6. Polizeirevier

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- Victoria 

Normalerweise fand an der Woodham jeden Samstag Abend eine kleine Party statt, insofern man es Party nennen konnte. Es war allerdings die einzige Art der Vergnügung in diesem Sinne, die den Schülerinnen erlaubt war. In dem Teil der Schule, der als Internat diente, gab es auf dem Dachboden einen Raum mit einem Billardtisch, einem Kicker, einer Musikanlage und einer kleinen Bar, in der es selbstverständlich nur alkoholfreie Getränke gab, in dem die Mädchen feiern durften. Jede Woche war ein anderer Jahrgang für die Auswahl der Musik und der Besetzung der Bar zuständig, angefangen bei den Jüngsten. Dies war natürlich nicht die Art von Party, die andere Jugendliche in Großbritannien feierten, aber wenn man auf eine Eliteschule ging, musste man sich damit zufrieden geben. Eigentlich waren diese Abende immer sehr lustig, auch wenn sie nur bis Mitternacht dauerten, doch an diesem Wochenende fiel die Party aus, da Carrie Rawlins immer noch vermisst wurde. Die fünf Freundinnen hatten vor, sich am Abend trotzdem dort zu treffen, auch wenn die Musikanlage und die Bar gesperrt waren. Das Dachzimmer war gemütlich viktorianisch eingerichtet, mit vielen Pflanzen und Postern zur Dekoration, die es mehr nach einem Raum für Jugendliche aussehen ließen. "Das war nicht der Start ins Schuljahr, den ich mir vorgestellt hatte.", seufzte Bonnie, als sie als letzte zu der Runde stieß. Die Freundinnen saßen abseits von ein paar weiteren Mädchen auf einem Ledersofa und dazu passenden Ohrensesseln. Draußen regnete es und war merklich kühler geworden, als noch vor ein paar Tagen. "Ganz und gar nicht. Auch wenn sich die Aufregung etwas gelegt hat, ist es noch nicht vorbei. Wir dürfen nicht aufhören, wachsam zu sein.", sagte Anne. "Ich wünschte, dass diese Scheiße nie passiert wäre. Wir hätten so ein tolles Jahr haben können.", meinte Victoria und fuhr sich durch die blonden Haare. "Das werden wir auch, okay? Wir waren nur dabei, als Carrie gestorben ist und sind nicht daran Schuld, genauso wenig wie daran, dass sie jetzt weg ist. Aber sie ist es nun mal und wir dürfen uns davon nicht unser ganzes Leben kaputt machen lassen, sonst hätten wir auch gleich zur Polizei gehen können. Ab jetzt sind wir genau so ahnungslos wie alle anderen, aber wir konzentrieren uns auf unseren Abschluss und darauf, unser Leben zu leben.", sagte Catherine eindringlich. Was sie sagte war vollkommen richtig, sie sollten sich auf ihre Karriere konzentrieren und ein Niemand wie Carrie Rawlins durfte ihnen das nicht kaputt machen. "Ja du hast Recht. Es ist schlimm was passiert ist, aber es passieren viele schlimme Dinge jeden Tag, wir müssen an unsere Familien und unsere Zukunft denken.", stimmte Victoria ihr zu. "Wenn ich mit meinem Studium fertig bin, will ich mir ein Haus an der Küste kaufen und dann als Anwältin mein Geld verdienen.", überlegte Anne. "Wenn ich fertig bin, werde ich eine Weltreise machen, das Okay von meinen Eltern habe ich schon. Diesen Traum will ich mir unbedingt erfüllen, bevor ich anfange zu arbeiten.", sagte Bonnie. "Ich werde auf jeden Fall Musik studieren und mal schauen, wo es mich dann hin verschlägt. Ich glaube nicht, dass ich in England bleibe.", sagte Riley. "Nach diesem letzten Jahr an der Woodham werde ich nach London zum studieren gehen, irgendetwas mit Kunst auf jeden Fall. Und vorher frage ich Harry, ob er mit mir kommt. Schließlich ist er dann nicht mehr mein Lehrer.", sagte Catherine grinsend. "Du glaubst, das würde er tun? Das klingt ja, als wärst du wirklich verliebt in ihn.", sagte Riley und stieß sie mit dem Ellbogen an. "Wieso überrascht dich das? Traust du mir solche Gefühle etwa nicht zu?", fragte Catherine gehässig und stieß zurück, woraufhin sie alle lachten. "Immerhin klingen deine Pläne schön, außerdem glaube ich wirklich, dass er auf dich steht.", sagte Victoria ernster. "Wenn es nach meinem Dad geht, werde ich irgendwann seine Firma übernehmen und deswegen Wirtschaft studieren. Er setzt alle Hoffnungen in mich und erzählt seinen Freunden schon, dass seine Tochter in ein paar Jahren in sein Unternehmen einsteigen wird." "Das setzt dich unter Druck oder? Weil du eigentlich lieber was anderes machen willst.", sagte Bonnie. Victoria nickte. Ihr Vater führte eine Firma, die er selbst aufgebaut hatte und die sich mit der Herstellung von hochwertigen Teppichen befasste. Sie wusste, was dies für eine gigantische Verantwortung war und selbstverständlich träumte sie davon, später selbst genau so viel Geld wie ihr Vater zu verdienen, aber es machte ihr auch Angst. Ihr Vater konnte sehr streng und perfektionistisch sein, daher musste sie sich immer genau an seine Vorgaben halten. Wenn sie daran dachte, als Juniorchefin in einem eigenen Büro zu sitzen, wo sie jedoch nichts ohne den Segen ihres Vaters entscheiden durfte, träumte sie eher davon, eine eigene Firma zu gründen und eventuell etwas mit Mode zu machen. "Ich würde halt gerne Design oder sowas studieren, irgendwas cooles und kreatives.", sagte sie. Bevor eine der anderen etwas darauf erwidern konnte, näherte sich Mrs. Carlsen der Gruppe. Victoria sah auf ihre Uhr, es war viertel nach neun. Was wollte sie um diese Zeit von ihnen? Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, konnte es nichts erfreuliches sein. "Guten Abend die Damen, es tut mir leid, dass ich Sie um diese Zeit stören muss, aber die Polizei ist gerade hier und es gibt wohl einige Ungereimtheiten in Ihren Aussagen.", sagte die Sekretärin mit strengem Gesichtsausdruck, hinter dem sich eine Spur Besorgnis verbarg. Die Mädchen sahen sich an und Victoria rutschte das Herz in die Hose. Ungereimtheiten in ihren Aussagen? Sie dachte, sie hätten alle das Gleiche erzählt. "Folgen Sie mir bitte.", sagte Mrs. Carlsen, als keine von ihnen etwas sagte und drehte sich um. Zögerlich standen die Mädchen auf und folgten ihr unter den Blicken der anderen. Tausend Gedanken schossen Victoria durch den Kopf und wenn sie in die Gesichter der anderen sah, schien es ihnen ähnlich zu gehen. Sie gingen hinunter in die Eingangshalle, wo zwei Polizisten auf sie warteten. Einer davon war der Mann, der auch bei ihrer Befragung dabei gewesen war. Der andere war ein großer bärtiger Mann mit tiefen Augenringen. "Guten Abend. Ich muss Sie leider bitten, uns auf die Polizeiwache zu begleiten, Sie alle.", sagte der Bärtige und auch in Mrs. Carlsens Gesicht entgleitet alles. "Was? Wieso?" "Was haben wir getan?" "Sie können uns nicht so einfach mitnehmen!" Die Mädchen riefen alle durcheinander, so schockiert waren sie über seine Aussage. "Darf ich erfahren, was den Mädchen vorgeworfen wird?", fragte Mrs. Carlsen und trat einen Schritt auf die Beamten zu. Es schien ihr ganz und gar nicht zu gefallen, dass sie ihre Schülerinnen mitnehmen wollten. "Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, jedoch haben wir hierfür eine offizielle Erlaubnis. Es gibt konkrete Beweise, dass zumindest einige dieser Mädchen die Vermisste noch später gesehen haben, als sie uns erzählt haben.", sagte der andere Polizist. Hilfesuchend sah Victoria Mrs. Carlsen an, die nur mit offenem Mund da stand. "Das können die doch nicht machen, oder?", fragte sie. Mrs. Carlsen sagte gar nichts, dafür der Bärtige: "Es tut uns leid, aber Sie müssen uns noch einige Fragen beantworten. Wenn Sie möchten, dürfen Sie einen Anwalt kontaktieren." Verzweifelt sahen alle nun zu Catherine, deren Vater Anwalt war. Andere Anwälte kannten sie nicht, da sie ja bislang noch nie mit so etwas zu tun hatten. "Mrs. Carlsen, können Sie meinen Vater bitten, herzukommen?", fragte Catherine mit ausdrucksloser Stimme. Mrs. Carlsen nickte nur und verschwand an ihren Schreibtisch und suchte im Computer nach der Telefonnummer von Catherines Vater. Sie würde so oder so all ihre Eltern kontaktieren müssen, da war es auch egal, wenn Catherines Vater es etwas früher wusste. "Müssen wir nicht irgendwelche Sachen mitnehmen?", fragte Riley und knetete nervös ihre Hände. "Wenn alles gut geht und wir keine weiteren Beweise finden, sind Sie heute Nacht wieder in Ihren Zimmern.", sagte der Polizist. Victoria hätte am liebsten geschrien, so verzweifelt war sie. Wenn alles gut ging? Was sollte das bitte bedeuten? Einen kurzen Moment überlegte sie, einfach wegzurennen, doch sie hatten keine Wahl. Sie warf einen letzten Blick auf Mrs. Carlsen, die bereits den Telefonhörer am Ohr hatte und folgte dann mit ihren Freundinnen den Polizisten. Sie konnte sich nicht erklären, wie die Polizei an irgendwelche Beweise gekommen war. Jedoch war ihr bewusst, dass sie definitiv bei ihrer Version der Geschichte bleiben würde und sie hoffte, dass die anderen das auch tun würden. Als sie draußen auf dem Hof auf einen parkenden Bulli zugingen, warf sie einen Blick nach oben, wo sich Mädchenköpfe aus zahlreichen offenen Fenstern streckten, um zu sehen, was dort passierte. "Das ist so unfassbar demütigend.", sagte Bonnie, die die neugierigen Blicke ebenfalls bemerkt hatte. Die Polizisten sagten gar nicht, sie öffneten ihnen nur die Hintertür, sodass eine nach der anderen auf den Rücksitzen Platz nehmen konnte. Victoria wollte es nur so schnell wie möglich hinter sich bringen, erst recht, weil die anderen Schülerinnen nun vermutlich über sie tratschen würden. Schweigend saßen sie alle hinten in dem Bulli, bis sie das Polizeirevier erreicht hatten. Sie ernteten weitere neugierige Blicke, als die fünf Mädchen in ihren Designerklamotten in die Wache geführt wurden. In einem kleinen Vorraum mussten sie warten und niemand sagte ihnen, was nun als nächstes passieren würde. Nach etwa einer halben Stunde erschien ein älterer Mann, der sich als ihr Anwalt vorstellte. "Ihr Vater befindet sich momentan zu weit weg, um heute noch hier zu sein, Miss Morgan. Daher hat er mich geschickt und ich werde Sie alle nun vertreten. Ich werde nun um ein Einzelgespräch bitten und dann sagen Sie bitte nur das, was Sie vorher mit mir abgesprochen haben, in Ordnung?", sagte er und sah die Mädchen der Reihe nach an. Stummes Nicken war die Antwort. Der Mann verschwand und kam drei Minuten später wieder, woraufhin sie alle in einen Raum gingen, um mit ihm allein zu sprechen. Er stellte sich als Mr. Hargon vor und er war ein Mitarbeiter von Catherines Vater. Er hatte eine Halbglatze und kurzes Haar, das zu ergrauen begann. Auf der Nase trug er eine Lesebrille, die er nun ein Stück hochschob, um sich seine Unterlagen durchzulesen. "Nun, Sie wissen, weshalb man Sie beschuldigt?", fragte er die Mädchen. "Nein, man sagt uns ja überhaupt nichts. Und wir haben auch nichts gemacht.", antwortete Catherine sofort. Mr. Hargon klappte seine Unterlagen zu. "Die Polizei hat gestern das Handy von Carrie Rawlins gefunden, es lag kaputt in einem Mülleimer in der Nähe eurer Schule. Es ließ sich nicht mehr einschalten und die Speicherkarte fehlte, jedoch waren einige Dateien auf dem Handy selbst gespeichert und sie konnten diese Problemlos rekonstruieren." Er machte eine kurze Pause, als wolle er ihre Reaktionen abwarten. Die Freundinnen sahen sich an. Das durfte doch nicht wahr sein? Niemals hätten sie damit gerechnet, dass man das Handy trotzdem noch orten konnte und dass die Fotos nicht auf der Speicherkarte, sondern auf dem internen Speicher des Handy gesichert worden war. Victoria kniff die Lippen zusammen, sie mussten sich später darüber aufregen, falls sie überhaupt wieder nach Hause gehen durften. Jetzt musste sie Ruhe bewahren. Mr. Hargon fuhr fort: "Auf dem Handy waren drei Fotos, die Carrie selbst zeigen und vermutlich von einer von euch aufgenommen worden sind. Zumindest sieht man darauf Miss Pines und Miss Davis, das sind Sie, nicht wahr?" Anne und Victoria wechselten einen Blick und nickten. "Nun, das Foto ist am Montag Abend aufgenommen worden und in dem Bericht steht, dass Sie ausgesagt haben, Miss Rawlins zuletzt am Montag in der Schule gesehen zu haben. Deshalb hat die Polizei Fragen an Sie.", sagte Mr. Hargon. Ein paar Sekunden lang traute sich keine, etwas zu sagen, dann ergriff wieder Catherine das Wort. "Na gut, wir haben sie Abends noch gesehen und wir haben es nicht erzählt, weil es außerhalb des Schulgeländes und nach der Ausgangsperre war. Wir haben uns ausgeschlichen, weil wir das mal probieren wollten. Wir dachten, in unserem letzten Jahr müssen wir nochmal was Verrücktes machen. Keine Ahnung was Carrie da wollte. Sie hat uns heimlich beobachtet und als uns das aufgefallen ist, haben wir ihr um sie zu ärgern das Handy weg genommen und aus Spaß diese Bilder von ihr gemacht. Sie hat sich ja selber nicht an die Ausgangsperre gehalten.", sagte sie. Natürlich war das nur eine Halbwahrheit aber viellicht würde es Mr. Hargon ja genügen. Er zögerte kurz. "Aus Spaß? Ich habe diese Fotos nicht gesehen, aber das klingt für Sie nicht gut. Ich kann nachvollziehen, dass Sie nichts gesagt haben, da Sie keinen Ärger an Ihrer Schule haben wollten, aber eine Falschaussage bei der Polizei ist strafbar. Deshalb muss ich auch die ganze Wahrheit von Ihnen wissen. Was hat Miss Rawlins danach gemacht?", fragte er. Dieses Mal war es Riley, die sprach. "Sie ist abgehauen. Wir haben sie geärgert und ihr gesagt dass wir sie genau so verpetzen, wenn sie uns verpetzt. Dann haben wir ihr ihr Handy wieder gegeben und sie ist weg gelaufen. Wir wissen nicht, warum sie draußen war.", sagte sie. Das war wirklich eine gute Lüge, Victoria glaubte, dass ihr das nicht so schnell eingefallen wäre. "Und was glauben Sie, wie das Handy dann in den Mülleimer kam?", fragte Mr. Hargon. "Keine Ahnung, wir wissen ja auch nicht was Carrie vorhatte oder wo sie hin ist. Es hat uns auch nicht interessiert in dem Moment.", sagte Catherine. Mr. Hargon seufzte. "Na schön, Sie sollten der Polizei am besten genau das erzählen, was Sie mir erzählt haben. Die Wahrheit ist in dem Fall das Beste für Sie, besonders, da Sie schon gelogen haben. Ich werde eine Strafe wegen der Falschaussage abwenden können, Welche Strafe Sie an ihrer Schule bezüglich der Ausgangssperre bekommen, kann ich Ihnen jedoch nicht sagen.", sagte er und erhob sich. Victoria machte ein betretendes Gesicht, auch wenn sie insgeheim erleichtert war. Sie hatten gerade schon wieder gelogen und sie hoffte, dass niemals rauskommen würde, dass Carrie ihr Handy nicht selbst entsorgt hatte. Nach einer zweiten Lüge würde ihnen ganz sicher niemand mehr glauben. Mr. Hargon gab den Beamten ein Zeichen und sie alle folgten ihm in einen anderen Raum. Es war beruhigend, dass sie alle gemeinsam befragt wurden und nicht wieder einzeln. "Ich muss zugeben, dass die ganze Geschichte immer merkwürdiger wird.", sagte ein Polizeibeamter, als er sich ihnen gegenüber nieder ließ. "Ein junges Mädchen verschwindet und das letzte Mal, dass sie gesehen wurde, war Abends in einem Wald, in dem Sie sich alle unerlaubter Weise aufgehalten haben und Sie erzählen mir, dass Sie Miss Rawlins dort rein zufällig getroffen haben und sie sich nicht mit Ihnen gemeinsam aus der Schule geschlichen hat?" Dieser Beamte war weitaus weniger freundlich als die beiden, die sie in der Schule befragt hatten. Sein dicker Bauch spannte sich unter seinem Hemd und er hatte einen ungepflegten drei-Tage-Bart. Laut Namensschild war sein Name Darlowa. "Das ist die Wahrheit, wir hatten nie großartig was mit Carrie zu tun und wir wissen auch nicht, was sie so spät draußen gemacht hat.", sagte Catherine. "Deshalb haben Sie sie auch gegen ihren Willen fotografiert und sich einen Spaß daraus gemacht." Darlowa zog die buschigen Augenbrauen nach oben. "Meine Mandantinnen bereuen inzwischen, dass sie Miss Rawlins auf diese Art getriezt haben.", drängte sich Mr. Hargon dazwischen. "Ich bitte Sie Officer, so etwas ist gemein, aber leider normal an einer Schule. Eine Straftat begehen sie damit nicht." Darlowa kratzte sich an seinem stoppeligen Kinn. "Trotzdem sind Sie die letzten, die Miss Rawlins vor ihrem Verschwinden gesehen  haben. Ihnen werden später Fingerabdrücke entnommen und ich bin mir sicher, dass wir die auf diesem Handy finden. Falls Miss Rawlins ihr Handy selber entsorgt hat, stellt uns das die Frage wieso. Falls Sie es waren, um die Spuren zu verwischen, die Sie bei Ihrem unerlaubten Ausgang zeigen, fragen wir uns, was mit Miss Rawlins geschehen ist.", sagte er. "Momentan gibt es keinen Grund zur Annahme, dass die Vermisste tot ist. Sie klingen, als würden Sie den Mädchen einen Mord unterstellen wollen.", sagte Mr. Harlow. "Wir haben sie nicht umgebracht!", fauchte Riley dazwischen. Darlowa hob beschwichtigend die Hände. "Davon redet im Moment auch keiner. Es besteht die Theorie, dass Miss Rawlins abgehauen sein könnte, ihre Eltern berichteten von einem Todesfall in der Familie, der das Mädchen sehr mitgenommen haben muss. Jedoch war sie komplett ohne Geld oder Kleidung zum