1st Advent

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Sunday, 30th November 2014, 1st Advent

Sie stieß einen lauten Seufzer aus, schloss kurz die Augen und sah erst dann in die Kamera. Ihre unglaublich blauen Augen brachten ihn mal wieder zum Staunen.

„Hey Leute. Ich bin's Kylie. Bevor ihr euch wundert, das wird ein eher ernstes Video."

Sie zwang sich zu einem gequälten Lächeln.

„Gut möglich, dass es zum Schluss nur noch aus Piep-Tönen bestehen wird, muss ich zugeben."

Sie grinste kurz und ehrlich.

„Ihr kennt mich ja. Wahrscheinlich muss ich die Hälfte später zensieren."

Sie klatschte in die Hände.

„Also. Mein heutiges Thema ist etwas weniger erfreulich und könnte ... möglicherweise ... etwas näher mit Fluchen erläutert werden. Falls ihr also gut Lippenlesen könnt und eure unschuldige Seele schützen möchtet, schließt dieses Video lieber. Ich kann nicht versprechen, dass es jugendfrei wird, denn ich muss ernsthaft jetzt ein bisschen Dampf ablassen.

Es geht mal wieder um eine meiner Lieblingsbands, One Direction, was mich dieses Mal allerdings eher weniger freut. Ich werde das jetzt auch nur auf die Jungs spezifizieren, da das Thema leider wieder extrem aktuell ist, aber es lässt sich auch auf andere Promis projizieren - nicht, dass das etwas Gutes ist.

Also, man hört ja immer wieder davon, dass die Jungs an Flughäfen und so belagert werden und das ist gestern wieder passiert ... oder vorgestern oder wo auch immer ihr her kommt. Naja, auf jeden Fall könnte man das sogar noch verstehen, wenn ein paar friedliche Fans die Jungs irgendwo empfangen wollen, aber es gibt *piep* Grenzen, ob manche das glauben wollen oder nicht. Da ist ein *piep* großer Unterschied zwischen einem freundlichen Empfang und einer Belagerung!"

Sie zupfte verärgert an ihrem Beanie.

„Ich meine, ja klar, wir wollen die alle gerne Mal treffen, aber kennt ihr die ungeschriebene goldene Regel der Fandoms nicht? Don't *piep* mob your favorite bands or artists at airports, clubs or anywhere *piep* else where you possibly can *piep* meet them!

Manchmal würde ich zu den Leuten wie die, die sich beschweren, dass sie kein Foto oder Autogramm bekommen haben, nachdem sie Harry Styles ein Haar rausgerissen haben, gerne einfach mal hin gehen und sie *piiiiiiiiiep*!"

Nach einem zwanzig Sekunden langen hohen Piep-Ton schnaubte sie verärgert und ließ einen Knöchel ihrer geballten Faust knacken.

„Wenn man die Jungs wirklich liebt und respektiert, gönnt man ihnen Ruhe und Privatsphäre und rennt nicht jedes *piep* Mal zum Hotel oder Flughafen, weil Bild Nummer 56 von letzter Woche verschwommen ist und man ein Neues will. Get a *piep* life!

Ihr könnt's mir glauben oder nicht, aber es ist nun mal eine Tatsache, dass sie, auch wenn sie wie *piep* Götter aussehen, nur Menschen sind! Und da sie nur Menschen sind und Ausrasten meiner Meinung nach unter die Kategorie „menschliche Fehler, die man verzeihen kann", gehört, gönne ich es solchen Leuten echt, dass Niall sie mit Essen bewirft oder Harry sie mit Shampoo besprüht oder Louis so richtig Sass-Queen-mäßig austickt, denen eine knallt und auf seinem Einhorn 'nen Abgang macht oder ... okay wartet ... zurückspulen! Vergesst was ich gerade gesagt hab."

Sie versuchte vergeblich ernst zu bleiben und ein Grinsen zu unterdrücken. Auch er grinste. Nette Ausführungen.

„Also, was ich eigentlich sagen wollte ist, dass es unfair gegenüber dem Rest des Fandoms ist, wenn so ein paar *piep* sich immer wieder total daneben benehmen, als seien sie die *piep* der Welt, und dadurch den Fans, die die Jungs wirklich vergöttern nur leider nicht das Geld, die Zeit und die Möglichkeiten haben, ihnen 24/7 zu folgen, die Chance verwehren sie auch Mal zu treffen!

Außerdem - und das ist wohl der wichtigste Punkt - haben die Jungs das nicht verdient! Und das gilt auch für jeden anderen eurer Idole. Sie machen so viel für euch, für all ihre Fans und trotzdem gibt es immer noch Leute, die sie, ihr Leben und ihre Privatsphäre mit Füßen treten. Wenn sich die Leute dann auch noch als „Fans" bezeichnen ..."

