Kapitel 15

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Blutrote Tränen begannen meine Wangen herunter zu laufen. Ich war schutzlos. Es kam mir vor als wäre ich blind. Außer schwarzen Schatten konnte ich kaum etwas erkennen. Meine Ohren hörten nichts mehr. Es war so still. So still. Mich hatte noch nie in meinem ganzen Leben solche Stille umfangen. Immer hatte ich irgendetwas gehört. Den Wind in den Bäumen. Das Meer. Das Rascheln kleiner Tiere. Das Trippeln winziger Pfoten auf dem Erdboden. Das Summen fliegender Insekten. Den Atem der Tiere. Fallendes Laub. Das leise Plätschern eines Baches. Ich hatte mich immer darauf verlassen können. Mein Leben lang war es so gewesen, ich kannte nichts anderes.

Und riechen. Ich konnte kaum noch etwas riechen. Weder den entfernten Salzgeruch des Meeres, noch den Duft von Moos. Oder der Tiere. Der Blätter und Bäume. Des Erdbodens. Den frischen Tau. Den intensiven Geruch der Kiefernnadeln. Harz, das an manchen Bäumen klebt. Ich roch nur noch ein stumpfes Gemisch aus den intensivsten Gerüchen des Waldes.

Ging es Menschen etwa immer so? Wie konnten sie so nur leben? Wie konnten sie so überleben?

Ich fühlte mich schrecklich. Ich sackte zusammen und schlug meine Hände vors Gesicht. Ich fühlte mich als wäre ich von Wasser umgeben. Von schmutzigem Wasser. Nichts sehen. Nichts hören. Nichts riechen. Nichts fühlen. Den Schmerz in meiner Schulter spürte ich nicht mehr. Doch der seelische Schmerz in mir war viel schlimmer. Mein Herz krampfte sich zusammen. Als hätte jemand ein Messer hineingerammt.

Ich atmete einmal tief ein und wieder aus. Ich durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Jetzt erst recht nicht. Tief einatmen. Und wieder aus. Ein. Aus. Ich dachte an Dinge, die mich beruhigten. Leichte Wellen auf dem Meer. Die Insel, auf die ich mal geflogen war. Es kam mir vor als wäre es eine Ewigkeit her. Und dann dachte ich an diese blauen Augen. Diese wunderschönen, tiefen, sanften blauen Augen. Vorsichtig löste ich die Hände von meinem Gesicht. Ich zuckte zusammen als ich erneut merkte, wie wenig ich erkennen konnte. Aber ich musste die Situation nutzen. Ob ich nun feinfühlig genug war, die Kugel herauszuschneiden, oder nicht, wusste ich nicht. Ich hoffte es. Mit zitternden Fingern griff ich nach dem Messer. Da kam mir eine Idee. Wenn ich jetzt ungefähr die Sinne eines Menschen hatte, konnte ich auch ihre Hilfsmittel verwenden. Ich ging langsam zurück zum Lager der Wanderer. Ich traute meinen Beinen meine normale Geschwindigkeit nicht zu. Vorsichtig durchsuchte ich die Taschen erneut. Ich fand einen länglichen Gegenstand. Ich drückte auf einen Knopf an der Seite und plötzlich wurde ich von hellem Licht geblendet. Ich schrie kurz auf und hielt meine Augen zu. Der Gegenstand fiel auf den Boden und das Licht mit ihm. Ich blinzelte mehrmals und sah genauer hin. Nur an der einen Seite kam das Licht raus. Ich glaube die Menschen nannten dieses Ding Taschenlampe, ich war mir aber nicht sicher. Ich hatte soetwas nie gebraucht. Bei dem Gedanken musste ich eine erneute Panikwelle, die mich zu überrumpeln drohte, zurückdrängen. Ich legte die Lampe oben auf einen Rucksack und setzte mich davor. So schien das Licht genau auf meine Schulter. Ich umklammerte den Griff des Messers stärker. Dann biss ich die Zähne zusammen und stach in die Wunde. Das Ausbleiben des Schmerzes war überraschend und angenehm.

Ich wusste nicht wie, zumal ich durch das ganze Blut kaum etwas sehen konnte, aber irgendwann hatte ich es geschafft. Die kleine silbrige Kugel fiel mit einem leisen Platschen in die Blutpfütze, die sich auf dem Boden gebildet hatte. Ich hörte es kaum. Die Traurigkeit kam erneut in mir hoch. Wie lange würde diese Hölle noch anhalten? Erneut wurde ein Messer in mein Herz gerammt. Es tat so furchtbar weh, mich nicht mehr auf meine Sinne verlassen zu können. Vielleicht sollte ich einfach hier warten, bis es vorbei war. Was sollte ich schon tun? Ich konnte kaum sehen, hören riechen. Und ich konnte wahrscheinlich auch nicht rennen. Meine Beine fühlten sich genauso taub an wie der Rest meines Körpers. Und plötzlich hörte ich trotz meiner schlechten Ohren draußen das Quietschen von Rädern. Die Verstärkung der Polizei war angekommen.

So, hab mich beeilt.
Hoffe es gefällt euch. ;)
Frohe Weihnachten!!!!!!

TodesengelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt