- Bonnie
"Das Schlimmste waren die Fotos, ihr Gesicht zu sehen. Ich konnte einfach nicht cool bleiben.", sagte Bonnie am nächsten Morgen, als sie zurück im Internat waren. In der Nacht hatten sie sich nicht mehr austauschen können, sie wurden alle zurück auf ihre Zimmer begleitet. Nach dem Verhör hatten sie noch ihre Fingerabdrücke abgeben und ihre Aussagen unterzeichnen müssen. "Dieser Darlowa ist ein richtiges Arschloch, der denkt hundertprozentig dass wir Carrie was angetan haben.", sagte Anne. Catherine ging unruhig im Zimmer auf und ab und trommelte mit ihren Fingern auf ihren Oberschenkeln rum. "Kannst du das mal lassen? Du machst mich wahnsinnig.", keifte Bonnie sie an. Abrupt blieb Catherine stehen und stemmte die Hände in die Hüften. "Die werden bald merken, dass Carrie nicht abgehauen ist, das passt alles gar nicht zusammen. Jetzt haben sie uns, ist euch das eigentlich klar?", sagte sie mit bebender Stimme. Kurze Zeit war es still im Zimmer. "Was sollen wir tun? Die Wahrheit sagen? Mit einem Geständnis kommen wir vielleicht nochmal ohne Strafe davon. Von der Schule fliegen wir sowieso, dafür ist jetzt eh alles zu spät.", sagte Victoria. "Die Wahrheit wird uns nichts nützen, nach den Lügen glauben sie uns das nicht. Willst du denen erzählen, dass du Carrie nach dieser Aktion durch den Wald gejagt hast und nicht daran gedacht hast, dass in der Nähe eine Schlucht ist, obwohl du seit sechs Jahren hier zur Schule gehst?", schrie Catherine sie an. Dass sie so panisch war versetzte auch die anderen in Panik, da Catherine sonst am souveränsten von ihnen war. "Hätten wir doch bloß nicht gekifft, so eine Scheiße.", fluchte Victoria und schlug mit der Faust dumpf auf die Matratze, auf der sie saß. "Die ganze Schule redet schon über uns, Betty Langdon und ihre Clique haben uns heute Morgen beim Frühstück die ganze Zeit angestarrt. Ich wette selbst die Lehrer trauen uns nicht. Dieser Hohlkopf von Kommissar wird sich daraus eine Story machen, die uns zumindest eine Jugendstrafe einbringt, die uns für den Rest unseres Lebens hinterher hängen wird. Der mag uns nicht, das hat man gesehen.", sagte Catherine. "Wenn wir doch nur wüssten, wo Carrie ist.", murmelte Bonnie. "Das ist unser nächstes Problem. Sie ist nicht aufgestanden und hat Hilfe gesucht und zwar weil sie tot war. Irgendjemand hat ihre Leiche verschwinden lassen und dieser Jemand hängt da im Grunde genau so drin, nur dass ihn keiner Verdächtigt.", sagte Riley. "Ich glaube, wir haben nur eine Möglichkeit, wenn wir aus der Sache heil rauskommen wollen. Wir müssen untertauchen.", sagte Catherine und verschränkte die Arme. "Was? Damit machen wir uns doch erst Recht verdächtig!", protestierte Anne. "Die glauben doch sowieso schon dass wir ihr was angetan haben!", schrie Catherine. "Genau genommen sind wir ja auch Schuld.", sagte Bonnie bestimmt. Die Fotos, die ihnen der Kommissar vorgelegt hatte, hatten ihr schlechtes Gewissen erneut voll aktiviert. "Wir wollten natürlich nie, dass ihr etwas passiert, aber ohne uns wäre sie die Klippe nicht heruntergefallen. Und dann haben wir auch noch ihre Leiche versteckt, das können wir niemals jemandem erklären. Wenn wir nicht ins Gefängnis kommen, dann kommen wir in die Klapsmühle." In dem Moment begann ihr Handy zu klingeln, zum achten Mal an diesem Tag. Es war ihre Mutter. "Willst du da nicht endlich mal rangehen? Wir müssen alle unsere Eltern belügen, aber sie zu ignorieren bringt dir auch nichts.", seufzte Anne sichtlich genervt. Bonnie stöhnte und verzog sich zum telefonieren ins Badezimmer. Ihre Mutter war schon immer eine sehr hysterische Person, das konnte kein angenehmes Gespräch werden. "Bonnie, endlich erreiche ich dich mal! Diese Sekretärin von deiner Schule hat gesagt, dass du von der Polizei verhaftet wurdest! Was um Gottes Willen ist da los?", zeterte sie aus dem Lautsprecher heraus. "Mum, beruhige dich. Wir haben nichts gemacht." Bonnie