11- oder als ich merkte dass ich nicht gut lügen kann

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Annie
Schon seit ungefähr 20 Minuten stehe ich vor meinem Kleiderschrank und weiß nicht was ich anziehen soll. Normalerweise reichen diese 20 Minuten auch vollkommen um mich fertig zu machen, zu essen und zur Schule zu gehen, aber ein Blick auf die Uhr zeigt mir dass ich heute wohl auf mein Frühstück verzichten muss wenn ich meinen Bus nicht verpassen will. Und das will ich ganz bestimmt nicht, denn ich habe keine Lust darauf zu spät zur Schule zu kommen.
Montagmorgen kann ruhig zur Hölle fahren!
Ja meine Schwierigkeit mich zu entscheiden liegt ganz bestimmt am Montagmorgen. Woran denn auch sonst? Etwa dass ich mal gut aussehen will?
Ne, ausgeschlossen.
Da ich merke das die Zeit wirklich knapp ist, schnappe ich mir einfach eine lockere, karierte Hose und ein enges, schwarzes Oberteil. Während ich meine Haare zu einem Zopf zusammenbinde, renne ich schon einmal runter um gleich darauf meine Schuhe und Jacke anzuziehen und mit meinem Rucksack aus der Haustür in Richtung Bushaltestelle zu stürmen.
Noch im Bus fällt mir ein das sich heute Gray wiedersehe. An sich nichts schlimmes, ich kann ihn ja wirklich gut leiden und so, aber ich hoffe dass er mich nicht auf gestern anspricht. Beziehungsweise darauf, wieso ich keine Zeit hatte, denn ich hatte ihm keinen Grund genannt, da mir halt einfach keiner eingefallen ist. Ravy hat mir gestern stundenlang während wir telefonierten erzählt, wie gut es doch lief. Sie haben sich sogar fast geküsst, was allerdings wegen seiner Schwester (die Ravy mir als echt nervig und anstrengend beschrieben hat) verhindert wurde.
Irgendwie wird mir beim Gedanken, wie Gray und Ravy sich küssen unwohl.
Ich weiß auch nicht wieso, weil sollte ich mich nicht eigentlich für sie freuen? Sie hat ihn schließlich schon seit längerer Zeit im Auge.

An der Schule angekommen frage ich mich, wieso Pride und Ravy nicht wie gewohnt an unseren Spinden sind, als mir einfällt, dass unser Schulchor, in welchem sie beide sind, heute einen Ausflug macht. Also bin ich heute wohl auf mich alleine gestellt. Dies erleichtert wenigstens meinen Plan mich von Gray fernzuhalten, welchen ich vorhin im Bus gefasst hatte, denn wäre Ravy hier, wäre es undenkbar ihm aus dem Weg zu gehen.
Dieser kommt übrigens in genau diesem Moment auf mich zu gelaufen, weshalb ich so tue als ob ich ihn nicht sehe und mit meinen Büchern in die entgegen gesetzte Richtung laufe. Ich dachte echt dass dies eine ganz gute Idee ist, bis mir dann eingefallen ist, dass ich um zu meinem Deutschkurs zu gelangen in die andere Richtung, Gray entgegen, laufen muss. Peinlich berührt, weil ich gerade in die falsche Richtung gelaufen bin, drehe ich mich also um und laufe mit gesenktem Kopf wieder los, in der Hoffnung, dass Gray mich nicht entdeckt, denn ich habe noch immer keine gute Ausrede überlegt wieso ich gestern keine Zeit hatte.
Aber naja, es wäre auch zu schön wenn mein Leben nicht einmal das Gegenteil von dem was ich will tun würde. Gerade als ich dachte Gray wäre ohne weiteres an mir vorbeigelaufen, zieht dieser mich irgendwie am Arm in eine lockere Umarmung.
„Hey!"
Wie immer begrüßt er mich mit einem breitem Grinsen.
„ Äh Hi! Ich hab dich garnicht bemerkt, sorry."
Lüge
„Kein Wunder, wenn du die ganze Zeit nur auf den Boden schaust."
„Ja stimmt."
Erwidere ich mit einem nervösen Lachen.
„Alles gut bei dir?"
„Ja klar, alles super. Wieso?"
„Du klangst grad irgendwie anders, aber ok. Was war eigentlich gestern?"
„Äh mein Vater wollte meine Cousinen mit mir besuchen gehen."
„Ich dachte er wäre letzte Woche Freitag ohne dich gefahren?"
Okay, jetzt sitze ich ganz tief im Dreck.
„Jaaa, schon. Irgendwie äh ist er halt-"
„Lügst du mich grad an?"
Fragt er mich mit einem misstrauischem Gesichtsausdruck.
Ja scheiße gelaufen, was?
„Ja. Sorry."
Und schon wieder lasse ich meinen Kopf aus Scham sinken.
„ Schon ok. Hättest mir aber ruhig sagen können dass du keine Lust hattest."
Meint er mit einem kühlen Unterton in seiner Stimme. Ich weiß nicht ob ich mich täusche, aber sieht er sogar etwas Enttäuscht aus?
„Nein das war es nicht, glaub mir ich-"
„Lass gut sein, es ist echt ok."
„Ich hatte wirklich einen Grund."
„Und der wäre?"
„Oh Gott, ich darf das eigentlich nicht sagen, aber-"
Ich hole ganz tief Atem.
„- Ravy steht auf sich. Und sie wollte die Nachhilfe deshalb machen. Ich hätte es sonst wirklich gerne gemacht."
Ravy wird mich sowas von umbringen wenn sie erfährt dass ich Gray das gerade erzählt habe.
Etwas geschockt schaut er mich an während er redet.
„Echt jetzt?"
„Jup."
„Woah krass. Aber ich mag sie nicht wirklich, also glaube ich nicht dass da jemals was sein kann. Ich find sie irgendwie unsympathisch, nichts für ungut."
„Okay, aber versprochen dass du niemandem davon erzählst? Ravy bringt mich sonst um."
„Jaja, versprochen."
„Ok super."
„Du kannst mich übrigens auch anschauen während wir reden."
Grays Lächeln wird mich irgendwann noch ins Grab bringen, so schön wie es ist.
„Okay. Naja ich muss jetzt zu meinem Deutschkurs, also man sieht sich."
„Ja komm ich bring dich kurz hin."
„Wenn du unbedingt willst."
Erwidere ich mit einem Schmunzeln.

So laufen wir dann etwas nebeneinander her, bis Gray mich fragt wo ich Pride und Ravy heute gelassen habe, da er meint uns in der Schule nie getrennt zu sehen. Nachdem ich ihm dann erklärte habe wo die beiden abgeblieben sind, fragt er mich ob ich mit ihm Mittagessen will. Natürlich habe ich dieses Angebot angenommen, denn die Aussicht darauf die Mittagspause sonst alleine verbringen zu müssen ist mir nicht sehr schmackhaft. Das ist also aus meinem Plan, mich von Gray fernzuhalten geworden. Hab ich super hinbekommen, würd ich sagen.
„Naja, dann viel Spaß in Deutsch, bis später."
„Ja bis später."
Ich mutiere echt zu einer riesigen Grinsebacke wenn Gray bei mir ist.
Sowie jetzt, wo er sich, nachdem er mich noch einmal umarmt hat um dann zu seinem Kurs zu gehen, noch einmal umdreht und mir grinsend zu winkt.

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