Sie schüttelte traurig den Kopf.

„Wo ist dann der Unterschied zwischen Fans und Hatern? Hater mischen sich in das Leben der Promis ein mit Gerüchten und so viel anderem Mist, aber das kann man noch ignorieren, wenn man es besser weiß. Fans dagegen, die ihnen hinterherfahren, sie stalken und ihnen keine Ruhe lassen, zerstören ihre Privatsphäre und geben ihnen keinen Raum zum Leben. Auch ein Harry Styles ist tatsächlich nur Mensch, mit Bedürfnissen so wie du und ich, wie wir alle!

Boah, ich kann das echt nicht ab, also sorry wenn ich ausfällig werde und ich will auch keinen irgendwie persönlich angreifen, aber ich könnt' mich da stundenlang drüber aufregen. Sie sind nur *piep* Menschen. Menschen, keine Roboter und auch nicht eure Prügelknechte oder whatever, denen ihr ihre Haare ausreißen könnt! Es ist einfach nur *piep* unfair. Ich dachte Fans nennen sich die Leute, die die Jungs lieben und sie genauso zum Lächeln bringen wollen, wie sie einen selber zum Lächeln bringen. Aber so was macht sie bestimmt genauso fertig, seelisch, sowie körperlich, wie hoffentlich ein Großteil der Fans. Beherrscht euch bitte, ja?"

Traurigkeit erfüllte ihren Blick.

„Ich selbst hab es bis jetzt nur einmal zu einem Konzert von 1D geschafft und hab auch schon mal fünf Stunden ohne Erfolg in der Kälte gestanden, aber wisst ihr was? Dieses eine Konzert war super und ich blicke immer mit einem Lächeln zurück. So viele schöne Momente mit den Jungs und mit anderen Fans. Jeder, der noch nie auf ein Konzert von ihnen oder jemand anderem konnte, tut mir ehrlich leid, denn das gehört definitiv zu den besten Erlebnissen, die man haben kann.

Ich schwöre euch, wenn ich könnte, würd ich mit Konzerttickets um mich schmeißen! Kann nicht eine Gruppe von reichen Fangirls eine Organisation gründen, wo Karten an Fans mit weniger Möglichkeiten verschenkt werden? Für den guten Zweck? So a là Hand in Hand? Ein Herz für Fangirls?"

Sie machte ein schmollendes Gesicht und sah mit großen Hundeaugen in die Kamera. Süß, schoss es ihm durch den Kopf. Sie war süß.

Ein Krachen ertönte und sie drehte sich mit hochgezogenen Augenbrauen zur Seite. Das Video zeigte eine Schnittstelle, dann erschien sie wieder auf dem Bildschirm mit dem Blick auf die Kamera gerichtet.

„Okay", sie zog die letzte Silbe lang und richtete sich lächelnd auf. „Rückblickend hab ich weniger geflucht als erwartet - vielleicht verschont mich die Hölle ja doch noch - but anyway ... subscribe, thumbs up und so, ihr wisst ja, wie ihr mich glücklich machen könnt. Schreibt in die Kommentare was ihr von dem Thema haltet und ob ihr schon ähnliches erlebt oder mitbekommen habt. Aber eine Sache noch: Ich will keine Namen lesen, klaro?

Ich wünsche euch noch ein tolles Wochenende, einen schönen ersten Advent, nehmt das Leben nicht so schwer, viel Glück bei euren Klausuren, Führerscheinprüfungen und durch was für Scheiß Leute in unserem Alter alles noch durch müssen. Love you lots! Bye, bye!"

Der Bildschirm verschwamm kurz, ihre Kontaktdaten auf sozialen Netzwerken wurden sichtbar, dann war das Video zu Ende. Schade, dachte er. Er genoss die Zeit mit ihr. Er mochte es, ihr bei ihren Ausführungen zuzuhören und teilte in den meisten Fällen ihre Meinung.

Dieses Video hatte sich auf ihn und seine Bandkollegen bezogen, aber sie hatte Recht: Es war optional einsetzbar. Erst gestern hatten hunderte von Fans sie am LAX erwartet und das Kreischen der Mädchen vor dem Hotel bereitete ihm Kopfschmerzen. Nicht alle waren so, zum Glück. Es gab auch Fans - meistens die, die man zufällig und unerwartet irgendwo traf - mit denen man sich unterhalten und mit ihnen lachen konnte, die ruhig blieben, höflich nach einem Foto fragten und einfach nur glücklich waren.

Würde es immer so laufen wäre das Leben für Leute wie ihn um so vieles leichter. Ruhe und Privatsphäre. War das wirklich zu viel verlangt?

Merry Christmas.x |♥| lwt || GERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt