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~2. Mindestlohn für Latein~

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Ich ließ meinen Schlüssel auf unsere Kommode direkt neben der Eingangstür fallen.

„Bin da!", schrie ich in die dunkle Wohnung. Normalerweise hatte meine Mutter heute frei und wir hätten zusammen die Einkäufe erledigt. Doch ich ahnte, spätestens als ich die leisen Schluchzer gedämpft durch die Küchentür wahrnahm, dass heute etwas nicht stimmte. Ich schritt den Flur entlang und öffnete leise die Küchentür.

 „Mom?" Meine Stimme hallte in der kalten Küche wieder.

Sie saß zusammengesunken über dem Essenstisch und fuhr sich durch ihre schwarzen Haare. Ich bemerkte die glitzernden Umrisse unter ihren Augen und ich machte mir sofort Sorgen. „Was ist denn los?"

„Ich schaffe das nicht mehr alles. Ich muss die ganze Buchhaltung machen und extra noch sechs Wohnungen zweimal pro Woche reinigen." Ihre durchdringenden braunen Augen schauten in meine. Was sollte ich darauf jetzt antworten? Ich war überfordert mit der Situation, wann hatte ich das letzte Mal meine Mutter weinen gesehen? Als mein Opa gestorben war?

Deswegen erwiderte ich nur stockend: „Ähm...ok. Dann stell doch noch eine Aushilfskraft ein?"

„Das kann ich nicht finanzieren mit dem jetzt gesetzlichen Mindestlohn." Sie seufzte wieder und sank gegen die Stuhllehne.

Es entstand eine unangenehme Stille zwischen uns, in der ich fieberhaft probierte eine Lösung für dieses Problem zu finden. Warum bereitete der Unterricht einen nicht auf solche Probleme vor sondern auf unrealistische, ausgedachte Szenarien? Ich hätte den Kosinussatz herleiten oder die Frequenz eines Uhrenpendels ausrechnen können, aber was nützte mir das jetzt?- Nichts.

Plötzlich zuckte meine Mutter auf und schaute mich mit großen Augen an. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Was? Du machst mir Angst", sagte ich nervös.

„Du hast doch vor nach deinem Abitur für ein halbes Jahr nach Amerika zu gehen, oder?"

Die Frage blieb unbeantwortet im Raum stehen. In meinem Kopf probierte ich den Impuls, welchen mir meine Mom gegeben hatte, weiterzudenken. Auch ich verstand ihren Vorschlag letztendlich.

„Nein. Vergiss es. Ich bekomme das Geld dafür schon noch anders zusammen", bestritt ich alles. Doch meine Mutter schaute mich flehend an. Die Szene hinterließ in mir ein erschütterndes Bild, meine Mutter mit strähnigem Haar und blasser Haut. Sie sah fertig aus. Wie konnte ich verantworten, dass sie sich wegen mir so fühlte? Ich knickte ein.

„Na schön, aber ich kann nicht alle deine Schichten übernehmen. Und auch nur, wenn meine schulischen Leistungen nicht darunter leiden! In die Buchhaltung will ich nicht, ich sehe bei deinen Abrechnungen nicht mehr durch", setzte ich letztendlich nach.

Meine Mutter sprang auf und nahm mich in die Arme. „Danke Schatz! Ich gebe dir die zwei einfachsten Kunden. Du warst ja schon oft genug als Kind bei meinen Schichten dabei, deshalb denke ich, du weißt, worauf du achten musst?" Ich nickte nur benommen. Hatte ich gerade zugestimmt in der Firma meiner Mutter zu arbeiten? Wenn sich in der Schule herum sprach, dass ich putzte! Aber eigentlich war es ja auch egal. Immerhin ging es hier um meine Mutter und sie war die einzige Person, die mich so akzeptierte, wie ich war.

Seufzend ließ mich meine Mutter wieder los. „ Ich bin froh, dass ich dich habe", flüsterte meine Mom leise vor sich her. Ohne ein weiteres Wort ging ich danach in mein Zimmer. Ich schrieb direkt Jenny, Emily und Zoe die unerfreuliche Neuigkeit.

Alle drei reagierten bestürzt und sprachen mir ihr Beileid aus. Für sie war einfach der Gedanke komplett abwegig, dass man mit sechzehn arbeiten gehen musste.

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Wie ich den Lateinunterricht an meiner Schule hasste. Langweilig und sinnlos waren die zwei Worte, die mir dazu als erstes am nächsten Morgen einfielen.

Clean up for me, genius!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt