Postoperatives Warten

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Er trocknete sich die Hände und seufzte erleichtert. Hawkeye hat dieses Gefühl, das erste Mal in diesem Krieg, zutiefst glücklich und gerade am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein.

Er warf das Handtuch in den Wäschebeutel. Er zog sich sein Hemd über und spazierte in den Bettenraum, doch er wanderte durch die Betten ins Freie. In diesem chaotischen Situation hat er auf das vergessen, weswegen er eigentlich Michaela im Sumpf haben wollte.

Er war so überwältigt von ihrem Erscheinen gewesen und noch mehr davon, dass er eiskalt am Nachmittag eingeschlafen war. Scheinbar hat das Gestern Wunder gewirkt.

Er sah immer noch ihr verweintes Gesicht von vorhin, über sich selbst urteilend.
Pierce möchte die ganze Geschichte dahinter hören; weswegen sie nichts dafür empfand, ihre Eltern ins Grab zu tragen.

Er konnte sich noch gut erinnern, als seine Mutter damals gestorben war. Fünf Jahre danach war er immer noch nicht darüber hinweg gewesen.

Einerseits war er ein wenig froh darüber, dass Michaela nichts empfand dafür, ihre Eltern verloren zu haben, denn diesen Schmerz möchte er niemanden wünschen. Andererseits war es für ihn unmöglich zu verstehen, wie man nichts für die Menschen, die einen großgezogen haben, spürte.

Hawkeye schüttelte den Kopf.

Er musste den Brief noch verstauen, der so belanglos auf seinem Bett lag.
Wenn Michaela einen mehr als einen Tag dafür gebraucht hat, es ihm zu sagen, wird es für andere Augen nicht bestimmt sein.

Als er den Brief unter seinem Kopfkissen versteckt und eigentlich wieder zurückgehen wollte, hielt ihn Radar auf halben Weg auf; besser gesagt erweckte er die Aufmerksamkeit von Pierce. Der Corporal schleppte eine graue Kiste, die ihm offenbar zu schwer war.

"Lass' mich dir helfen", griff Hawkeye nach einer Seite und Radar atmete auf. Sein Gesicht war schon rot angelaufen gewesen.

"Vielen Dank, Hawkeye", zeigte er in die Richtung, in die sie mussten; und bei genauerer Betrachtung erkannte Benjamin, dass Michaelas Name auf der Kiste stand. Auch ein paar Briefe lagen darauf, die er gleich in seine Tasche steckte. Er hatte das Gefühl, dass sie sich über Post freuen wird, die aus den Staaten kam.

"Wie geht es dem Sergeant?", fragte Radar und stieß die Tür mit seinem Fuß auf. Sie stellten die schwere Kiste neben das Bett und traten den Weg zurück an.

"Sie müsste bald wieder aufwachen, aber sonst ist alles gut verlaufen", las Hawkeye den Absender des Briefs. Die Schrift war schwungvoll und es sah etwas aus, als wäre in Eile geschrieben worden.

"Ach, die Schlacht von Hügel 27 wurde von heute Nachmittag auf morgen früh verlegt."

"Hört hört", schnaubte er genervt von sich.

Die beiden Wege trennten sich und Hawkeye fand nun endlich seinen Platz neben dem Bett einer schlafenden Person.

Wie nervös und aufgebracht er vor einer guten Stunde gewesen war und wie alles so schnell verflog, war ihm ein Rätsel. Er verstand dies alles nicht im geringsten und dennoch hätte er geglaubt, Erfahrung auf diesem Gebiet gesammelt zu haben.

Das Klemmbrett in seiner Hand, setzte er sich auf die Kiste neben das Bett, das einzig belegte im MASH, und zog sich einen Stift aus seiner Tasche; die Briefe legte er auf die Bettdecke. Vorsichtig strich er ihr ein paar Strähnen aus der Stirn und griff nach ihrer Temperatur.

Die Stiftspitze flog nur so über die Patientenakte, während er ein leichtes Lächeln auf seine Lippen kam. Alleine die kleinste Berührung ihrer Haut setzte dieses Kribbeln frei.

"Tante Edith", hauchte aus dem Nichts jemand neben ihm und er unterließ das Schreiben. "Warum darf ich nicht im Regen tanzen."

Hawkeye drehte den Kopf zur Seite und schnaubte lachend. Er nahm erneut den Brief und las dort den Absender. Also war diese Edith Kennethy ihre Tante.

"Bitte Tante Edith, ich möchte doch so gerne", träumte Michaela weiter und entlockte damit dem Arzt ein Lächeln. Sie bewegte ihre Hand, als würde sie nach etwas greifen wollen.

Hawkeye war sich nicht sicher, ob er sie einfach lassen soll, die Akte ausfüllen und danach seinen Dienst antreten. Andererseits war er hier und konnte jederzeit gerufen werden, weswegen er nicht wusste, warum er sich selbst so einen Stress machte.

Seine Hand griff nach ihrer, die sich sofort an seine klammerte und er drehte den Kopf wieder. Mit dem Daumen hielt er das Klemmbrett, damit es nicht wegrutschen konnte, darauf bedacht ihre Hand nicht loszulassen und schrieb die letzten Worte fertig. Doch ihm fiel gerade auf, dass er Blutdruck und Puls vergessen hat.

Sein Blick fiel an die Transfusion, die dritte insgesamt, und dennoch scheint sich der Blutdruck nicht zu stabilisieren. Sie hat eine Menge Blut verloren und Hawkeye zog keine voreiligen Schlüsse, auch wenn es ihm nicht gefiel.

Er legte das Klemmbrett zu den Briefen auf das Bett und zog danach aus seiner Hemdtasche diesen besonderen Gegenstand. Ihm war es selbst noch ein Wunder, wie es den Weg bis hierhin geschafft hat.

"Doktor?"

Er hob den Kopf und legte die Hand wieder auf das Bett, das Geschenk neben die Briefe, bevor er zur Schwester ging.

Sie bereiteten alles auf das morgen Kommende vor und beratschlagen sich mit dem Arzt. Sogar bei einer Besprechung im Büro von Blake war er dabei und die Zahl von 150 wurde um das doppelte aufgestockt.

Seine Schicht war zu Ende und dennoch dachte er noch nicht an den Feierabendmartini im Sumpf. Er fragte Kellye nach dem Zustand von Michaela, während er weggewesen war, doch McLennon zog die Aufmerksamkeit beider auf sich, als die auf den Boden fallenden Briefe den Raum erfüllten.

Sie hasteten auf das Bett zu. Nakahara betrachtete alles aus der Entfernung, Hawkeye kniete sich neben sie auf den Boden und musterte sie. Seine Hand lag lange auf ihrer Stirn und er hob den Verband, um nach der Wunde zu sehen.

Doch sie bewegte immer wieder ihr Füße und krallte sich wie aus dem Nichts an den Arm von Hawkeye.

Ihre Temperatur war in die Höhe geschossen, seit er das letzte Mal nach ihr gesehen hat.

Michaela war gerade im Inbegriff, einen Fieberwahn mitzuerleben. Ihr Gehirn wird gerade mit Reize überflutet und sie mit Träumen gequält, die realer nicht sein konnten.

Sie wand sich leicht im Bett und winselte Laute vor sich hin.

"Kann ich etwas tun für Sie, Doktor?"

Hawkeye sah auf und schüttelte den Kopf. Er setzte sich im Schneidersitz und hielt die Hand von Michaela fest, damit sie sich nicht den Infusionsschlauch losriss. Immer wieder strich er ihr vorsichtig über die Stirn und die Schweißperlen weg.

Nakahara bereitete in der Zwischenzeit kalte Wadenwickel. Neben dem Penicillin, welches die anrollende Entzündung eindämmen soll, sollen diese Wickel gegen das Fieber helfen.

Doch bei den unabsichtlichen wehrenden Versuchen, war es für die Schwester schwer, sie anzulegen. Pierce lag währenddessen mit dem Kopf auf dem Bett und schlummerte vor sich hin. Bei jeder Bewegung drückte er ihre Hand etwas fester in seinem Schlaf.

Nakahara sammelte die Briefe noch zusammen, legte Hawkeye eine Decke über, da sie es sinnlos empfand ihn von Michaela wegzureißen und schaltete das Licht ab.

Am nächsten Morgen tippte ihm jemand auf die Schulter. Das Dröhnen des Motors vom Krankenwagen, der sich zum Landeplatz verabschiedete, erinnerte ihn an das Heutige; bedauerlicherweise.

Er streckte sich kurz und erkannte Nakahara, die aus dem Raum huschte. Sie müsste ihn geweckt haben.

Mit gesenktem Kopf griff er nach dem Puls von Michaela und atmete erleichtert auf. Er war etwas besser als gestern.

Er hing ihr noch eine Infusion an und griff ein letztes Mal nach ihrer Hand. Er verweilte einige Sekunden, gefühlt eine Minute, während er auf sie hinabsah. Sein Mund stand offen und er nahm die Ruhe um ihn war. Einzig allein ihr leises Atmen war zu hören.

"Bitte wach' auf bis ich wieder da bin", drückte er ihre Hand etwas fester und ging in die Hocke, um sie näher betrachten zu können. "Ich will dir keinen Druck machen, aber ich glaube, dass ich mich besser fühlen würde wenn ich das nächste Mal in die Postoperative komme und deine Augen sehen kann."



[1] M*A*S*H | 1950/51Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt