1

400 15 0
                                    

POV Helena

Gedankenverloren starrte ich aus dem Fenster meiner Zugkabine. Weite Wiesen, winzige Dörfer und kleine Wälder zogen an mir vorbei und die untergehende Sonne lies ihre letzten Strahlen über den Himmel gleiten, um einer sternenklaren Nacht Platz zu machen. Die ersten Rehe begannen über die Wiesen zu tollen und ein letzter einsamer Bauer begab sich auf den Heimweg.

Ich beneidete ihn ein wenig um sein weiches und warmes Bett, welches bestimmt schon auf ihn wartetet. Gerade würde ich vieles hergeben um nicht in den unbequemen Sitzen der Bahn übernachten zu müssen. Und nein, ich war wirklich nicht der Typ Mensch der über all gut schlafen konnte und ich war mit sicher, dass mir eine lange Nacht bevorstand. Wie war ich nur wieder auf die Schnapsidee gekommen einen Nachtzug an die Nordsee zu nehmen? Nichtmal eine der Schlafkabinen hatte ich mir reserviert.

Kurz schloss ich die Augen und versuchte nicht an all das zu denken, was mir diese Nacht und die nächste Zeit bevorstehen würde. Stattdessen wanderten meine Gedanken in die Vergangenheit. Bis vor ein paar Wochen war ich noch Schülerin in einem Internat gewesen und hatte alle Hand um die Ohren gehabt. Es war zwar eine Mädchenschule, aber davon ließen sich viele Täuschen. Für einen Scherz war uns nichts zu schade gewesen und wirklich friedliche Nächte hatte ich auch dort selten erlebt.

Jetzt hatte ich allerdings mein Abitur hinter mir und stand mit einem Bein im Erwachsenen Leben. Das andere hing noch irgendwo zwischen Schule und Verzweiflung. Meine Eltern waren beide geschäftlich viel unterwegs und wollten nicht, dass ich mit meinen 17 Jahren schon ganz allein in die weite Welt hinaus spaziere. Sie wollten mich beide irgendwo warm und weich eingewickelt und sicher wissen. Ohne, dass ich auch nur etwas selbst entscheiden und mich dadurch in Gefahr bringen könnte. Alleine in meinem Elternhaus wohnen käme da schonmal garnicht in Frage. Naja. Wirklich zuhause war ich dort auch nicht.

Meine Vater verklickerte mir noch am Abend der Abitur Feier, dass ich das nächste Jahr ja nun ein Praktikum in einer Seehund Station an der Nordsee machen solle und sie schon alles für mich vorbereitet hätten. Wieder Zuhause einziehen würde sich da ja wirklich nicht lohnen. Die Leute wären auch super nett und Mum kenne sie noch von früher.

Auch wenn das wohl nicht allzu nett klingen mag sind meine Eltern eigentlich ganz in Ordnung. Sie haben mich, in meiner Schulzeit, oft besucht und Weihnachten haben sie sogar ein paar Wochen Zeit für mich gefunden. Aber dennoch würde ich es selbst nicht so machen. Kinder oder Karriere. Beides zusammen ist nie so wie du es dir vorstellst. Das ist und bleibt meine Meinung.

Langsam öffnete ich meine Augen wieder und blickte zum Himmel, der mittlerweile nur noch leicht orange war. Ich wusste noch immer nicht, wie ich dieses Praktikum finden sollte. Ich hoffte einfach nur, dass es mir Spaß machen würde.

Das gleichmäßige Tuckern der Regionalbahn wirkte nun doch einschläfernd auf mich. Ich lehnte mich langsam in meinem Sitz zurück und betrachtete die Person, die mir gegenüber, mit geschlossen Augen und einem zufriedenen Lächeln, saß. Es war eine alte Dame mit welcher ich kurz zuvor noch einen angeregten Smalltalk geführt hatte. Sie war ebenso wie ich auf dem Weg zur Nordsee.

Ihr Sohn wohnte dort und zum 50. Geburtstag wollte sie ihn und seine Frau besuchen. Er war wohl wegen seiner Arbeit selten bei ihr gewesen und seit dem Tod ihres Mannes war sie oft allein. Deshalb nutzte sie die Gelegenheit, ihren Sohn mal wieder unter einem guten Vorwand zu besuchen, nur zu gerne. Ich musste lächeln, als ich daran dachte wie sie mir von ihrem Mann erzählt hatte und gar nicht mehr mit den schwärmen aufhören wollte. Umso trauriger wurde es, als sie mir von dessen Tod erzählte und wie sehr sie sich freute ihn einmal wiederzusehen.

Die Vorstellung an ein Leben nach dem Tod, von dem sie so begeistert erzählte, lies mich eher Unruhe empfinden. Der Gedanke daran, dass der Tod vielleicht nicht das Ende sein könnte und dass es da noch so viel mehr gab von dem niemand wusste, machte mir Angst. Ich hatte schon viele Verschwörungstheorien gehört, und mich eher von diesen distanziert. Ich lebte im Hier und Jetzt, und das genügte mir erstmal.

Sie hatte auch von Jesus erzählt, den sie auch so gerne Live und in Farbe im Himmel sehen wollte. Seine Liebe wäre ja so wunderbar.
Viel anfangen konnte ich mit diesen abstrakten Vorstellungen allerdings nicht.

Zu meiner Verwunderung lies der Gedanke an eine ewige Zukunft mit einer Person, die ich liebte dennoch ein warmes Gefühl in mir aufsteigen und umso mehr wünschte ich diesen Menschen gerade neben mich. Mit einem Schmunzeln im Gesicht lehnte ich mich gegen die Kopflehne meines Sitzes und schloss die Augen. Nach wenigen Minuten, in denen meine Gedanken sich um diese eine Person drehten, war ich eingeschlafen.

Never. Ever.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt