Chapter Eight

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Nervös wartete ich auf Kyles Antwort. Auf seine Reaktion. Und beobachtete jede einzelne seiner Bewegungen. Er legte seinen Kopf schief und fing zu grinsen an, bevor er nickte und ausstieg. Verwirrt sah ich ihm dabei zu und war froh, als er mir bloß die Tür öffnete und die Hand reichte.

Ich schloss die Haustür auf und betrat den dunklen Flur, als ich Kyles Nähe spürte. Ich wandte mich zu ihm um und schloss die Tür hinter ihm.

„Oben ist mein Zimmer." Er nickte. „Ich weiß."

Auch ich nickte und plötzlich beschlich mich das Gefühl der Nervosität. Kein Bass dröhnte unter unseren Füßen und kein Licht durchflutete die Räume.

Ich versuchte, mich zu konzentrieren und ergriff Kyles Hand, um ihn mit mir hoch in mein Zimmer zu ziehen.

Ich knipste die kleine Nachttischlampe an, wandte mich zu Kyle. Er sagte kein Wort. Nur seine gleichmäßige Atmung war zu hören.

„Du bist wunderschön." Er strich mir eine Strähne hinter mein Ohr und legte seine Hand an meine Wange. Meine Haut brannte unter seinen Berührungen und ein Kribbeln durchfuhr meinen gesamten Körper. „So wunderschön."

Sein Atem traf meine Lippen und ich wartete nur darauf, seine auf meinen zu spüren. Stattdessen wanderte er mit seinen Lippen federleicht über meine Haut hinweg zu meinem Hals und schließlich verteilte er kleine Küsse auf meiner erhitzten Haut. Ich seufzte wohlig auf und verlor den Halt.

Langsam legte ich mich mit meinem Oberkörper auf das Bett. Kyle lag über mich gebeugt. Seine Küsse wurden fordernder und ich fing an, mein Rücken durchzubiegen. Ich wollte ihn küssen. Ich wollte, dass er mich küsste. Doch er wanderte stattdessen weiter meinen Hals entlang in Richtung meines Dekolletés.

„Du bist unglaublich." Er richtete sich über mich auf und strich meine Wange entlang. Ich erwiderte nichts und beugte mich vor, um ihn zu küssen.

„Nein." Sanft wandte er seinen Kopf ab und augenblicklich stieg die Scham in mir auf. Ich war noch nie einem Jungen so nah gewesen und ich wollte es in diesem Moment. Und ich dachte, er würde es ebenso wollen. Ich kniff meine Augen zusammen und wollte ihn wegdrücken, doch er ließ es nicht zu.

„Lola, das ist nicht so gemeint. Ich will dich. So verdammt sehr." Seine Stimme war rauer als sonst. „Aber du bist betrunken. So etwas mache ich nicht."

Nun schaute ich ihn doch an.

„Du bist es doch auch", verteidigte ich mich und verschränkte die Arme vor der Brust. Kyle jedoch lockerte sie wieder und grinste. „Du pushst." Und ich errötete.

Dann wurde sein Blick wieder ernst.

„Wenn du mich morgen immer noch küssen möchtest, dann werde ich dich küssen."

Er drückte mir einen kleinen Kuss auf die Stirn und stand dann auf.

Ich beobachtete jede seiner Bewegungen, als er schließlich mein Zimmer verließ und wenig später mit einem Glas Wasser zurückkam.

„Trink ein Schluck." Angeekelt wandte ich den Kopf ab. Mir war der Durst vergangen und Wasser war das Letzte, was ich trinken wollte.

„Bitte." Kyles Blick ruhte auf mir. Es war das erste Mal, dass er mich bat. Also trank ich das Glas leer und gab es ihm zurück.

„Bleibst du bei mir?" Er bereitete sich zum Gehen vor, doch das wollte ich nicht. Ich hatte Angst, allein zu bleiben. Liam war nicht hier.

Er seufzte. „Lola - ich glaube, es wäre besser, wenn ich gehe."

Er durfte mich nicht alleine lassen. Ich setzte mich an das obere Ende des Bettes und zog meine Knie an mich ran.

„Er ist nicht mehr hier, Kyle. Ich habe Angst." Eine Träne rann mir das Gesicht entlang und der Wall brach endgültig. Ich fing, hemmungslos an zu weinen. Ich konnte mich nicht mehr aufrecht halten und das zusätzlich schlechte Gewissen, es verdrängt zu haben, schlich sich ein. „Er ist nicht bei mir."

Ich schloss meine Augen und nahm meine Umgebung nicht mehr wahr. Ich hörte, wie Kyle das Glas irgendwo abstellte und seine Schritte sich mir näherten, bevor er behutsam seine Arme um mich legte und versuchte, mich zu beruhigen.

„Hey- Hey, sieh mich an." Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und wischte mit seinen Daumen immer wieder die anbahnenden Tränen weg.