wechseln unterwegs. Alles was sie besitzt, befindet sich noch in ihrem Zimmer, abgesehen von dem Handy. Eine Jugendliche die ausreißt, würde doch zumindest ein Portmonee mitnehmen. Eine weitere Theorie besagt, dass sie nach dem Zusammentreffen mit Ihnen auf einen Entführer getroffen ist, was ein großer Zufall wäre, doch wir können nichts ausschließen. Wie auch immer, bei einer dieser beiden Möglichkeiten hätten Sie doch etwas mitbekommen müssen. Falls Carrie einer Straftat zum Opfer gefallen ist, hätten Sie das hören müssen, da sie ja ganz in der Nähe waren. Und falls sie abgehauen ist, bin ich mir sicher, sie hätte Ihnen davon erzählt, als sie sie im Wald getroffen haben.", mutmaßte er. "Wir sind danach sofort zurück ins Internat gegangen. Wir dachten dass Carrie uns verpetzen will und deshalb haben wir ihr ein bisschen Angst gemacht, danach ist sie weg gelaufen.", sagte Riley. Darlowa sah in seine Unterlagen, dann sah er Riley an. "Sie sind mit der Vermissten auf einem Zimmer, Miss Edvane. Sie haben sich also seelenruhig ins Bett gelegt und geschlafen und sich nicht gewundert, dass ihre Zimmergenossin am nächsten Morgen immer noch nicht wieder da war?", fragte Mr. Darlowa jetzt barscher. "Ich... keine Ahnung. Sie steht immer früher auf als ich.", stammelte Riley, doch Mr. Harlow hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. "Das reicht fürs Erste. Mr. Darlowa, Sie kennen die Version meiner Mandantinnen nun, sie haben an jenem Abend einfach das gemacht, was Jugendliche in dem Alter nun mal gerne tun, ein bisschen die Regeln zu verletzen. Dass sie damit in einen Kriminalfall verwickelt würden, war ihnen nicht bewusst. Ich denke, sie waren bloß zur falschen Zeit am falschen Ort und es gibt keine konkreten Beweise für eine weitere Vernehmung.", sagte er. "Na schön, Sie dürfen gehen. Werfen Sie nur noch einen letzten Block hierauf.", grummelte Darlowa nach kurzem Zögern, zog drei Ausdrucke aus seiner Mappe und warf sie vor ihnen auf den Tisch. Es waren die Fotos, die sie an dem Abend von Carrie gemacht hatten. Auf einem war ihr Gesicht in Nahaufnahme, auf den anderen erkannte man deutlich Anne und Victoria. Victorias Magen krampfte sich zusammen, als sie sich selbst mit einem Lachen auf dem Gesicht sah, wie sie Carrie gewaltsam festhielt. Noch schlimmer war es, Carries Gesicht zu sehen. Das waren die letzten Aufnahmen, die sie lebend zeigten und sie ließen den Abend wieder erstaunlich real in ihr Gedächtnis zurück kehren. Sie hätten sowas doch nie gemacht, wenn sie gewusst hätten, was wenige Minuten später passieren würde. Mr. Darlowa hatte sein Ziel erreicht, er musterte aufmerksam die Reaktionen der Mädchen auf die Bilder, sehr zum Ärger von Mr. Harlow. "Schuldgefühle?", fragte er und ein fieses Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Catherine ergriff das Wort. "Es tut uns leid, dass wir so gemein zu ihr waren, das ist alles. Trotzdem wissen wir nicht, wohin sie wollte und haben auch nichts mitbekommen.", sagte sie. "Wir werden nun gehen.", sagte Mr. Harlow noch einmal mit Nachdruck und schob die Mädchen aus dem Befragungsraum. "Wenn Sie uns etwas verheimlichen, werden wir es herausfinden.", sagte Darlowa mit ruhiger Stimme, doch laut genug, sodass sie es hören konnten. Dann fiel die Tür hinter ihnen zu. 

Der schöne ScheinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt