entscheidung vorläufig, da sie wusste, dass ich ihr das sonst nie verzeihen würde.

Trotzdem musste ich ihr versprechen, ihr nie wieder etwas so wichtiges zu verheimlichen. Sie wollte mich für die nächsten Tage krank melden, doch ich wollte nicht. Danach würde das Mobbing nur schlimmer werden. Es brauchte viel Überzeugungskraft von mir ihr das auszureden, aber sie sagte mir, ich soll ihr sofort sagen, wenn heute wieder was ist. So viel zu gestern.

Jetzt sitze ich immer noch in dieser Besenkammer, in der ich mich vor einer Stunde versteckt habe. Weinend und mich an meine einzige Hoffnung klammernd. Der Umzug in drei Monaten. Wir werden dann zu ihrem neuen Freund ziehen, der zufälligerweise genau in dieser Stadt wohnt, von der wir vor drei Jahren weggezogen sind. San Francisco. Sie haben sich vor etwa einem Jahr auf einer Geschäftsreise kennengelernt und sich sofort ineinander verschossen. Ich freute mich für meine Mutter. Sie war schon lange nicht mehr so glücklich.

Als ich mich ein bisschen beruhigt habe von meinem Heulkrampf, beschloss ich mich den restlichen Tag krank zu melden und so schnell wie möglich nach Hause zu gehen. Ich schlich mich aus der Besenkammer und zum Glück hatten jetzt alle Unterricht. So konnte ich schnell und unbemerkt nach Hause.

Zuhause angekommen sah ich das Auto meiner Mutter, das heisst sie war bereits zurück von der Arbeit. Ich machte die Tür auf und rief: "Hey Mom, bin wieder zuhause."

Sie kam sofort überfürsorglich herangeeilt und sagte: "Hey Schätzchen, wie war es in der Schule?" Und blickte mich dabei besorgt an."Haben sie wieder etwas gemacht? Ich schwöre dir, wenn sie auch nur irgendetwas gemacht haben, mache ich sie fertig."

Ich schmunzelte über ihre Begrüssung. Bis mir einfiel, was heute alles passiert war und ich brach in ihren Armen in Tränen aus. "Mom du hattest recht. Ich schaffe das nicht mehr. Ich möchte nie mehr zurück in diese Schule. Ich weiss es sind nur noch drei Monate, aber ich kann einfach nicht mehr.

Meine Mom nahm mich fest in den Arm und beruhigte mich ein wenig. "Pssschht, Schätzchen alles kommt wieder gut. Ganz ruhig. Ich verspreche es dir. Ich lass dich nie wieder in diese Schule." Sie machte eine kurze Pause. "Was hältst du davon, wenn ich dir für die restlichen drei Monate einen Privatlehrer besorge?"

Ich schaute sie mit verheulten Augen dankbar an. "Das wäre toll, Mom."

"Schätzchen es tut mir so Leid, was passiert ist ich wünschte ich könnte die Zeit rückgängig machen."

Ich schüttelte wild den Kopf. "Mom, du kannst nichts für all diese Dinge. Mach dir keine Vorwürfe."

"Ach Schatz, ich werde mir immer Vorwürfe deswegen machen, aber ich werde alles tun um dir jetzt zu helfen. Du weisst du kannst immer mit mir reden, aber ich weiss nicht, ob das alleine hilft, all diese Dinge zu verarbeiten."

Sie räusperte sich. "Ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber was hältst du davon, wenn du diese drei Monate wöchentlich zu einem Therapeuten gehst? Er kann dir sicher mehr helfen als ich und du kannst mit einer fremden Person darüber reden. Ausserdem hoffe ich so sehr, dass deine Fröhlichkeit und dein vorlautes Mundwerk wieder zurückkommen. Ich kann es fast nicht ertragen, wenn ich jetzt sehe, was für ein unsicheres und selbsthassendes Mädchen sie aus dir gemacht haben. Denn ich kann dir sagen, es gibt nicht einen einzigen winzigen Grund dazu, warum du das tun solltest. Wie konnte ich das vorher nur übersehen? Es tut mir so unglaublich Leid."

Ich sah den Schmerz in ihren Augen und ich umarmte sie noch einmal ganz fest. Ich konnte so froh sein, eine Mutter wie sie zu haben. "Ja das mit dem Therapeuten finde ich auch eine gute Idee. Vielleicht kann der mir wirklich helfen. Und danke, Mom. Für alles."

Ich küsste sie noch einmal auf die Wange bevor ich auch schon nach oben in mein Zimmer lief. Ich schmiss mich aufs Bett und dachte nach.

Ich hatte es noch nicht ganz realisiert, aber ich musste nie mehr in diese Hölle zurück. Ich konnte einen Neuanfang in San Francisco machen. Jetzt verspürte ich nur noch pure Erleichterung. Bis zum Umzug möchte ich unbedingt wieder mehr Selbstbewusstsein bekommen. Ich möchte wieder dieses starke und selbstbewusste Mädchen von früher werden, dass sich nicht für die Meinungen anderer interessiert. Und das wichtigste, ich möchte mich wieder so akzeptieren wie ich bin. Ich weiss ich habe einen langen Weg vor mir. Ich weiss es wird nicht einfach und diese Wunden heilen nicht so schnell. Aber ich werde alles daran setzen es zu versuchen. Bald ist die alte Lilia wieder zurück. Und ich werde durch meine Vergangenheit stärker sein, als jemals zu vor. Mit diesem Gedanken schlief ich kurz darauf ein.

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