Er und sein Haus

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Das Haus stand an einer alten Asphaltstraße, die von der Kleinstadt am See, zu der Ortschaft hinter dem Wald führte. Im Umkreis von einem Kilometer gab es keine anderen Häuser, nur endlosen Wald. Das Haus hatte dem Verfall in den letzten zwanzig Jahren verbissen getrotzt, allerdings begann sich die Natur langsam ihr Land zurückzunehmen. Die hölzernen Fensterläden waren leicht vermodert, Efeu kroch an unzähligen Stellen empor und die kaminroten Dachschindeln lösten sich vereinzelt ab. Auch die goldgelbe Fassade, welche dicke Schlieren an den Rändern der Fensterbretter aufwies, begann abzubröckeln.

Der große Vorgarten war ein wenig verwildert und der einst prächtige Eichenbaum krümmte sich unter seinem eigenen Gewicht. Zwischen den hohen Grashalmen kämpften sich Löwenzahn und seinesgleichen ans Tageslicht. Eigentlich bot das Haus keinen schönen Anblick mehr, allerdings störte ihn das nicht. Er hatte das Haus damals billig gekauft, als er nach einem ruhigen Ort gesucht hatte, da ihm der konstante Stadtlärm auf Dauer den letzten Nerv raubte.

Der vorherige Besitzer war in einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen, aber das war seine eigene Schuld gewesen. Zumindest war das seine Meinung, denn man hatte ihm damals erzählt, dass sein Vorgänger in einer regnerischen Nacht betrunken nach Hause gefahren war. Anscheinend ist er von der Straße abgekommen und hat dann die große Esche am Bach gerammt. Erst drei Tage später hatte man ihn gefunden. Das Tragische daran war, dass er nicht gleich beim Aufprall getötet wurde, was man bei seiner Obduktion herausgefunden hatte. Stattdessen ist er vier Stunden in seinem Auto eingeklemmt gewesen, bis ihn der Blutverlust letztendlich dahingerafft hatte. Aber davon hatte er wahrscheinlich ohnehin nichts mehr mitbekommen. Immerhin hatte er drei Promille im Blut gehabt.

Seine Frau wollte daraufhin nicht mehr alleine in dem Haus leben, weshalb sie es ihm zu einem Spottpreis verkauft hatte. Seit dem lebte er dort und mittlerweile hatte er sich an das Haus gewöhnt. Das Einzige was ihn störte, war die extreme Abgeschiedenheit. Natürlich, Abgeschiedenheit bedeutete Ruhe, aber manchmal bereiteten ihm der dunkle Wald und die seltsamen Geräusche Unbehagen. Glücklicherweise, hatte die Frau darauf verzichtet, die Flinte ihres verstorbenen Mannes mitzunehmen. Im Keller hatte er dazu noch ein wenig Munition gefunden. Die Flinte war nicht angemeldet gewesen und er hatte auch nicht vor sie anzumelden. Man hätte sie ihm weggenommen und sie gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. Ein Gefühl das er nicht verlieren wollte. Aus diesem Grund bewahrte er sie in dem Schrank links von der Eingangstür auf, denn er wollte sie immer griffbereit haben, wenn er einmal raus musste.

Direkt neben dem Vorraum befand sich die Küche, sein Lieblingsort, in der er sich gerade aufhielt. Er hatte sie fast gänzlich im Originalzustand gelassen. Alle Anrichten und Wandschränke waren aus dunklem Nussbaumholz gefertigt und besaßen ein eigenes Flair. Dazu kamen ein Holztisch, eine Holzbank und vier Holzstühle. Selbst beim Verfliesen hatte er darauf geachtet, dass der beige Farbton gut mit dem dunkelbraunen Holz, das überall zu finden war, gut harmonierte. Einzig und allein der neuartige, silberne Kühlschrank wollte nicht ins Raumbild passen.

Fein säuberlich trennte er das Fleisch von dem Oberschenkelknochen, wie man es ihm damals in der Fleischerei beigebracht hatte. Am Griff seines Messers befand sich die Gravierung „deutscher Stahl" und er musste zugeben, dass es ein gutes Messer war. Bis jetzt hatte er es noch kein einziges Mal schleifen müssen und er hatte es immerhin letztes Jahr zu Weihnachten von seiner Schwester bekommen. Draußen fegte ein Sturm über die Landschaft und brachte den Wald zum Ächzen. Der leichte Nieselregen hielt schon seit zwei Tagen an und schien demnächst auch nicht aufhören zu wollen. Die Temperatur hatte sich ebenfalls schon der Herbstzeit angepasst, in dem sie innerhalb von zehn Tagen um ganze achteinhalb Grad gefallen war. Ihm war bewusst, dass das Wetter noch schlechter werden würde, das war für diese Gegend üblich.

Mit einer flüssigen Bewegung trennte er das saftige Fleisch von dem Rest und legte es zu den anderen Stücken in das Plastikgeschirr. Behutsam verschloss er die Box mit dem grünen Plastikdeckel. Daraufhin wandte er sich um und ging mit der Plastikbox in das Nebenzimmer, welches als seine Vorratskammer diente. Auf der Tür hing ein hölzernes Schild aus ausnahmsweise hellem Kiefernholz, in das er das Wort „Vorratskammer" eingebrannt hatte. Als er den Raum betrat, stellten sich seine Haare leicht auf, da ihm ein Kälteschwall entgegenkam. Hörbar sog er die kühle Luft ein.

Das abgrundtief BöseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt