Kapitel 33

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Zur Eröffnung gingen wir gemeinsam, als Schule. Es war ein krasses Gefühl, mit gut 50 Leuten durch den dunkel werdenden, schneebedeckten Wald zu laufen. Die Wolfsbergener wussten anscheinend, dass die Leute von der Schule ein seltsames Völkchen waren. Die, die sich unter Kontrolle hatten, durften also auch in Tiergestalt mit. Natürlich nicht alle, wie Martin und ich enttäuscht feststellen mussten, aber doch eine ganze Hand voll. Um nicht den ganzen Weg auf den Krücken humpeln zu müssen, durfte ich auf Sonja reiten. Ich hatte absolut keine Ahnung von Pferden und die Anweisung, die ich von ihr bekommen hatte „Naja. Fall halt ned nunder." war jetzt nicht wirklich hilfreich. Aber es funktionierte trotzdem. Irgendwie.

Mit Sonja hatte ich nach dem Vorfall im Wald viel geredet. Vielleicht war das so, wenn jemand einem das Leben rettete. Sie hatte als Reitschulpony im Allgäu gelebt und war aufgrund eines Unfalltraumas mit einem Pferdetransporter ins Blickfeld von Frau Ackerpelz geraten und wurde kurze Zeit später von der Schule aufgekauft.

Neben uns trabte Amelie her. Anscheinend hatte sie ihre, immer noch spürbare, Wut auf meine Dummheit zumindest für heute Abend abgelegt, denn sie trug stolz eine meiner Krücken im Maul. Die Andere trug Felix. Neben ihm liefen Martin und Buchensturm. Lotti hatte es geschafft Buchensturm dazu zu überreden, sie Huckepack zu tragen, mit dem Argument, sie würde ich auch ganz leicht machen.

Unter den älteren Schülern vor uns, sah ich ein Eichhörnchen, dass in Eldinas Mähne saß und sie hinter den Ohren kitzelte, eine getigerte Katze auf dem Arm eines relativ schmalen Jungen und einige Schüler, die ich noch nie gesehen hatte. Das fühlte sich irgendwie merkwürdig an, aber viele aßen nicht in der Schule und im Unterricht sah ich sie natürlich nicht, wenn sie im Klassenzimmer neben uns saßen.

Victoria hatte sich erfolgreich krankgemeldet und blieb bei Carina in der Schule. David und Peter hatte ich nach meinem, Unfall konnte man es nicht wirklich nennen, sagen wir Vorfall, erstaunlicherweise nichts wirklich Fieses sagen hören. Vielleicht lag das daran, dass ich die ersten Tage im Krankenzimmer verbracht hatte, oder daran, dass sich David wegen seinem Verweis zurückhielt.

Langsam bewegte sich unser Zug vorwärts in Richtung des lichterkettengeschmückten Wolfsbergen. Als wir die ersten Häuser erreichten stieg mir der Duft von Kinderpusch, Zimt, Lebkuchen, Waffeln, gebrannten Mandeln und vielem mehr in die Nase. Auf dem Marktplatz erfüllte das Summen von Stimmen die Luft. Um den gesamten Rand des Marktplatzes standen kleine, dunkelgrün gestrichene Holzbuden. In fast allen brannte schon Licht und Glühwein und Süßkram wurde über die Theken gereicht. Außer bei einer. Zu der lief jetzt eine kleine Gruppe älterer Schüler mit Ms. Maywood, die einen Bollerwagen zog. Das musste dann wohl unsere Bude sein.

In der Mitte des Platzes stand eine große, geschmückte Tanne, um die sich nach und nach alles gruppierte. Dahinter hörte ich ein Kinderkarussell leise Weihnachtslieder dudeln. Vor der Tanne machte sich ein kleiner Posaunenchor bereit zu spielen.

Ich ließ mich vorsichtig von Sonjas Rücken gleiten und nahm dankbar meine Krücken von Amelie und Felix entgegen. Unsere Mitschüler verteilten sich in alle Richtungen um den Kreis, der sich um den Posaunenchor gebildet hatte. Anscheinend waren einige hier nicht unbekannt. Ich sah Herr Schwarz-Feder einen vielleicht zehnjährigen, schwarzhaarigen Jungen auf den Arm nehmen, der ihm erstaunlich ähnlich sah. Lukas ließ sich mehr oder weniger erfreut von einer älteren, ziemlich merkwürdig gekleideten, Dame Küsschen auf die Wangen drücken. Es schien absolut niemand merkwürdig zu finden, dass mehrere Pferde hier in der Gegend rumstanden. Tatsächlich bekam vor allem Eldina eine Menge „Och, wie niedlich" s und Krauler hinter den Ohren ab. Viele von den älteren Schülern begrüßten auch andere in ihrem Alter. Anscheinend wohnten einige hier und kannten sie deshalb.

Ms. Maywood und die kleine Gruppe hatten die Bude mittlerweile mit unserem selbstgebastelten Kram ziemlich dicht bestückt und hängten gerade noch ein paar Lichterketten in den Rahmen. Ein Mädchen mit langen, roten Haaren unter einer blauen Mütze hob grinsend einen Daumen in meine Richtung, als sie sah, dass ich zu ihnen blickte.

Als der Posaunenchor anfing zu spielen, verbreitete sich eine deutlich spürbare Unruhe unter den Schülern, die mit solchen Geräuschen nicht vertraut waren. Ich sah Lotti Buchensturm an der Hand festhalten, als dieser einen Schritt zurückmachte. Auch Felix zuckte etwas unruhig und ich krückte ein Stück näher zu ihm. Zum Glück spielte der Chor nicht laut. Der Posaunenchor in meiner Heimatstadt hatte immer geklungen wie eine Herde Elefanten, die ein bisschen zu viel Bohnensalat gegessen hatten.

Der Abend wurde wunderbar entspannt. Wir überredeten Buchensturm dazu, eine Tasse Kinderpunsch zu probieren, bekamen Lotti dazu, der alten Frau am Stand mit den gebrannten Mandeln Hallo zu sagen, zettelten eine Schneeballschlacht an, die etwas ausartete und überzeugten den Mann im Kassenhäuschen vom Kinderkarussell davon, dass Amelie ein gut erzogener Hund war und mitfahren durfte.

Um neun Uhr mussten wir schließlich zurück. Eine kurze Panik brach aus, als wir sowohl David, als auch Frau Flugwind nicht mehr finden konnten. Letztere fanden wir schließlich etwas beschwipst an einem Glühweinstand und Ersteren vertieft im Gespräch mit einer mittelalten Frau.

Die kleine Gruppe aus älteren Schülern baute die Bude wieder zusammen und so zogen wir schließlich los. Der Kinderpunsch wärmte mich von innen und Felix Arm um meine Schultern von außen. Den Rückweg lief ich zu Fuß.

In der Hütte hielt ich Amelie noch auf, bevor sie das Licht ausmachte.

„Warte. Ich wollte dir noch was sagen."

Sie sah mich erwartungsvoll an. „Hm?"

„Es tut mir leid, dass ich so idiotisch war. Du hast recht, ich hätte mich von der Wut nicht kontrollieren lassen sollen. Es tut mir leid."

Ich sah ihre Augen im schwachen Licht der Deckenlampe schimmern.

„Geht doch. Es tut mir leid, dass ich dich angemotzt habe. Das war falsch."

Ich schluckte kurz. „Schon okay."

Dann umarmte sie mich. Es fühlte sich unfassbar gut an. Besser als jede Umarmung, die ich je bekommen hatte. Besser als jede.

Black Forest Academy || Woodwalkers FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt