Mal wieder war er weg gelaufen.
Wie ein Feigling.
Aber als er Celynn so nahe war, war ihm Wing wieder eingefallen.
Sein alter Lehrmeister mit dem schwarzen, langen Haar, der Grund, weshalb Crow auch sein eigenes Haar hatte wachsen lassen.
Wing hatte immer ein Lächeln auf den Lippen und eine ansteckende Motivation gehabt.
Er hatte Crow immer aufgeholfen, wenn er gefallen war.
Er war der große Bruder, den er nie hatte.
Und dann hatte er Lilith kennengelernt.
Sie hatte ihn hochgehoben und dann fallen gelassen.
Hatte ihn für ihre Zwecke benutzt.
Crow erinnerte sich noch daran, wie Wing an diesem Abend in die Wirtschaft gekommen war.
Niedergeschlagen und gebrochen.
Seine sonst so lebhaften blaugrauen Augen waren stumpf und matt und er hatte keinen außer Crow zu sich gelassen.
Dann war er eines nachts einfach verschwunden.
Er hatte nur einen Brief für Crow zurückgelassen, den Crow sicher aufbewahrte.
Die Worte in diesem Brief hatte er sich so oft durchgelesen, dass er ihn frei vortragen konnte.
Lieber Crow,
Ich werde gehen.
Keine Angst, nicht im Sinne von sterben, sondern im Sinne von ,,Ein neues Leben anfangen".
Ich kann einfach nicht länger in dieser Stadt bleiben, in der das alles vorgefallen ist.
Ich werde weit weg gehen, mir eine neue Identität zulegen und ein neues Leben beginnen.
Ich würde dich gerne mitnehmen, doch ich kann nicht.
Ich will mein altes Leben vergessen.
Ich hoffe, du bist mir nicht böse, glaub mir, die Entscheidung fiel mir nicht leicht.
Du kannst mit diesem Brief machen was du willst, aber bitte denke an folgende Worte: Die Liebe ist gefährlich. Sie kann wunderschön sein, dich aber auch zerstören und von innen heraus verzehren.
Vertraue nie jemandem mit deinem ganzen Leben, den du nicht sicher kennst.
Pass bitte auf dich auf,
WingAls Crow an diese Worte dachte, zog sich sein Herz auf eine schmerzhafte Weise zusammen.
Er konnte Wing verstehen, er war ihm nicht böse, aber trotzdem vermisste er ihn an manchen Tagen so sehr, dass er zu nichts mehr im Stande war außer in seinem Bett zu liegen und an die Decke zu starren.
Er hatte diesem Brief niemandem gezeigt und keinem etwas davon erzählt.
Die Gerüchte hatten ihre Runde gemacht und als sie langsam wieder verstummten trat Granite die Nachfolge als Anführer der Organisation an.
Crow konnte ihn nicht leiden und das beruhte offensichtlich auf Gegenseitigkeit.
Der Wald um ihn herum war still und dunkel, der langsam abnehmende Vollmond schaffte es nur wenige Strahlen durch die dichten Nadeln der Kiefern und Tannen zu schicken.
Die Nacht war schwül und vereinzelt bedeckten Wolken den Mond.
Es würde ein Gewitter geben.
Crow beschleunigte seine Schritte.
Er wollte in seiner Kammer sein, bevor der Sturm losbrach.
Er war schon fast am Waldrand als es anfing zu nieseln.
Nun rannte Crow, er hatte Gewitter schon immer gehasst.
Sie waren laut, nass und gefährlich.
In zwei Tagen war die Beerdigung des Königs.
Er wusste nicht, wie er darauf gekommen war, wahrscheinlich, weil er das Schloss erblickte, das über dem Dorf thronte wie ein Wächter und zugleich eine Warnung.
Als Crow an der Kirche vorbei kam, bleib er stehen.
Neben der Kirche lag der Friedhof der Stadt.
Dort war auch irgendwo seine Mutter begraben.
Crow war damals nicht zu der Beerdigung gekommen.
Er hatte bei seiner Schwester im Zimmer gesessen und gewartet, bis die Glocke des Kirchturms fünf geschlagen hatte, die Beerdigung begonnen hatte.
War es nach zwölf Jahren an der Zeit, seiner Mutter zu vergeben?
Crow zögerte kurz, dann bückte er sich, pflückte eine rote, blühende Mohnblume und betrachtete sie nachdenklich.
Schließlich gab er sich einen Ruck, öffnete die Friedhofstür und lief durch die Grabreihen.
Einige Gräber waren gut gepflegt, andere verwildert.
Auf manchem Gräbern erkannte Crow einen der Namen der Leute, die er schon umgebracht hatte und das erste Mal in seinem Leben hatte er so etwas wie ein schlechtes Gewissen.
Er lief weiter, inspizierte Namen für Namen, bis er schließlich vor einem Grab stehen blieb.
Es war ziemlich unscheinbar und von dem Laub des Herbstes der Kastanie, die neben ihm aus dem Boden ragte fast bedeckt, doch man konnte an dem Grabstein erkennen, dass es sich um ein Grab handelte.
Und der Name, der drauf stand, ließ Crow erstarren.
Sienna Lilacrose war dort eingemeißelt.
Der Name seiner Mutter.
Crow kniete sich hin, der Regen war inzwischen stärker geworden und durchnässte seine Kleidung und sein Haar, von fern hörte man erstes Donnergrollen.
Crow ignorierte das und wischte das Laub von dem Grab hinunter.
Dann legte er die Blume auf die Erde.
,,Mutter", begann Crow zu reden, ,,du hast einen großen Fehler begangen. Deinetwegen ist Layla verhungert, nur weil du zu feige warst, dich deinem Schicksal zu stellen. Allerdings verdient jeder Vergebung. Und nach zwölf Jahren will auch ich dir vergeben. Ich hoffe, du hast jetzt deinen Frieden gefunden und bist glücklich bei Layla und Vater. Ich komme zurecht, doch ich weiß nicht, ob dich das kümmert", Crows Stimme klang bitter, als er den letzten Satz aussprach.
Dann schloss er noch mal die Augen und atmete tief durch.
Es fühlte sich so an, als wäre der ganze Hass und all das Gewicht, dass er mit such herum getragen hatte nun abgefallen.
Er hatte das richtige getan.
Die Blume wirkte noch strahlender auf dem sonst so trostlosen Grab.
Crow schlang die Arme um seinen Körper, die Kälte drang ihm bis in die Knochen und er beschloss zurück zu gehen, als ein Blitz den Friedhof erhellte.In dieser Nacht hatte Crow einen komischen Traum.
Er träumte, dass er mit seinem am Bach spielte, während seine Mutter Layla etwas vorsang, die glücklich kicherte.
Crow war jung, nicht älter als vier Jahre in diesem Traum.
Plötzlich kam ein Mädchen ungefähr in seinem Alter, also auch noch sehr klein an den Bach.
Sie hatte hellblaue Augen und hellbraune Locken.
Celynn!
Lachend lief sie zu ihnen und auch Crow lachte.
Plötzlich veränderte sich der Traum.
Um ihn herum wurde alles dunkel, nur neben ihm konnte er einen schwachen Lichtschein wie den einer Kerze spüren.
Crow drehte den Kopf und sah seine Mutter, von ihr ging ein schwaches Leuchten aus und sie lächelte.
Sie sah gesund aus, nicht so dünn und traurig, wie als sie noch lebte.
Ihre blonden Haare waren wie schon zu ihren Lebzeiten zu einem Dutt zusammengebunden und ihre dunklen Augen, die er von ihr geerbt hatte, strahlten.
,,Ich habe dich gehört und bin froh, dass du mir vergibst. Ich habe dumm und unüberlegt gehandelt, aber ob du es glaubst oder nicht, meine letzten Gedanken haben euch beiden gegolten, Crow, so nennst du dich jetzt, oder? Dir und Layla. Und natürlich interessiert es mich, wie es dir geht!"
Als seine Mutter diese Worte sagte, fiel Crow auf, wie sehr er die bedächtige und ruhige Stimme seiner Mutter vermisst hatte.
Er lächelte und fühlte, wie sich Tränen der Freude in seinen Augen sammelten.
Seine Mutter trat auf ihn zu und nahm ihn in den Arm.
Crow drückte sie an sich, er war fast größer als seine Mutter.
,,Layla geht es gut. Sie wächst hier weiter auf und ist ein schönes, junges Mädchen", erklärte sie.
Crow löste sich wieder von ihr.
,,Darf ich sie sehen?", fragte er.
Kurz zögerte seine Mutter, dann nickte sie und ein Mädchen, ungefähr 14 schoss heran.
Sie hatte das blonde Haar ihrer Mutter geerbt und die selben dunklen Augen wie Crow.
,,Layla!", rief Crow überglücklich und rannte auf seine Schwester zu.
,,Ich habe dich so vermisst!", erklärte er und drückte seine Schwester an sich.
Diese legte ihre Arme um ihn und lachte.
,,Ist ja gut, ganz ruhig!"
Crow lächelte, er war seit Jahren wieder überglücklich.
,,Wir müssen jetzt wieder gehen. Aber vergiss nicht, wir sind immer bei dir", flüsterte Layla und löste sich in seinen Armen auf.Crow wachte auf, er lächelte noch immer.
Gut gelaunt wusch er sich schnell, lief durch das Wirtshaus, nahm sein Frühstück an sich und machte sich auf den Weg zu der Brücke über den Bach.
Er musste diesem Ort nun nicht mehr mit Abscheu begegnen!
An der Brücke angekommen lehnte er sich ans Geländer und schaute sich um.
Plötzlich hörte er Hufen klappern und fuhr herum.
Seine gute Laune schlug plötzlich in Panik um.
Vor ihm auf einem Pferd saß Celynn und schaute verwundert zu ihm hinunter.
,,Äh... hallo", grinste Crow unsicher.
Celynn saß ab.
,,Hallo", grüßte sie zurück, warf den Kopf nach hinten und stolzierte zu den Wurzeln der Eiche.
Crow zögerte kurz, dann folgte er ihr.
,,Celynn hör zu, es tut mir leid!", erklärte er und hoffte, dass sie seine Entschuldigung annehmen würde.
Celynn band ihr Pferd fest und drehte sich dann zu Crow um.
,,Was tut dir leid? Das du den König umgebracht hast? Dass du jederzeit dazu bereit wärst, mich umzubringen? Ja, ich habe deinen Dolch bemerkt! Und tut es dir auch leid, dass du mir erst Hoffnungen machst und dann einfach verschwindest und mich allein mit meinen dummen Gefühlen zurücklässt? Crow, ich liebe dich, verdammt noch mal!", rief Celynn und Crow sah, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, die sie aber energisch wegwischte.
Crow stand wie zur Salzsäule erstarrt da und starrte Celynn mit großen Augen an.
Dann riss er sich zusammen.
,,Ja. Das tut mir alles leid. Allerdings hatte ich meine Gründe. Wenn du die kennen würdest, könntest du mich vielleicht verstehen", meinte Crow.
Plötzlich tat Celynn etwas, womit Crow ganz und gar nicht gerechnet hatte.
Sie trat näher, legte ihre Hände auf seine Schultern und legte ihre Lippen auf seine.
Crows Herzschlag schoss nach oben, er legte seine Hände an Celynns Hüfte, wehrte sich allerdings nicht dagegen.
Das schien Celynn zu erleichtern, die drückte sich gegen ihn und lächelte.Ihre Lippen lagen weich auf den seinen und Celynn seufzte zufrieden.
Es war sehr ironisch.
Unter dem Baum, in dem sich seine Mutter erhängt hatte stand er nun und küsste das schönste Mädchen der Welt.
Crow lachte kurz auf.
Celynn löste sich wieder von ihm.
,,Was ist so lustig? Bin ich so schlecht?", fragte sie und grinste.
,,Nein, bist du nicht", antwortete Crow und lachte ebenfalls.
,,Es ist etwas anderes..."
,,Was?"
,,Das kann ich dir nicht sagen."
So weh es auch tat, er wusste nicht, wie weit er Celynn trauen konnte.
Wieder musste er an Lilith und Wing denken.
Außerdem waren da noch ihre Stände.
Sie eine Adelige, er ein Mörder.
Das konnte nicht gut gehen.
Crow trat einen Schritt von Celynn weg, in deren Augen sich Enttäuschung und Trauer spiegelten.
Ohne ein Wort band sie ihr Pferd los, saß auf und ritt davon.
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Hinter der Maske
RomanceCelynn wurde auf einen Maskenball im königlichen Schloss eingeladen. Dort trifft sie auf einen mysteriösen jungen Mann, der ihr nicht mehr aus dem Kopf geht. Doch was sie nicht weiß ist, dass diesen Mann viele nicht gerade harmlose Geheimnisse umgeb...