versuchte, gelassen zu klingen. "Beruhigen? Wenn meine Tochter von der Polizei mitgenommen wird? Ich will jetzt sofort wissen, was sie dir vorwerfen. Dein Vater kümmert sich um einen Anwalt.", kam es aus dem Handy. "An meiner Schule wird ein Mädchen vermisst, du kennst sie nicht, es ist keine Freundin von mir. Aber die Mädchen und ich sind die letzten, die sie vor ihrem Verschwinden gesehen haben, deshalb hat die Polizei ständig Fragen an uns. Wir wissen aber nicht, wo sie ist.", erklärte Bonnie. "Das ist diese Carrie oder? Die mit dem Stipendium? Mir war gleich klar, dass man solche Leute nicht an einer Eliteschule aufnehmen sollte, die haben nichts als Rebellion und Unsinn im Kopf weil sie es nicht anders kennen von Zuhause.", sagte ihre Mutter. "Das ist doch egal Mum, jedenfalls ist sie weg und wir glauben, dass sie abgehauen ist. Als wir sie zuletzt gesehen haben, war alles gut. Aber die Polizei denkt an ein Verbrechen.", sagte Bonnie. "Die werden sich wundern, wenn ihnen einfallen sollte, meine Tochter eines Verbrechens zu beschuldigen. Die wissen doch, wer wir sind." Bonnie seufzte. Ihr war klar, dass sie verwöhnt war, jedoch war sie nicht so naiv wie ihre Mutter und glaubte, nur weil ihr Vater ein hoher Abgeordneter war, stünden sie außerhalb des Gesetzes. Am liebsten hätte sie geweint und ihrer Mutter erzählt, dass sie Angst hatte, jedoch war ihre Mutter dann diejenige, die in solchen Situationen die Fassung verlor. Helen Marol hatte eine Reihe von Ängsten, wie der Angst vor Krankheiten und ihrem damit einhergehenden Zwang, stets alles zu desinfizieren, was sie anfasste. Wenn ihre einzige Tochter in Schwierigkeiten steckte, würde sie das dermaßen in Panik verfallen lassen, dass Bonnie am Ende eher sie trösten müsste, als umgekehrt. "Du verschweigst uns doch nichts oder?", hakte ihre Mutter auf einmal nach. "Was? Nein!", rief Bonnie wütend. "Du klingst schon genau so wie dieser blöde Polizeiinspektor." "Tut mir leid, Schätzchen. Ich weiß doch, dass du keine bösen Sachen machst, aber ich mache mir Sorgen.", sagte ihre Mutter. Böse Sachen, das war so ein Ausdruck, den sie für alles mögliche benutzte, was ihrer Meinung nach ihre Tochter in Gefahr bringen könnte; wie schlechte Noten schreiben, Alkohol, Abends allein und ohne Sicherheitspersonal draußen herumlaufen und vor allem Jungs. Das war wohl auch einer der Gründe, warum sie fand, dass ein Mädcheninternat das Beste für Bonnie sei. "Die können uns doch sowieso nichts, da brauchst du dir gar keine Gedanken machen.", erwiderte diese, obwohl sie eigentlich ganz anders dachte. Sie rechnete sogar damit, dass jeden Moment wieder Polizisten an der Woodham auftauchen würden und sie mitnehmen konnten. Denn sie hatte ihr etwas zu verheimlichen, sie alle hatten das. "Meine Bonnie, du bist sicherlich traumatisiert von der Festnahme gestern. Ich finde es unmöglich, dass sie da einfach so bei euch auftauchen und minderjährige Mädchen mitnehmen, vor Augen aller anderen! Darüber werde ich mit eurer Schulleitung noch ein ernstes Wort reden, schließlich bezahlt man die ja für eure Sicherheit.", sagte Mrs. Marol. "Ja gut, Mum. Ich melde mich, wenn es etwas Neues gibt, ja?", sagte Bonnie, die keine Lust hatte mit ihrer Mutter darüber zu diskutieren, dass es sinnlos war, der Schule Vorwürfe zu machen. "Mach das mein Liebling, und lass dich bloß nicht davon in der Schule runterziehen, das ist es nicht wert.", sagte diese und sie verabschiedeten sich. Das war immer noch besser verlaufen, als Bonnie befürchtet hatte. Sie schaute noch kurz in den Spiegel und verließ dann das Badezimmer.
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Der schöne Schein
HorrorDie fünf Freundinnen Victoria, Catherine, Anne, Bonnie und Riley haben das Privileg, auf Englands beste Privatschule für Mädchen gehen zu dürfen: die Woodham School. Im letzten Schuljahr nimmt die Schule zum ersten Mal Stipendiatin auf, die siebzehn...