Ich schaute ihn an und wimmerte. Es prasselte alles auf mich hinab. Meine letzten Worte an Liam und die Worte, die ihn mir für immer nahmen.

„Wer ist nicht mehr bei dir?", fragte er sanft und ruhig, während er mich weiterhin fest im Arm hielt.

„Liam", flüsterte ich und sah weg.

Kyle musterte mich stumm.

„Mein Bruder." Ich biss mir auf meine Lippe, die ich vor wenigen Minuten noch willenlos gegen Kyles pressen wollte.

Und dann begann ich mich Kyle anzuvertrauen. Ich lehnte mich in seine Arme zurück und erzählte ihm Liams Geschichte. Ich erzählte ihm, dass Liam mein persönlicher Superheld war und der beste Bruder auf der ganzen Welt. Dass er nicht zurückblickte, sondern nur nach vorn und doch immer wie ein Schlosshund zu weinen begann, wenn in einem Film jemand starb.

Ich beschrieb Liam auf seine ganz eigene Weise und konnte zum ersten Mal dabei lächeln.

Ein weiteres erstes Mal. So viele hatte ich in den letzten Wochen erlebt. Und ich war über jedes kleine erste Mal stolz.„Es war so verdammt dunkel und kalt", fuhr ich fort und zitterte am ganzen Körper. „Seine Augen waren so weit aufgerissen und die Splitter lagen überall."

Die Erinnerungen waren mit der Zeit zurückgekommen. Intensiv und ungehalten. Noch immer konnte ich das Blut meine Schläfe hinab rinnen spüren.

Die Schmerzen in jedem einzelnen Knochen.

Die Schreie in meinen Ohren.

„Und jetzt lassen mich meine eigenen Eltern im Stich."

Ich setzte mich etwas auf und blickte zu Kyle, der mir immer wieder durch meine Haare gestrichen hatte und mich nun mit einem entschuldigenden Blick ansah.

„Ich habe Angst, allein zu sein, Kyle. So schreckliche Angst."

Er zog mich mit einem Ruck an seine Brust und verteilte kleine Küsse in meinem Haar. „Es - es tut mir verdammt leid." Dann hob er meinen Kopf an.

„Ich bleibe heute Nacht bei dir, in Ordnung?"
Erleichtert nickte ich. „Dankeschön, Kyle."

„Ich gehe kurz ins Badezimmer, um mich umzuziehen." Ich stand auf und schnappte mir ein Top und Shorts, die am unteren Ende des Bettes lagen, um in das Badezimmer zu gehen. Von dem glücklichen und unbeschwerten Mädchen der letzten Stunden war nichts mehr übrig. Meine Schminke war verlaufen und meine Haare waren nass, durch meine Tränen.

Schnell wusch ich mich und zog mir meine Kleidung aus. Ich wollte nur noch in mein Bett.

Zurück in meinem Zimmer blickte ich zu Kyle, der immer noch auf meiner Matratze saß und mich nun anblickte. Sein Blick brodelte. Er ließ seine Mundwinkel hängen, kein einziges Anzeichen eines Grinsens, und seine Augen fuhren meinen gesamten Körper entlang. Unsicher tapste ich von einem Fuß auf den anderen.

„Kannst du mit mir im Bett schlafen?" Es war kindisch. Ich war kindisch. Ich schaffte es nicht, allein in diesem Haus und fragte ihn nun auch noch, ob er mit mir gemeinsam in einem Bett schlafen könnte. Ich brauchte eine Nähe und Kyle war in diesem Moment die einzige Person, der ich vertraute. „Vergiss es", nuschelte ich hinterher und band mir meine Haare zu einem Dutt.

Kyle stand auf und beobachtete jeden meiner Schritte, bevor er ohne jeglichen Spott auf meine Frage einging. „Wenn es für dich in Ordnung ist."

Ich nickte und schaute Kyle dabei zu, wie er sich schamlos seiner Kleidung entledigte, bis er mit bloßen Boxershorts vor mir stand und mich anschaute. Kein Grinsen. Sein Blick war intensiv und aufrichtig.

Ich machte ihm Platz in dem Bett und klopfte neben mich. Ich war nervös und erschöpft zugleich. Ich hatte noch mit keinem Jungen, außer Liam, in einem Bett geschlafen. Und Kyle war zu dem halbnackt. Er legte sich langsam zu mir und nahm ein letztes Mal mein Gesicht in seine Hände, bevor er mir einen Kuss auf die Stirn drückte. „Schlaf gut."

Und tatsächlich schlief ich in dieser Nacht durch. Ich wurde von keinen Alpträumen heimgesucht und keinerlei Angst durchflutete mich. Ich spürte eine Wärme, die ich lange nicht mehr gespürt hatte, und ein wohliges Gefühl legte sich um mein Herz.

Liebes Tagebuch || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt