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Ihr gemütliches Heim füllte sich zusehends mit Gemurmel. Manuel, der nach wie vor auf Erics Hand saß und dessen tiefe Ruhe auf sich übergehen ließ, betrachtete die restlichen Bewohner voll Staunen. Welch eine Vielzahl an Tieren, die mit Eric zusammenlebten. Solch unterschiedliche Wesen; manche in der Natur gar verfeindet, doch schienen sie hier in Frieden und gegenseitigem Respekt zu leben. Der grüne Hüpfer war tief beeindruckt. Wie war solch ein Zusammenleben nur möglich? Solch eine Harmonie? Solch ein Vertrauen? Wirklich noch nie hatte er solch einen Zusammenhalt erlebt, war er in seiner Vergangenheit doch immer auf sich allein gestellt gewesen.

Dieser seiner Vorgeschichte war es wohl auch geschuldet, dass Manuel wie gebannt auf das Treiben vor sich schaute und alles andere um sich herum ausblendete. So nahm er auch nur am Rande wahr, wie Gulliver sich langsam in sein Blickfeld schob, die folgenden Worte jedoch an den jungen Mann hinter ihm richtete: „Eric", sprach der alte Wühler bedächtig, „wie geht es dir? Konntest du dich etwas erholen?" „Gulliver, mein Lieber. Es war einfach herrlich. So ruhig und tief habe ich seit einer ganzen Ewigkeit nicht mehr geschlafen...und gerade nach dieser grausamen Nacht...eine wahre Wohltat...und mir gänzlich unbegreiflich...aber es war einfach perfekt. Ich gäbe einiges dafür, öfter einmal solch einen erholsamen Schlaf zu haben...vor allem nachts." Eric lachte kurz auf, dann: „Ich möchte dir danken, dass du dich um die anderen gekümmert hast. Das war bestimmt wieder einmal nicht ganz leicht, oder?" Das kurze Zögern Gullivers, gefolgt von einem leichten Schulterzucken, ließ den jungen Mann schmunzeln. Hatte er seine Lieben doch abermals richtig eingeschätzt.

Mit einem Blick auf den noch immer voll Staunen um sich schauenden Frosch fuhr Eric mit leiser Stimme fort: „Gulliver? Darf ich dir unseren Gast vorstellen? Noch hat er nicht viel von sich erzählt, doch weiß ich seinen Namen...Gulliver? Das ist Manuel." Der Smaragdgrüne wurde durch die Nennung seines Namens aus seinen neugierigen Beobachtungen geholt und sah sich unsicher um. Er wusste, dass er sich vor dem betagten Maulwurf nicht fürchten musste, schien er doch Erics engster Vertrauter zu sein, doch wie sollte er sich nun verhalten?

Eric bemerkte Manuels Unsicherheit und wandte sich mit sanfter Stimme an ihn: „Es ist alles in Ordnung, mein Kleiner. Sei ganz beruhigt. Vorhin haben wir dich überfordert. Das wissen wir und es tut uns wirklich leid. Daher wollen wir es nun langsamer angehen und dir all die Zeit geben, die du benötigst. Dabei kannst du alle nach und nach kennenlernen. Was meinst du?" Dankbar und doch zögernd nickte Manuel. „Schön. Das freut mich sehr", sagte Eric und wollte gerade fortfahren, als er erstaunt innehielt, da er die zaghafte Stimme des kleinen Frosches, welcher sich an den geduldig vor ihnen stehenden Maulwurf gewandt hatte, vernahm.

„H-hallo Gulliver, i-ich...ich h-heiße M-manuel." Unsicher und voll Anspannung wartete er auf eine Reaktion des Angesprochenen. Er hatte sich selbst vorgestellt. Zwar hatte seine Stimme gezittert und auch das Stottern war zurückgekehrt, doch wollte der Frosch unbedingt einen Beweis erbringen, dass er Eric vertraute. „Manuel, ich bin erfreut, dich kennenzulernen. Mein Name ist Gulliver", antwortete sein Gegenüber. „Gulliver lebt von allen am längsten mit mir zusammen. Er hat mir damals sehr geholfen", ergänzte Eric liebevoll, beugte sich zu dem betagten Maulwurf und klopfte ihm sanft auf die Schulter. „Er ist für uns alle eine wichtige Stütze und weiß fast immer einen Rat."

Bestätigend nickte Samuel. Der Hirsch hatte seinen Durst gestillt und die kleine Unterhaltung zu ihrem Ende hin aufmerksam verfolgt. „Gulliver ist ein guter Vermittler. Er hört uns zu, urteilt nicht vorschnell und versucht immer zu helfen. Jeder Einzelne ist wirklich sehr froh, ihn zu kennen und ihn einen Freund, nein, ein Familienmitglied nennen zu dürfen", sagte der Geweihträger leise, da er den Grünling nicht wieder verschrecken wollte. Gulliver, vollkommen entgegen seiner Natur, wurde bei diesen lobenden Worten ganz verlegen.

Der kleine Hüpfer sah Samuel nur staunend an. Der starke Zusammenhalt dieser ungewöhnlichen Gruppe, die tiefe und reine Liebe, die alle füreinander empfanden, die unerschütterliche Loyalität – all dies war ihm neu. Seine Vergangenheit war vom Gesetz des Stärkeren geprägt. Zusammenhalt oder gar Loyalität bestanden nur unter Zwang. Lange hatte er sich nach genau solch einer Familie, wie er sie hier nun erleben durfte, gesehnt, bevor er die Hoffnung auf solch ein Leben zum Schutz seines eigenen Seelenheils irgendwann aufgegeben hatte.

„Samuel. Bitte nimm mich mit. Ich möchte auch so gerne etwas näher heran. Ich werde auch ganz brav sein, versprochen. Oh, bitte, bitte", unterbrach da Maries Stimme die Überlegungen des Smaragdgrünen. Der Angesprochene hatte sich nach seinem Lob dem Maulwurf gegenüber vom geleerten Wassereimer abgewandt und in Bewegung gesetzt, als er kurz innehielt und das treue Kaninchen auf seinen Rücken springen ließ. Mit wenigen Schritten näherte er sich der kleinen Gruppe um Eric und kam knapp hinter Gulliver zum Stehen.

Währenddessen hatte sich Marie bis auf Samuels Kopf vorgewagt, wo sie nun, wie schon so oft, zwischen dessen beeindruckendem Geweih saß. Offiziell gäbe sie es wohl niemals zu, doch war dies definitiv einer ihrer absoluten Lieblingsorte. Dort fühlte sie sich sicher und geborgen, konnte alles überblicken und auch Samuel hatte nichts dagegen einzuwenden. Vor längerer Zeit hatte sie ihn tatsächlich einmal darauf angesprochen, woraufhin er ihr durch ein Nicken zu verstehen gegeben hatte, dass es ihn nicht störe.

Noch immer neugierig besah sich der Flauschball den unsicheren Grünling ein weiteres Mal. „Es t-tut m-mir leid, d-dass ich e-euch vorhin s-solch einen Schrecken eingejagt h-habe", entschuldigte sich dieser, als ihm ihr wissbegieriger Blick bewusst wurde. Das Stottern zunehmend überwindend, fuhr er fort: „Ich d-danke euch. Für a-alles." Ein tiefer Atemzug, dann: „Ich heiße Manuel."

„Manuel...ein schöner Name", antwortete Marie. „Du, Manuel?", fragte sie nach einer schnellen Überlegung zögerlich, „Darf ich mich zu dir setzen? Ich werde auch ganz bestimmt nicht mehr so stürmisch sein..." Bittend sah sie den Frosch an. Dieser blieb jedoch stumm. „Eric? Ich werde ganz brav sein. Ich verspreche es", wandte sich das Kaninchen mit Nachdruck in der Stimme an den die Szenerie bis jetzt schweigend beobachtenden Mann. „Ich werde ihn nicht wieder erschrecken. Wirklich nicht." Fast schon flehend blickte sie zwischen Manuel und Eric hin und her.

„Das ist ganz allein deine Entscheidung, mein Kleiner", sagte Eric und strich dem Angesprochenen einmal mehr über den Rücken, da ihm dessen Unsicherheit nicht verborgen blieb. Dies führte dazu, dass sich Manuel zum wiederholten Mal an diesem Tag einen Ruck gab und leise antwortete: „Gerne." Maries Augen begannen zu strahlen, als Samuel seinen Kopf auch schon vorsichtig senkte, damit sie von dort sicher auf Erics Bein gelangen konnte. Plötzlich stockte der Hirsch jedoch mitten in der Bewegung, nur um seinen Kopf dann wieder ruckartig zu heben und Manuel mit einem verwirrten und zugleich misstrauischen Blick zu bedenken.

Marie, die sich gerade noch mit einem beherzten Sprung Richtung Eric vor dem Herunterfallen hatte retten können, blickte den Geweihträger mit wild klopfendem Herzen aufgebracht an. „Samuel! Fast wäre ich heruntergefallen", klagte sie an, verstummte aber sofort, als sie Gesichtsausdruck und Körperhaltung des Angesprochenen sah, welcher sich den Frosch mit äußerster Wachsamkeit besah. Skeptisch beobachtete er jedes noch so kleinste Zucken des Smaragdgrünen, welcher unter diesen eindringlichen Blicken sichtbar unruhig wurde.

„Samuel? Was hast du denn?", wagte das junge Kaninchen eine vorsichtige Nachfrage. „Stimmt irgendetwas nicht?" „Ich bin mir nicht sicher...", antwortete er nach einer Weile geistesabwesend. „Irgendwas an ihm ist...anders...nicht vertraut...er...er riecht nicht wie einer von uns...er...er riecht wie du!" Mit diesen Worten hob Samuel ruckartig seinen Kopf und blickte Eric direkt in die fassungslosen Augen. „Wie ich?"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 12, 2020 ⏰

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