Memory 4

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Die Tür öffnete sich und ich setzte meinen Weg in den Zellentrakt fort. Meine Erinnerung an Big Reds Worte ließ mich dabei nur schleppend los. Selbst, wenn ich ihnen damals nicht viel an Beachtung geschenkt hatte, so hämmerten sie sich mir jetzt umso eindringlicher in den Kopf. Bleich, langgliedrig, weitgehend unbehaart, mit seltsamen Flugmaschinen auf den Heimatplaneten gekommen, um Unschuldige zu entführen und an ihnen zu experimentieren – so hatten die Menschen vor Jahrzehnten noch das Klischee-Alien beschrieben. Und... was war ich schon anderes in den Augen der Bewohner von Punk Hazard?

Ich passierte die Haupthalle, die alle Gebäudetrakte miteinander verband, und blendete dabei sämtlichen Lärm aus, der von geschäftig hin und her eilenden Wissenschaftlern, Befehle rufenden Soldaten und dem Surren der unzähligen elektronischen Anlagen herrührte. Ich war in meiner eigenen Welt – eine Welt, in der für gewöhnlich nur zählte, koste es was es wolle an mein Ziel zu gelangen. Doch sie hatte Risse bekommen. Kleine, haarfeine Risse, deren Auslöser Big Reds Worte waren. Oder doch Big Red selbst?

Ich hatte keine Antwort auf diese Frage und das machte mich unruhig. Normalerweise hätte ich nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, ob man in mir ein Monster, Ungetüm, Irren, Emo, Mistkerl oder eben ein Alien sah. Es hätte mich nicht im Geringsten berührt. Nur jetzt, da ich unterwegs war, um Big Red den Tod zu bringen, machte sich in mir eine Spur von Unsicherheit breit. Ich würde sein Bild von einem grausamen Alien geradezu komplettieren, wenn ich nun meine Pflicht erfüllte. Ein Teil von mir wollte genau das und somit allem einfach ein Ende setzen, ein anderer Teil von mir wollte beweisen, dass ich mehr sein konnte als nur das Alien, das Big Red in mir sah. Ich war zwiegespalten. Und ich hatte nicht einmal eine Erklärung dafür.

Wütend auf mich selbst biss ich die Zähne zusammen und schritt fester aus. Ich würde es durchziehen. Danach musste ich mir keine Gedanken mehr über die Philosophie machen, ob ich nun ein Alien war oder nicht. Dann konnte der Alltag wieder einkehren. Ohne Ilexx zwar, aber dafür auch mit sehr viel mehr Klarheit in meinem Kopf.

Mein Gesicht weiterhin eine nicht zu deutende Maske bog ich in den Korridor ein, der durch den Verwaltungstrakt führte. Er war mit kaltem Licht hell erleuchtet und lag beinahe verlassen da. Nur leise gemurmelte Gespräche oder über Tastaturen fliegende Finger waren aus den vielen Büroräumen zu hören. Zusätzlich das hohe Summen einer Leuchtstoffröhre, die wohl bald den Geist aufgeben würde. Hier irgendwo erstreckte sich das Archiv über mehrere Rechnernetzwerke hinweg, wo Monet sich wohl gerade der Datenrettung widmete und dafür sorgte, dass Big Reds Ausrüstungsteile in mein Labor gebracht wurden. Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass in einer geschätzten halben Stunde ein Stromausfall drohte? Ich könnte sie warnen, wenn ich wollte. Doch ich wollte nicht. Mein eigenes Vorhaben war mir deutlich wichtiger.

Endlich tauchte die niedrige Halle vor mir auf, die gesäumt von Fahrstuhltüren war, die in die Untergeschosse führten, und in deren Mitte sich ein riesiger, ovaler Raum mit Glasfassade befand. Die technische Schaltzentrale der Forschungsstation. Die hier beschäftigte Sicherheitsbeamte hatte einen gleichermaßen wichtigen wie auch meist sehr ereignislosen Job, der dafür in Notsituationen ein hohes Maß an Verantwortung voraussetzte. Von hier aus ließen sich nämlich ausnahmslos jedes Licht, jede Tür, jede Klimaanlage, jeder Aufzug und auch die äußeren Schutzschilde des Gebäudes kontrollieren, die bei Bedarf aktiviert werden konnten. Als ich mich dem Raum näherte, blickte die Sicherheitsbeamte von ihrem Magazin auf, in dem sie bis gerade eben gelesen hatte, und begann zu lächeln. Noch bevor ich vor ihr angelangt war, öffnete sie auch schon das Schiebefenster und rief mir begeistert entgegen: »Law! Ich hab mich schon gefragt, wann du heute vorbeikommst! Kann ich dir irgendwie behilflich sein?!«

Die Wangen in einen leichten Rotton der Aufregung getaucht wartete Baby 5 meine Antwort ab. Es war typisch für sie, einem ihre Hilfe auf diese direkte Weise anzubieten, und eigentlich hatte mich das nach den drei Jahren, die ich sie schon kannte, nicht aus der Bahn zu werfen. Doch gerade eben tat es das. Dieselbe Frage stellte sie mir jedes Mal, hatte sie mir auch ein jedes Mal gestellt, wenn ich in der Vergangenheit zu Big Red unterwegs gewesen war, und sie hatte sie mir auch an dem Tag gestellt, als die Sache mit der Feder geschehen war....

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