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Eric blickte den vor ihm sitzenden Frosch erstaunt an. Niemals hätte er zu denken gewagt, dass dieser eine solch schnelle und radikale Wandlung durchmachen würde. Gerade noch zitternd und stotternd, saß der kleine Hüpfer nun entschlossen vor ihm und redete ohne Unterbrechung, ohne jedes Zögern. Dabei bediente er sich einer Sprache, die Eric einzig aus der Hauptstadt kannte und zuletzt bei Manuels Verfolgern gehört hatte. Wenn er es genau bedachte, vernahm man solch einen Sprachstil eigentlich nur in der näheren Umgebung des Herrscherpalastes...dieser Grünling warf immer mehr Fragen auf.

Doch als Eric in Manuels Augen sah, war ihm sofort bewusst, dass jetzt etwas ganz anderes wesentlich wichtiger war. Die Fragen nach der Herkunft und der Vergangenheit des Geretteten mussten erst einmal zurückgestellt werden. Gerade zählte nur die unmittelbare Gegenwart. Alles andere konnte warten. Nein...alles andere musste warten! Der Smaragdgrüne sah ihn schweigend und mit den Augen voller Hoffnung an. Wie würde sein Gegenüber reagieren? Was würde er antworten? Diese Fragen las Eric aus seinem Blick. Dabei spürte er den von Manuel ausgehenden, alles überstrahlenden Hoffnungsfunken, welcher in ihm selbst ein Gefühl der Wärme und der Zuneigung auslöste.

Eric musste nicht überlegen, was er ihm antworten sollte. Die Worte verließen seinen Mund ohne das geringste Zögern und mit Nachdruck: „Ich würde es jederzeit wieder tun!" „Wirklich?", fragte der Kleine vorsichtig nach. „Ja. Jederzeit." Manuel fing zu strahlen an und sah mit einem Mal glücklich und gelöst aus. Eric hatte sein „Danke" akzeptiert! Vielmehr noch: er hatte gesagt, dass er ihn, Manuel, jederzeit wieder retten würde. Ein wohliges Gefühl der Geborgenheit breitete sich in seinem smaragdgrünen Froschkörper aus und ließ ihn noch mehr zur Ruhe kommen. Er war in Sicherheit. Eric beschützte ihn. Hier konnte ihm nichts passieren. Niemand würde ihm an diesem Ort etwas zu Leide tun. Er musste sich nicht mehr fürchten. Er war nicht länger allein.

„Manuel...", unterbrach Eric die Gedanken des kleinen Frosches auf einmal voller Sorge und wechselte somit auch das Thema, „du musst am Verdursten sein! Vorhin haben sich die Ereignisse überschlagen...wir sind eingeschlafen...du konntest ja noch gar nichts trinken!" Darauf angesprochen, merkte der Hüpfer sehr schnell, wie durstig er doch war, ja, geradezu ausgedörrt fühlte er sich. Zustimmend nickend wurde er kurzerhand von Erics Knien gehoben und auf dem Bett abgesetzt. „Na, dann wollen wir doch gleich mal etwas dagegen unternehmen. Was meinst du?", lachte Eric freudig auf.

Nach dem Wassereimer greifend, erhob sich dieser von seinem Bett. „Lass uns zum Tisch gehen. Dort liegen auch noch einige übriggebliebene Früchte von gestern... Wie lange wir wohl geschlafen haben? ... Ich fühle mich, als würde ich verhungern! Und du? Du hast doch bestimmt auch Hunger, oder?" „Und wie!", antwortete Manuel unbeschwert. „Na, dann komm!" Der junge Mann legte seine geöffnete Hand vor dem Frosch ab und sah diesen fragend an. Ohne Zögern sprang der Grünling auf die ihm dargebotene Hand. Sogleich wurde Eric von einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit, welches von diesem ausging, durchdrungen. Er sah zu Manuel herab und lächelte, glücklich darüber, dass dieser nun zunehmend in der Lage war, Vertrauen zu ihm zu fassen.

Am Tisch angekommen, stellte Eric den bis zum Rand gefüllten Eimer darauf ab und hielt seine Hand mit dem kleinen Grünling daneben, doch sprang der Frosch entgegen seiner Erwartung nicht in das kühle Nass. Er legte vielmehr seine Vorderbeine auf dem Eimerrand ab, machte sich ganz lang und hing kurz darauf kopfüber im Eimer. Sofort begann er gierig zu trinken, während er zugleich gegen die Schwerkraft ankämpfte und auf Erics Hand immer wieder nach Halt suchte.

Dieser betrachtete das sich ihm darbietende Schauspiel verwirrt, kannte er bis jetzt keinen Frosch, der auf diese Weise trank. Gleichwohl hatte er keine Zeit, näher darüber nachzudenken, musste er doch aus einem undefinierten Gefühl heraus verhindern, dass der kleine Hüpfer bei seinem gewagten Trinkversuch schlussendlich nicht noch kopfüber in den Wassereimer fiel.

Die große Begierde des Kleinen nach der klaren Flüssigkeit ließ auch Eric mit einem Mal spüren, wie durstig er war. Seit dem vergangenen Abend hatte er weder etwas gegessen noch etwas getrunken; das bekam er jetzt zu spüren. Hungrig blickte er auf den Tisch und fand schnell einen noch völlig unberührten Apfel. Während er Manuel noch immer auf seiner Hand balancierte, streckte er die andere vorsichtig aus und griff nach dem leckeren Obst, in welches er im nächsten Moment auch schon herzhaft hineingebissen hatte. Mit dem Fuß zog er einen der beiden Stühle näher heran und ließ sich dann zufrieden kauend darauf nieder.

Für mehrere Augenblicke war es in der gemütlichen Hütte still. Einzig das gegen die Eimerwände schwappende Wasser sowie Erics Kauen waren leise zu hören. In diese Ruhe hinein fragte der zufriedene Mann mit einem Mal überlegend: „Wie lange haben wir eigentlich geschlafen? Ich habe das Gefühl, dass es schon eine ganze Weile her ist, da ich die anderen gebeten hatte, die Hütte kurz zu verlassen...hoffentlich machen sie sich keine Sorgen! Ich sollte sie langsam wieder zu uns hereinholen, Manuel...ist das für dich in Ordnung? Ich werde sie auch eindringlich darum bitten, nicht zu neugierig zu sein und dir genügend Zeit und Raum zu lassen. Versprochen."

Bittend schaute Eric auf den noch immer so eifrig trinkenden Frosch herab. Er wollte ihm nach wie vor all die Zeit lassen, die dieser benötigte, ihn zu nichts drängen, ihn mit nichts überfordern, doch wollte er auch nicht, dass seine Freunde sich zu sorgen begannen. Manuel, noch gefangen in der reinen Begierde nach dem kühlen Nass, ließ aus den Weiten des Eimers nur ein undeutliches „Ja" ertönen, bevor er sofort weitertrank.

Als Eric gerade aufstehen und zur Tür gehen wollte, öffnete sich diese vorsichtig einen Spaltbreit und Maries zögernd fragende Stimme erklang: „Eric? Eric, ist bei euch alles in Ordnung? Geht es euch gut? ... Wir wissen, dass wir auf dich warten sollten...aber das ist jetzt schon sooooo lange her...wir machen uns Sorgen! ... Eric?" Mit den Rücken zur Tür hatte keiner der beiden gesehen, wie das junge Kaninchen durch diese gekommen war. Das hatte zur Folge, dass Eric erschrocken zusammenzuckte, woraufhin Manuel das Gleichgewicht verlor und kopfüber in den Eimer fiel. Dort zappelte er nun im Wasser und sah Eric aus weit aufgerissenen Augen verwirrt an.

Schicksalssmaragd (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt